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vier Monate hatte die lebensgefährliche Odyssee gedauert. Man
schwebt natürlich weiter in Lebensgefahr, allüberall nur Be¬
satzungsmacht, die sich an den spektakulärsten Siegen labt, aber,
als die Siege in Niederlagen umkippen, ruft man auf zur Kolla¬
boration gegen den britischen und amerikanischen Imperialis¬
mus. Um nicht völlig zu verhungern, arbeitet Hans Mayer ge¬
legentlich als Möbelpacker, dann wieder als Deutschlehrer an
der Ecole Moyenne Juive de Bruxelles.

Widerstand in Brüssel

Längst hat er den Anschluß an den kommunistischen Widerstand
gefunden, um den er sich schon vor der ersten Verhaftung bemüht
hatte. „Zur Zeit als Hanns Mayer sich uns angeschlossen hat¬
te, zählte die Gruppe zirka 30-40 Mitglieder“, berichtet Gundl
Herrnstadt-Steinmetz. Hans Mayers Aufgabe sei es gewesen,
die vierseitige Widerstands-Zeitung Die Wahrheit zusammen
mit Marianne Brand herauszugeben und schritliches Material
zu verfassen, das dann vervielfältigt wurde. Es ist die öster¬
reichische Freiheitsfront in Brüssel, der er seine Dienste unter
dem Decknamen Roger Lippens anbietet. Marianne Brandt, ein
um zehn Jahre jüngeres deutsches Mädchen, das sich schon vor
der Besetzung Belgiens der Gruppe angeschlossen hatte, sei li¬
terarisch sehr interessiert gewesen, sie und Hans Mayer „sind
immer zusammen gewesen“. Die Druckerei, wie die Abzieh¬
maschine Marke Gstettner genannt wird, ist sogar einige Zeit
in ihrer Wohnung. Auch Jacques Sonnenschein beiteiligt sich,
er erinnert nächtliche Eskapaden — Juden durften nach 20 Uhr
nicht mehr auf der Straße sein —, in denen sie das Agitations¬
material gezielt zu verbreiten suchen. Streu-Aktionen seien es
gewesen in den Kasernenvierteln und in der rue Américaine, wo
es eine große Auto-Reparaturwerkstatt gegeben habe.

Breendonck (1943)

Am 23. Juli 1943 ist es dann so weit. Knapp drei Jahre nach
seiner ersten Inhaftierung, wird Hans Mayer zusammen mit Ma¬
rianne Brandt, einer der unerschrockensten Aktivistinnen — sie
war es, die ihn ursprünglich mit der österreichischen Wider¬
standsgruppe in Verbindung gebracht hatte — von der Gestapo
verhaftet. „Flugzettel-Affäre“, rekonstruiert Jean Amery 20 Jahre
später.

Die Gruppe, der ich angehörte, eine kleine deutschsprachi¬
ge Organisation innerhalb der belgischen Widerstandsbewegung,
bemühte sich um antinazistische Propaganda unter den Ange¬
hörigen der deutschen Besatzungsmacht. Wir stellten ziemlich
primitives Agitationsmaterial her, von dem wir uns einbildeten,
es könne die deutschen Soldaten vom grausamen Wahnwitz
Hitlers und seines Krieges überzeugen. Heute weiß ich oder glau¬
be zumindest, ich wisse [höhnt er 1965], daß wir unser dürfti¬
ges Wort an taube Ohren richteten: Ich habe manchen Grund
zur Annahme, daß die feldgrauen Soldaten, die unsere ver¬
vielfältigten Schriften vor ihren Kasernen fanden, sie stracks
und hackenklappend ihren Vorgesetzten weitergaben, die ih¬
rerseits dann mit der gleichen dienstlichen Fixigkeit die Sicher¬
heitsbehörden verständigten. So kamen diese letztgenannten uns
denn auch ziemlich schnell auf die Spur und hoben uns aus. Auf
einem der Flugblätter, die ich im Augenblick meiner Festnahme
bei mir trug, stand ebenso bündig wie propagandistisch unge¬
schickt: „Tod den SS-Banditen und Gestapohenkern“.

Der Ton dieser Retrospektive hat bei überlebenden Wider¬
standsgenossen verständlicherweise nicht wenig Anstoß erregt,

insbesondere bei Gundl Herrnstadt-Steinmetz, die in ihrer
Einleitung zum Dokumentationsband Österreicher im Exil.
Belgien 1938-1945 klagt, Amerys Bericht über diese Zeit klin¬
ge „nicht gerade schmeichelhaft“, was sie nicht davon abhält,
im gleichen Atemzug den Leser auf Amerys Buch Jenseits von
Schuld und Sühne zu verweisen, als „dem anerkannt besten Buch
über dieser Zeit“.

Nach der Festnahme wird Hans Mayer im Gestapo-Haupt¬
quartier in der Avenue Louise, heute der elegantesten Ge¬
schäftsstraße der EU-Hauptstadt, verhört. Komplizen? Adres¬
sen? Er gibt nichts preis, nicht dann und nicht später. Der
Politische wird noch am selben Tag nach Breendonck in die
Arrestzelle 13 verfrachtet, wo er bis zum 2.11. 1943 blieb. „Dort
geschah es mir: Die Tortur.“

Die Tortur - in der Fiktion (1945)

Was genau ihm an diesem 23. Juli 1943 „geschah“, findet zwei¬
mal seinen schriftlichen Niederschlag, einmal in der „Fiktiona¬
lisierung von 1945, zum andern in der mittlerweilen kanoni¬
schen Schrift „Die Tortur“ aus dem Jahr 1965. Als er den neuen
Roman Dornenkrone der Liebe in Angriff nimmt, einen Roman,
den er Ernst Mayer gegenüber als „radikale Autobiographie“ be¬
zeichnet, ist der KZ-Insasse soeben ins belgische Exil zurück¬
gekehrt. Das Fragment Reise um den Tod: Die Festung Derloven
macht somit einen ersten Versuch, vermittelt über sein alter ego
Eugen Althager, die Folterhaft in Breendonck zu „erzählen“.
Gemächlich hebt er an mit einer idyllischen Zeichnung der
flämischen Szenerie, getüncht in Gold, Blau und Grün: „Zwi¬
schen Mechelen und Antwerpen strömt in ruhigen Wiesen- und
Ackerwellen ein sanftes Land hin. Es ist durchrieselt von wei¬
dengesäumten Bächen“, vom „schwach durchzitterten Himmel“
ist die Rede, „an dem das flandrische Licht mattsilbern feucht
. zur Erde niedersickert“. Die „schwere(n) brabanter Zug¬
pferde“, die mit „hohen machtvollen Kruppen schreiten“, führen
fast übergangslos zu den „drohenden aus dem Boden hervor¬
brechenden Halbmond-Mäulern“ der „schwervergitterten Lu¬
ken“ dieses „schlimmsten Lagers Europas“. Das Erzähltempo
beschleunigt sich bis zum Paroxismus. Ein Spektrum der aus¬
geklügeltsten Todesarten wird hier inventarisiert:
Derloven war eine Walstatt des Todes. Des langsamen und
des schnellreitenden; des Hunger- und des Kältetodes, der plötz¬
lichen Angst-Apoplexie, des Rückenmark- und Genickbruch¬

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