1938 machte ich meine Matura, 1940 heira¬
tete ich. Mein Schwiegervater, Dr. Salomon
Kassner, war Anwalt, J ournalist und Schrift¬
steller. 1917 veröffentlichte er ini Löwit Ver¬
lag, Wien, sein Buch „Die Juden in der
Bukowina“, 1928 im Panthenon Verlag,
Leipzig, das Buch ,,Eheirrungen — aus der
Mappe eines Rechtsanwaltes“, außerdem
Abhandlungen über Karl Emil Franzos und
noch viele andere Schriften, die während des
Krieges verloren gegangen sind.
1941 endete unser schönes Leben in Czer¬
nowitz, als die Russen mich und meine
Familie nach Sibirien verschickten. In den 25
Jahren Zwangsaufenthalt in Sibirien habe ich
jede Verbindung mit Czernowitz verloren
und wußte nicht, was mit meinen Ver¬
als wir im Jahre 1965 rehabilitiert wurden,
wir nach Czernowitz zurückkehren und 1967
nach Israel auswandern konnten, erfuhr ich,
daß viele meiner Czernowitzer Altersgenos¬
sen, die die Lager Transnistriens überlebt
hatten, wie Paul Celan, Immanuel Weißglas
und Alfred Kittner, trotz der fürchterlichen
seelischen und physischen Leiden, die sie
durchgemacht hatten, ihr Schaffen im Exil
fortgesetzt hatten. Die Lebensläufe dieser
und anderer Czernowitzer Dichter, wie Rose
Ausländer, Klara Blum oder Selma Meer¬
baum-Eisinger, und Auszüge aus ihren Wer¬
ken, mit denen sie die deutsche Literatur
bereichert haben, werden im Buch „An der
Zeiten Ränder“ erörtert.
Dieses Buch ist die Geschichte meiner Hei¬
mat, in der aych ich mich wiedergefunden
habe. Jeder Ort in der Bukowina, jede Straße,
jeder Platz, jeder Garten und jedes Gebäude
in Czernowitz, die in diesem Buch erwähnt
werden, sind mir vertraut. So wurde ich zum
Beispiel im hier abgebildeten „Jüdischen
Haus“ getraut, und zwar von Oberrabiner Dr.
Mark, dessen Bild ebenfalls in dem Buch zu
finden ist.
Das Buch veröffentlicht auch die Beiträge in
Israel lebender Czernowizer Autorinnen: Ila¬
na Shmueli ist die Schwester meiner gewe¬
senen Schulkollegin. Mit Sidi Gross und
Margit Bartfeld-Feller bin ich befreundet,
mit Hedwig Brenner habe ich das Lyzeum
besucht, und Rita Pistiner, die Tochter des
Sozialistenführers und Abgeordneten Dr.
Jakob Pistiner, ist meine Bridgepartnerin.
Auch Emil Wenkert, dessen Erinnerungen an
seine Deportation nach Transnistrien im
Buch veröffentlicht werden, ist mein Be¬
kannter. So weckt jede Seite dieses Buches in
mir Erinnerungen, sowie Nostalgie und
Sehnsucht nach meiner ersten Heimat. [...]
Im Namen aller Bukowiner, die in Israel und
in der Diaspora leben, danke ich Frau
Cordon und Herrn Kusdat für dieses Buch,
das für kommende Generationen das
Andenken an die Bukowina und Czernowitz
wachhalten wird.
Sidi Kassner, Tel Aviv, November 2002
Zu Winfried Schneiders „Erwin Weiss — eine
Gratulation“ in „Orpheus in der Zwischen¬
welt“, ZW Nr. 3/2002, S. 35-36:
Winfried Schneider schreibt: „Für die öster¬
reichischen und deutschen Antifaschisten,
die nichts lieber getan hätten, als selb’t gegen
die Nazis zu kämpfen, ist die Internierung im
britischen Lager eine doppelt quälende. Denn
zu den schlechten Lebensbeaingungen in den
Baracken kommt noch die unerträgliche
Tatsache, zur Untätigkeit verdammt zu sein.“
Eine total falsche Darstellung. Wir waren auf
der Isle of Man, wo ich Erwin Weiss kennen¬
lernte, in ganz gewöhnlichen, recht netten
strandnahen Häusern untergebrackt, aller¬
dings, den Umständen entsprechend, von Sta¬
cheldraht umzäunt. Jedes Haus hatte seine
eigene Küche, und die Qualität des Essens
hing von unserem Koch ab. Besonders gut
und reichlich waren die ‚Manx Kippers’ (ge¬
räucherte Heringe, heute schon fast ein Lu¬
xusartikel). Sonst bekamen wir die gleichen
Rationen wie die britische Zivilbevölkerung.
