Sterbens, des Folter-Zerräderns, des Revolverschusses, des
Stiefeltritt-Todes und des vergleichsweise humanen Todes der
regelrecht durchgeführten Füsilierung.
Vom allgemeinen geht er nun zum besonderen: „Dort... hat¬
te einst auch Eugen Althager, wie man das so nennt, dem Tod
ins Aug gesehen!“ Selbst das authentische Datum hat der
Erzähler seinem Autor entwendet: „Er (Althager, d.V.) war dort
an jenem 23. Juli 43 [...] der Folterung unterworfen worden.
Keiner außerordentlichen“, rückt er die historische Perspektive
zurecht, falls der Leser vergessen haben sollte, daß die Maßstäbe
der Normalität sich zwischen 1933 und 1945 in ihr genaues
Gegenteil verkehrt haben, „so ferne wir nämlich geneigt sind,
den Irrsinnsrahmen Derloven als das Ordentliche zu bezeich¬
nen, das es für seine Gebieter zweifellos war.‘ Der Erzähler
kommt nun zu der Martermethode, die eigens seinem Roman¬
helden vorbehalten ist. Minuziös dargestellt wird die technisch
perfekte Bauweise der Foltermaschine, sowie ihr Funktionieren.
Ausstreichungen im Manuskript spiegeln die Schwierigkeiten
wieder, mit denen Hans Mayer bei der Formulierung dieser
Beschreibung gerungen hat:
Man hatte Eugen Althager die klassische Marter appliziert:
Er [war?] gefesselt und in die Stahlzange, welche hinterm
Rücken seine Hände verband, griff ein zehn Zoll langer eiser¬
ner Haken, der seinerseits an einer vom Plafond in einer Zugrolle
herabhängenden Kette befestigt war. Diese Kette wurde nun an¬
gezogen und hinterm Rücken erhoben sich seine gefesselten
Hände, bis der Delinquent, um das Auskugeln der Armgelenke
zu vermeiden, unter Aufbietung seiner gesamten Muskelkraft,
sein eigenes Gewicht [...] mit nach hinten gestreckten Armen,
während er etwa einen halben Meter überm Boden hing, hal¬
ten und hegen mußte.
Dieser Schwebezustsand dauert nur einige Sekunden, bis die
Arme — ,,rasselnd“ und ,,knackend“ — aus den Gelenkpfannen
springen. Der Schmerz ist ,,m6rderisch“ und löst eine totale
„Sinneswirrung“ aus, die ihn in eine „inbrünstige Verehrung für
seine Marterer“ stürzt, er schreit um Hilfe, „Wahnsinnsappell
an die Menschengüte“. Der Appell wird erhört:
Einer der Funktionäre nahm einen meterlangen armdicken
Ochsenziemer und schlug auf den im Hängen Schaukelnden mit
aller Kraft los.
Die „Zeremonie“ dauert etwa eine halbe Stunde, „dann wur¬
de Eugen Althager ohnmächtig‘“. Der Häftling wird gefesselt
in die Zelle geworfen.
Wieder zur Besinnung gekommen, bedenkt er seine Situa¬
tion. Sein Wächter spricht seine Sprache: ‚,... die beiden Männer,
der Aufrechte und der Zerschlagene, der Gefangene und Wächter
[sprachen] die gleiche Mundart im halblauten gleichen ängst¬
lichen Ton.‘ Der Wehrsoldat verläßt die Zelle, wirft ihm eine
Minute später eine brennende Zigarette durch die Luke zu. Ein
Glücksrausch erfaßt Althager, der ihn zum Entschluß beflügelt,
sich das Leben zu nehmen, denn er weiß, daß er in einem zwei¬
ten Folter-Verhör alles preisgeben würde, was man von ihm ver¬
langt. Nacherzählt werden nun alle Etappen des - vergeblichen
— Selbstmordversuchs. Das in seiner Zelle herumliegende „vom
Rost verfranste Blech“ ist zu stumpf, um sich die Pulsadern auf¬
zuschneiden, scharf genug jedoch zur Selbstverstümmelung.
