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Die Geschäftsgründung war nicht unproblematisch. Gleich nach
Kriegsende wurde Deutsch in Paris nicht immer gern gehört.
Flinker steuerte dem entgegen, indem er 1948 „Appels aux alle¬
mands“, Thomas Manns Radioansprachen 1940-45, veröf¬
fentlichte. Unter den drei damals in Paris ansässigen deutschen
Buchhandlungen galt er der Hochkultur am meisten verbunden.
Mit strengen Kriterien trug er zur Verbreitung deutscher Literatur
und Philosophie entscheidend bei. Er übernahm den Allein¬
vertrieb für mehrere große deutsche Verlage und verwaltete die
französischen Abonnements für wissenschaftliche und philoso¬
phische Periodika. Gleichzeitig verlegte er selbst einige Werke
und gab — nun zweisprachige — Almanache heraus. Außer der
Veroffentlichung des Romans ,,Der Gott-Sucher“ 1949 und li¬
teraturkritischen Essays über sein Idol Thomas Mann ließ er in
den letzten Lebensjahrzehnten jedes eigene schriftstellerische
Schaffen ruhen. Zahlreiche Novellen, Geschichten und Betrach¬
tungen, vermutlich noch in Tanger geschrieben, blieben unver¬
öffentlicht und befinden sich in seinem Nachlaß’.

Karl Flinker, der Anfang der 1950er Jahre in der Schweiz ei¬
ne verlegerische Ausbildung absolviert hatte, war beim editori¬
schen Wirken des Vaters insbesondere künstlerisch beteiligt.
Ende der 1950er Jahre beschloß er jedoch, sich auf eigene Füße
zu stellen und eröffnete eine Kunstgalerie im Quartier Latin. Für
seinen Vater war das ein schmerzlicher Verlust.

Trotz Anerkennung seiner Aktivitäten, trotz aller Erfolge und
Auszeichnungen — Flinker wurde 1972 in die französische Ehren¬
legion aufgenommen - gelang es ihm nie, die französische
Staatsbürgerschaft zu erlangen, obwohl er seit 1952 darum an¬
suchte.

Mit seinen Freunden Penkala waren die Beziehungen Flinkers
inzwischen lockerer geworden. Mehrmals verbrachte er jedoch
mehrwöchige Urlaube in ihrer Nähe. Noch 1959 bedankte er
sich freundlich für Alice Penkalas soeben erschienenes Buch
Madame Leroux“.

Aus der Korrespondenz zwischen Penkala und ihrem alten
Freund Joseph Kalmer in London kann man allerdings schlie¬
Ben, daß ihre Wertschätzung im Laufe der Jahre deutlich nach¬
ließ. Kalmer, dessen Familie ebenfalls aus Cernowitz stamm¬
te und der Flinkers Vater und Bruder gekannt hatte, dürfte dies
in einem Brief 1958 — einer Buchbestellung — an Flinker erwähnt
haben. Er erhielt nie eine Antwort und erging sich in boshaf¬
ten Bemerkungen über „getaufte Juden“. Auch Alice Penkala
hatte Flinker offenbar auf seine Familie angesprochen und be¬
richtete Kalmer über diese Unterhaltung. Auch ihr gegenüber
wollte Flinker seine Herkunft nicht offenlegen.

(Ironie der Geschichte, von der Kalmer natürlich nichts ah¬
nen konnte: 1957 hatte Flinker die reformierte Kirche wieder
verlassen. In seiner Rechtfertigung wandte er sich gegen die
Exklusivität der Glaubensbekenntnisse mit dem Hinweis, der
einzige Gott sei religionsübergreifend.)

Es ist jedenfalls heute nicht mehr nachvollziehbar, was bei
diesen Begegnungen wirklich geschehen ist und was Flinker be¬
wogen haben mag, seine Biographie gegenüber manchen Per¬
sonen zu verschleiern. Eventuelle Aufschlüsse wären vielleicht
im Nachlass zu finden. Jedenfalls dürfte er er auch im Umgang
mit seiner alten Freundin so schwierig geworden sein, wie es
ihm manche Kunden nachsagten. Sein ganz der Arbeit gewid¬
metes Dasein — Privatleben scheint es kaum mehr gegeben zu
haben -, Bitterkeit und das Bedürfnis nach Anerkennung könn¬
ten vielleicht Erklärungsansätze liefern.

Anmerkungen

1 Siehe: Kultur gegen Barbarei ... In: ZW Nr. 1/2003, 88f.

2 Über Flinkers Leben und insbesondere die Arisierung seines
Geschäftes, s.a. die umfassende Darstellung Murray G. Halls auf der
Webseite www.literaturhaus.at, anläßlich der Flinker-Ausstellung im
Jüdischen Museum, Paris, 2002, sowie die Aufsätze von Isabelle Ples¬
koff und Rohi Greenwald in: Martin et Karl Flinker. De Vienne a Paris,
Paris 2002.

3 Offensichtlich eine Anspielung auf Leo Perutz’ Roman „Wohin rollst
du, Äpfelchen ..., der zuerst 1928 in der Berliner Illustrirten Zeitung
in Fortsetzungen veröffentlicht wurde. Der große Erfolg „verdankte
sich auch seinem Sujet, der Thematik des heimatlosen Helden, dem
die Heimkehr aus dem Krieg nicht gelingt“. Vgl. dazu Brita Eckert/
Hans-Harald Müller: Leo Perutz 1882 — 1957. Eine Ausstellung der
Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Wien, Darmstadt 1989, 185—
193.

4 Gemeint ist ihr Grundstück in den Hügeln außerhalb eines Dorfes
bei Nizza, wo sie die ersten Monate verbrachte.

5 Joseph Kalmer, Übersetzer, Journalist und Literaturagent, hatte be¬
reits in den dreißiger Jahren Alice Penkalas Kurzgeschichten vertrie¬
ben. Im Londoner Exil baute er dann ebenfalls eine Agentur auf, die
Zeitungen und Zeitschriften des ganzen deutschen Sprachraums mit
Kurzgeschichten versorgte.

6 Es handelt sich um „alte“ Francs

7 Flinkers Nachlass liegt im Pariser IMEC (Institut Mémoires de
l’Edition Contemporaine), einem bedeutenden Archiv des Verlags- und
Buchwesens. Er umfaßt Flinkers Werke und Schriften, Sammlungen
über Autoren oder erhaltene Manuskripte, Korrespondenzen mit un¬
zähligen vor allem deutschen und französischen Schriftstellern, Verle¬
gern, Zeitungen, Politikern, offiziellen Institutionen und Privatperso¬
nen (darunter eine Theresienstädter Leidensgenossin seiner Frau),
Artikel über Flinker, Lebensdokumente und Fotos.

Das Erste Wiener Lesetheater (Susanne und Ilse Aschner, Ale¬
xander Marcks, Felix Freitag) beim Proben für die einmalige
Uraufführung des Zwischenwelt-Sketches des Jahres, den der
anonyme Verfasser zwei Stunden vor der Aufführung rechtzei¬
tig ablieferte. „Der Besuch bei den Umzus“ wird auf Wunsch
gerne per eMail übermittelt. Die Redaktion ZW dankt allen Mit¬
wirkenden und Gästen, letzteren besonders für die Spenden! —
Vergessen wurde ein sandfarbenes Sakko, es wäre in der Redak¬
tion abzuholen.

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