OCR Output

se der Heinrich-Heine-Preis zugeschrieben worden. Von den
Studenten hatte keiner von ihrem Landsmann Kramer ver¬
nommen. Nach der Veranstaltung gingen wir zu dritt in eine
Gaststätte, in die ich wie in einen Roman von Franz Kain ein¬
trat. Seither weiß ich immerhin, wie ich mir die „Ewige Ruh“
vorzustellen habe. Mit einem nicht verkennbaren Unterton der
Enttäuschung berichtete Kain von einem DDR-Schriftsteller,
der kurz vor mir in der Gegend gewesen sein mußte und in dem
Blättchen „Weltbühne‘ ein Feuilleton abgestellt hatte, in dem
er es wagte, über die österreichische Küche zu mäkeln. Aber
auch zu mir gewandt kam Kritik. Zu viele Gedichte, deren
Schauplätze im vormals habsburgischen Weltreich lagen:
Böhmen, Mähren, Siebenbürgen. Damals wie heute kann ich
nur beschwören, daß ich weder an diesem Abend noch sonst
beim Schreiben von Gedichten einer Konzeption folgte, die auf
Huldigungen kakanischer Zustände gerichtet war und ist.
Hingegen bekenne ich gern, daß es vielfältige Beziehungen zu
Österreich gibt. Darüber zu reden, wäre ein Thema für sich. Ich
bleibe bei Franz Kain, der zu denen gehört, die für Österreich
stehen. Als ich 1992 Stadtschreiber in Salzburg war, fuhr ich
einmal mit dem Bus durchs Land Richtung Salzkammergut. In
Bad Ischl, zu dem mir Leo Perutz einfällt, holten mich Margit
und Franz Kain ab. Ich wurde nach Posern chauffiert und lern¬
te die Welt des „Gebirgsbauern und sensiblen Krakeelers“, als
der er sich mir im Widmungsexemplar des „Taubenmarkts“ of¬
ferierte, kennen. Von einer Berggaststätte hoch oben sahen wir
weit ins gebirgische Land, in das Franz Kain hinein- und „hin¬
ausgeboren“ wurde.

Jetzt denke ich mir zu dem gespeicherten Blick auf den See
die Biographie des Matthias Roth hinzu und die des Toten¬
gräbers, über den Christoph Ransmayr geschrieben hat. Wir
sprachen über Arnolt Bronnen, über Ernst Fischer, über das
„Tagebuch“, zu dessen wenigen Abonnenten in der DDR ich
jahrelang gehört hatte, bis im November 1968 Amtmann Eich¬
ler vom Berliner Zentralvertrieb dem einen Riegel vorschob,
indem er mir folgende Mitteilung zukommen ließ:

Werter Kunde!

Auf Grund der immer häufigeren und offeneren Veröffent¬
lichungen antisozialistischer und revisionistischer Artikel, die
gegen die marxistisch-leninistische Theorie und gegen die
Politik der Sowjetunion, unserer Republik und anderer be¬
Jreundeter Länder gerichtet sind (Beiträge von E. Fischer, E.
Block u.a.), besteht in Übereinstimmung mit den dafür zustän¬

digen Organen die Veranlassung, die für die Einfuhr erforder¬
lichen Devisen einzusparen und den Vertrieb des österreichi¬
schen „Tagebuchs“ einzustellen.

Auf Grund dieser Entscheidung kündigen wir den mit Ihnen
abgeschlossenen Abonnementsvertrag für diese Zeitschrift zum
1.10. 1968. Das anteilige Bezugsgeld wird Ihnen selbstver¬
ständlich erstattet.

Hochachtungsvoll
Im Auftrag
gez.Eichler
Amtmann

Was Deputat ist, wußte ich von den Gutsarbeiterkindern mei¬
nes Dorfes. Das war Lohnausgleich in Naturalien. In Posern er¬
fuhr ich, daß auf dem Haus Holzrechte, Servitute für Nutz- und
Brennholz, liegen, die immer noch genutzt werden. Alte
Häuser, auf denen solche Rechte lagen, waren „eingeforstet“.
Ebenso existierten Brennrechte. Altberechtigungen der kleinen
Leute, die in meiner Landschaft längst außer Gebrauch ge¬
kommen waren. Franz Kain, der das land- und erdverbunden
Ursprüngliche liebte und lebte, möglichst autark, hat das
Allmendebewußtsein und Allmendedenken in seinen Büchern
bewahrt und fortgetragen.

Am Ende seines Lebensberichts „Am Taubenmarkt“ zitiert
er den bitteren Satz eines Berliner Freundes, den auch ich mir
angelegen sein lassen muß: „Wir hätten mehr schreiben und
weniger funktionieren sollen.‘ Ich habe mir mit diesem Vortrag
noch einmal ein Bild von Franz Kain gemacht. Ich seh ihn von
außen als entschiedenen Österreicher, der seinem Land die
Treue gehalten, als einen, der sich selbst gesetzt und bestimmt
hat. Damit gab er ein Beispiel, das viel zu lange nicht gesehen
wurde oder nicht gesehen werden wollte. Immerhin gab es spä¬
te Ehrungen, mit denen er eingemeindet und angenommen
worden ist. Sein und mein letzter Satz: „Alles gesagt und doch
das meiste verschwiegen.“

In den letzten Tagen legte mir ein wissender Zufall ein
Prosastück von Heinz Friedrich in die Hand, aus dem ich, auf
den simplicianischen Lebenslauf zurückkommend, eine kurze
Passage zitiere:

Nach 1945 war nichts mehr so, wie es vor 1945 bis weit
zurück in die Geschichte des Kontinents gewesen war. Spätere
Generationen werden vielleicht einmal fragen, wie die
Menschen des 20. Jahrhunderts diesem Druck der geschicht¬

Beppo Beyerls Reportagen sind eine beispielhafte Chronik der laufenden Ereignisse, weil er es versteht,
Landschaften und Menschen ohne Pathos und Rhetorik plastisch vor uns hinzustellen. Uneitel ist der Ich¬
Erzähler in seinen Reportagen gegenwärtig und erschließt uns durch geduldiges Zuhören und Hinschauen
Geschichten hinter den Geschichten. Ganz undoktrinär stemmt er sich gegen das Verschwinden, besteht auf
Wahrnehmung der Wirklichkeit. Man muß nicht vor lauter Realismus alles hinnehmen, wie es gerade ist, ohne
zu wissen, wie es geworden ist. Garcfa Märquez spricht von der Reportage als Königsgattung der Publizistik.
In „Geschichten aus dem Abseits“ begegnen wir ihr in idealer Form. Erich Hackl

Beppo Beyerl: Geschichten aus dem Abseits. 19 Streifzüge von Ost nach West
Mit Fotos von Michael Wrobel. 152 Seiten, € 15,-/SFr 24,¬

Aus dem Inhalt:Von Lagern, Wundern und Engeln: Im Gefängnis zu Brünn / Das Wunder am Isonzo / Das
Lager von Gmünd / Die Volksabstimmung im Burgenland / Die Engel und die Teufel. Von Pfarrern, Henkern
und Verschönerern: Wein aus Welschlandfrüchtchen / Leben und Sterben in Döllersheim / Hinter den Mauern
von Theresienstadt / Der Tod des Henkers / Die Botschaft von Lidice / Karl Schwanzer und die
Entschandelung von Polen. Von Bergen, Flüssen und Grenzen: Topographie der Grenze / Im Bett des
Wienflusses / Die Pottendorfer Linie / Der Himmel von Wien / Auf der Suche nach dem Bahnhofsrestaurant

47