Auch bewahrt ihn der freundliche Wehrsoldat vorm Schlimm¬
sten, und Althager kommt zu der Erkenntnis, das er das „Blech¬
abenteuer“ nur gesucht habe, um die Gefahr von der Freundin
Agathe abzuwenden, nicht weil er wirklich sterben wollte. Und
schließlich weiß er die Gefahr von Agathe abzuwenden, ohne
sich umzubringen. Seine Aussagen befriedigen die Behörden,
so überzeugend vermag er seine Fiktionen vorzubringen. „Der
Häftling wurde zum Märchenerzähler“, berichtet der Erzähler,
„es war ein absoluter Triumph des Geistes über die Materie.“
Die Tortur - im Essay (1965)
Zwanzig Jahre später weiß der Essay es anders, kein Zweifel,
hier triumphiert die „Materie“ über den Geist. Der physische
Schmerz, der Körper ist es, genau, die Fleischwerdung, die den
Geist auslöscht. Die ästhetische Vorstellung, die im fiktiven
Derloven Triumphe feiert, vermag im realen Breendonck nichts
mehr auszurichten, oder, um mit Amery selber zu sprechen, zwi¬
schen dem „Tod in Venedig“ und dem Tod in Auschwitz läßt
sich keine Brücke mehr schlagen. Die Souveränität des Peinigers
setzt die Negation des Gepeinigten voraus, er herrscht buch¬
stäblich über dessen Leben und Tod.
Ein schwacher Druck mit der werkzeugbewehrten Hand reicht
aus, den anderen samt seinem Kopf, in dem vielleicht Kant und
Hegel und alle neun Synfonien und die Welt als Wille und
Vorstellung aufbewahrt sind, zum schrill quäkenden Schlacht¬
ferkel zu machen.
Im Gegensatz zu der Fiktion, spart Amery im Essay das Bio¬
graphische aus, um Grundsätzliches, ja, Paradigmatisches zu
destillieren.
Wie groß die Kluft zwischen vorwegnehmender Einbildung
und real Erfahrenem eigentlich ist, wird ihm erst a posteriori
bewußt. Damals, als er am 23. Juli 1943 in Brüssel festge¬
nommen wurde, ist Hans Mayer ganz sicher, daß es für ihn
„nichts Neues mehr geben [könne] auf diesem Felde: Gefäng¬
nis, Vernehmung, Prügel, Folter - am Ende aller Wahrschein¬
lichkeit nach der Tod: so stand es geschrieben und so würde es
verlaufen.“ Aber als das Gefängnis, die Vernehmung, die Prügel
und die Folter sich realiter ereignen, ist die Diskrepanz zwischen
der Vorstellung der Ereignisse und ihrem wirklichen Erleiden
so inkommensurabel, daß das eine mit dem anderen kaum noch
in Verbindung zu bringen ist. In der Vorstellung nämlich, sei sie
noch so genau, bleibt die vorwegnehmende Wirklichkeit bei der
ausschweifendsten Phantasie und verdichtendsten Poesie letzt¬
lich „chiffrierte Abstraktion“, sie klammert die sinnliche Erfah¬
rung, die Affekte aus.
Auch der Essay „Die Tortur“ hat seine eigene Dramaturgie,
eine Dramaturgie, die es eilig hat, eine Dramaturgie, die nicht
chronologisch vorgeht, sondern eine, die im Zeichen des Zeit¬
sprungs steht. Hier das Ereignis, dort die Folgen in der Jetztzeit.
Kein retardierender Landschaftsprolog wie in der „Festung
Derloven“, kein Erzähler - im Essay spricht das Ich, ein Ich oh¬
ne Gewähr. Es ist die Präzision des Stils, die verblüfft, vor al¬
lem, wenn es darum geht, Gefühle in Worte zu übersetzen. Ein
Prozeß wird angestrengt: Nachforschung - wie bin ich dorthin
gelangt? —, Ermittlung: historisch philosophisch, existentiell.
Hier wird die Erinnerung nicht bemüht zur Simulation der Ge¬
schichte, sondern Erinnerung konstituiert sich erst über die
Deutung der Geschichte. Das Verhör zwischen Folterknecht und
Opfer verwandelt sich im späteren Essay zu einem Verhör des
Opfers mit sich selbst.
Im Essay zur Tortur begreift sich das Opfer Hans Mayer all¬
gemein als Opfer des Nationalsozialismus, nicht als ein spezi¬
fisch jüdisches Opfer, wie dies in seinen späteren Nachfragungen
der Fall ist. Das ist ein Unterschied, denn das jüdische Opfer
ist ja von vornherein aus dem allgemein menschlichem Bereich
ausgeschlossen „Folter“, weist Amery nach, war „die Essenz
des Nationalsozialismus“, sie war nicht seine Erfindung, wohl