terinnen zu Wort kommen läßt. In den ersten drei Jahren kann
sie so an die hundert Frauen zur Mitarbeit bewegen, wobei vie¬
le von ihnen überhaupt zum ersten Mal in ihrem Leben einen
Artikel schreiben. So berichtet Rosa Jochmann, damals Betriebs¬
rätin in der Chemieindustrie: „Ich war voller Entsetzen, es quäl¬
te mich wochenlang; wie sollte denn ich etwas schreiben? Aber
Käthe gab nicht nach ... natürlich hat Käthe unsere Beiträge über¬
arbeitet und eingerichtet, denn wir waren ja Stümper.‘”
„Was weiß die Frau Doktor um die Sorgen einer
Metallarbeiterin?“
Auch Rudolfine Muhr, Betriebsrätin und Funktionärin der
Metallarbeiter, konnte Käthe Leichter überzeugen. Die beiden
hatten sich im Krisenjahr 1929 auf einer Betriebsrätinnen¬
konferenz kennengelernt. Rudolfine Muhr berichtet uns 1952
rückblickend über diese Konferenz: „Käthe Leichter spricht dort
„.. über ‚Die Frau in der Gewerkschaft’. Ihren Namen kenne
ich wohl schon, denn sie ist Redakteurin der Frauenbeilage im
‚Metallarbeiter’. Eigentlich gefallen mir ihre Artikel, sie tref¬
fen immer den Nagel auf den Kopf. Trotzdem bin ich mi߬
trauisch, als ich die Einladung erhalte. Was weiß die Frau Doktor
um die Sorgen einer Metallarbeiterin? Was von unserem Kampf
im Betrieb, der von Tag zu Tag härter wird? Was weiß sie da¬
von, wie müde wir nach acht Stunden Arbeit sind, weil das
Tempo, vom Fließband diktiert, immer rascher wird”?‘®
Auch in Anna Boschek, seit 1919 erste Gewerkschafterin im
Parlament und ab 1928 Vorsitzende der Frauensektion der Freien
Gewerkschaften, findet Käthe Leichter eine praxiserfahrene
Partnerin.
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Viele wichtige Verbesserungen, wie zum Beispiel Achtstun¬
dentag, Gewerbeinspektion, Krankenversicherung, gewerkschaft¬
liche Freiheit und Mindestlöhne auch für Hausangestellte, wer¬
den in diesen Jahren angeregt und schließlich auch durchgesetzt.
Die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, eine bessere
Berufsausbildung für Mädchen, das Thema Doppelbelastung der
berufstätigen Frau, Gewinnung und Ausbildung von Funk¬
tionärinnen, sind ebenfalls immer wiederkehrende aktuelle
Fragen.
Käthe Leichter und Marie Jahoda
Auch Marie Jahoda gehörte, wie zuvor schon erwähnt, zum
„Netzwerk“ um Käthe Leichter . 1932 erschien die Studie „Die
Arbeitslosen von Marienthal“ von Marie Jahoda, Hans Zeisel
und Paul Lazarsfeld, die von der Arbeiterkammer mitfinanziert
worden war . Nach dem Februar ’34 sind Käthe Leichter und
Marie Jahoda beide für die Revolutionären Sozialisten tätig, ste¬
hen aber auch in wissenschaftlicher Verbindung und arbeiten
beide an internationalen Studien.
Käthe Leichter hat bekanntlich die Nazi-Greuel nicht über¬
lebt. Während ihrem Mann Otto und den beiden Söhnen auf
abenteuerliche Weise die Flucht gelungen ist und sie schlie߬
lich über diverse Stationen in die USA emigrieren konnten, wur¬
de sie im Jänner ins KZ Ravensbrück deportiert, von dort im
Frühjahr 1942 nach Bernburg/Saale gebracht und am 17. März
ermordet.
Die Frage am Anfang dieses Beitrages war, was das Be¬
sondere an Käthe Leichter sei. Neben ihrem Charakter, ihrer
Fähigkeit zur Kommunikation, ihrem scharfen Verstand, mit dem
sie wissenschaftliche Studien so zusammenfaßte, dass sie für
jeden begreifbar und für die politische Arbeit nutzbar waren,
ist es ihre Wachsamkeit, sind es vor allem ihre ständigen War¬
nungen vor dem aufkeimenden Faschismus, die für uns heute
nach wie vor wesentlich sind.
Am 15. November 1931 sagt Käthe Leichter dazu bei der
Sozialdemokratischen Frauenreichskonferenz in Graz: „Der fa¬
schistischen Massenbeeinflussung und ihren gefährlichen po¬
litischen Schlagworten sollen wir unsere Hauptagitation auf
gemütlichen Frauenveranstaltungen mit Nähkursen und Haus¬
haltsvorschlägen entgegensetzen? Nochmals: Auch das möge
getan werden, aber auch: in Massenveranstaltungen, Flugschrif¬
ten, Betriebs-und Arbeitslosenpropaganda dem verlogenen Drit¬
ten Reich gegenüber unser sozialistisches Ziel entwickeln.‘
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Postkarte von Heinz und Franz Leichter an Käthe Leichter,
20.6. 1938. Bundesarchiv Berlin, VGH 5683/43.