Und wir waren alles andere als zur Un¬
tätigkeit verdammt. Neben Fußball, Land¬
arbeit und Spaziergängen gab es Gespräche,
Diskussionen, Schachturniere, literarische
Abende, Konzerte und eine Jugendhoch¬
schule. Diese hatte ausgezeichnete Lehr¬
kräfte in vielen wesentlichen Fächern. Und
schließlich gab es den Jugendchor mit Erwin
Weiss. Erwin war sowohl Dirigent als auch
begleitender Klavierspieler. Ich kann mich
noch heute gut an ein baskisches Lied erin¬
nern, das wir unter seiner Leitung geprobt
und gesungen haben: ,,O canto se canto, re¬
modo rio, se canto patrio se canto dio.“
Danke Erwin Weiss!
Ernst Eisenmayer, Wien, 25.12. 2002
Theodor Kramer Gesellschaft
Die nächsten Veranstaltungen
Donnerstag, 13. Februar, 19 Uhr, 1010
Wien, Literarisches Quartier Alte Schmiede,
Schönlaterngasse 9:
Franz Kain lebt in der Zwischenwelt
Wimmer stellen die Ergebnisse der bisherigen
Franz Kain-Kolloquien vor (aufgrund einer
Textmontage von Konstantin Kaiser). Alenka
Maly zeigt den Film kainDenkmal.
Donnerstag, 27. Februar, 19 Uhr 30, 1020
Wien, ESRA, Tempelg. 5:
Fliichtlingskinder von Claire Felsenburg
Konstantin Kaiser spricht tiber galizische
Fliichtlinge in Wien, Elfriede Jelinek liest aus
ihrem Essay „Das flüchtige Jetzt“, Ilse
Aschner aus dem im Verlag der Theodor
Kramer Gesellschaft in Zusammenarbeit mit
dem Aktionsradius Augarten erschienenen
Buch. — Gemeinsame Veranstaltung mit
ESRA. Bitte mit Ausweis kommen (Sicher¬
heitskontrolle). Eintritt frei; Spenden er¬
wünscht. Wir bitten um Anmeldung:
01 214 90 14 oder info@esra.at.
Zuvor, 17.30-19 Uhr: Generalversammlung
der Theodor Kramer Gesellschaft (nur für
Mitglieder); Anmeldung unter 01 720 83 84
oder tkg @aon.at.
Donnerstag, 10. April, 19 Uhr 30, 1040
Wien, Antiquariat Buch & Wein, Schäfferg.
13a:
Bruno Heilig und der österreichische
Prominententransport nach Dachau (1. April
1938).
Vorstellung des in der Bibliothek der Provinz
2002 erschienenen Buches „Menschen am
Kreuz“ von Bruno Heilig. Mit Wolfgang
Neugebauer und Gerhard Heilig (Sohn). —
Gemeinsame Veranstaltung mit dem
Kulturverein Schäffergasse. Eintritt frei.
Freitag, 25. April, 20 Uhr, Krems-Stein,
Minoritenkirche:
Theodor Kramer Preis für Schreiben im
Widerstand und im Exil: Ein Fest für Fred
Wander
Mit Fred Wander, Karl Müller (Laudatio),
Miguel Herz-Kestranek (liest aus Wanders
Werk) und Theodor Kramer-Vertonungen
von Erwin Schmid (Jazzensemble). — Ge¬
meinsame Veranstaltung mit dem Unabhän¬
gigen Literaturhaus NÖ, Krems, und dem NÖ
Donaufestival. Eintritt frei; Buffet; Spenden
erwünscht. (Anmeldung: 01 720 83 84 oder
tkg@aon.at).
Wir werden einen Autobus Wien-Krems¬
Wien bestellen (Unkostenbeitrag 10 Euro);
Rückfahrt 22 Uhr 45; Anmeldung unbe¬
dingt erforderlich.
Mittwoch, 30. April, 19 Uhr 30, Linz, Adal¬
bert Stifter-Haus:
Theodor Kramer Preis 2003: Fred Wander
Mit Fred Wander, Karl Müller, Konstantin
Kaiser. — Gemeinsame Veranstaltung mit
dem Adalbert Stifter Institut des Landes
Oberösterreich.
Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils
und des Widerstands. Jg. 19, Nr. 4, Februar
2003. Eigentümer, Verleger: Theodor Kramer
Gesellschaft, Wien. ISSN 1606-4321. Zulas¬
sungsnummer 022030485 M.