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Es gibt Leute, die haben nie das richtige Alter
für die oppositionellen Bewegungen, die gera¬
de angesagt sind. Wer Ende der 1920er Jahre
geboren wurde, gehört dazu. Zu jung für den
Widerstand im Faschismus, zu alt, um 1968
auf die Barrikaden zu gehen. Als Antihelden
jedoch, als Solitärpartisanen, kennen sie sich
an den Rändern des Aufruhrs aus. Sie machen
Schlagzeilen, aber kaum jemand nimmt Notiz.
Sie setzen Dinge in Gang und bleiben den¬
noch allein. Ihr Idealismus macht sie zu Au¬
Benseitern, obwohl „Verlorene Generationen“
mit den Helden vor ihrer Zeit sowie den Nach¬
kommenden im Austausch sind. Manchmal
werden sie zu Vermittlern.

Beate Schmeichel-Falkenberg ist so eine.
1933 ist sie sechs. Als Zehnjährige wird ein
Verfahren gegen sie angestrengt, weil sie das
„Guten Tag‘ dem Hitlergruß vorzieht. „Aus
Trotz“ sagt sie. Am Tag nach dem Synago¬
genbrand in Hamm rettet sie jüdische Kultge¬
genstände aus dem Feuer. 1942 erfährt sie
aus authentischer Quelle, wie es in KZs zu¬
geht und erzählt es weiter. Kurz vor Kriegs¬
ende wird sie wegen Spionage zu 14 Tagen
Zellenarrest verurteilt, weil sie BBC gehört
hat. Da die Post schon nicht mehr funktio¬
niert, wird ihr das Urteil allerdings erst nach
der Kapitulation zugestellt.

Aus Trotz wurde Widerspruch, der sie bis
heute prägt. Dennoch wird es mehr als vier¬
zig Jahre dauern, bis Beate Schmeichel-Fal¬
kenberg in ihrer Arbeit an ihren Erfahrungen
der NS-Zeit anknüpft. Dazwischen arbeitete
sie für den BBC und als Fernsehmoderatorin
beim WDR. Sie ist Lehrerin und Pionierin
der Behindertenpädagogik. Sie gründet eine
Schule und leitet sie. Sie sucht den Kontakt
zu Emigranten und lebt selbst in den 1950er
Jahren in England. Sie unterstützt die 68-Be¬
wegung und die Friedensbewegung der
1980er Jahre. Sie wird Spezialistin für Exilli¬
teratur und gründet die Tucholsky-Gesell¬
schaft. Dann allerdings zeigt sie mit ihren
Fingern auf eine Unterlassungssünde: Den
stiefmütterlichen Umgang mit Emigrantin¬
nen. 1990 organisiert die damals Sechzigjäh¬
rige in der Gesellschaft für Exilforschung die
erste Tagung zu „Frauen im Exil“. „Ich
möchte den Alltag von Frauen in die Ge¬
schichtsforschung gebracht wissen“, sagt
Schmeichel-Falkenberg, „denn am Alltag
zeigt sich das Leben und die Kultur.“

Diese Forderung ist nicht neu. Jahrelang
hat die Frauenbewegung darauf gepocht,
wenig ist passiert. In den vielfach konser¬
vativ ausgerichteten Historikerzusammen¬
hängen hält sich die Meinung, dass Frauen
nichts zur Geschichte beitragen. Die West¬
fälin aber ist eine Frau der Tat. Revier¬
kämpfe sind ihr fremd. Mit Verve stürzt sie
sich in die Organisation der Tagung. Sie
plant das Konzept, kontaktiert Emigrantin¬
nen in aller Welt, treibt Geld auf, macht das
Programm. Beate Schmeichel-Falkenberg
versprüht Energie, die ihresgleichen sucht.
In einem einzigen Punkt ähnelt sie gar Na¬

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poleon. Wie er braucht sie kaum Schlaf.
Auf der ersten Tagung zeigt sich, dass „Oral
history‘ nicht nur das Bindeglied zwischen
Vergangenheit und Gegenwart ist, sondern
auch zwischen Geschichte und Politik“. Die
geladenen Zeitzeuginnen können For¬
schungsergebnisse durch ihre Erfahrungen
vielfach ergänzen und korrigieren.

Beate Schmeichel-Falkenberg ist es ge¬
wohnt, Prozesse in Gang zu setzen. Das ist
der Vorteil von Außenseitern, dass sie keine
Peergroup brauchen, um tätig zu sein. Schon
als Studentin hat sie in Göttingen mit Freun¬
den den Protest — und damit ihre erste De¬
monstration — gegen Veit Harlan organisiert.
Mit dem Film „Hanna Amon“ nämlich sollte
dessen Nachkriegskarriere in Gang gebracht
werden. Die Studenten und Studentinnen
schaffen es nach 1945, dass der Regisseur
von „Jud Süß“ nicht gewendet zu neuen Eh¬
ren kommt.

ne

Gegen das Vergessen ist sie zeitlebens aktiv.
Im Privaten wie im Beruf. Anfang der 1950er
Jahre verliebt sie sich Hals über Kopf in
Hans-Geert Falkenberg und heiratet ihn. Er
hatte den Krieg als Halbjude versteckt in
Deutschland überlebt. Dazu gehört jedoch
auch, dass sie eine Zeitlang in Münster am
Institutum Judaicum arbeitet und dass sie
Frauen in jüdischen Altersheimen in New
York besucht und sich deren Geschichten er¬
zählen lässt. „Ich kann nichts wiedergutma¬
chen, aber ich kann es heute gut machen.“ Sie
will ein Wissen festhalten, um es weiterzuge¬
ben. Wie damals als Schulkind.

Mit der Arbeit an den Tagungen zu „Frauen
im Exil“ knüpfte Schmeichel-Falkenberg ih¬
re vielen Lebensfäden zusammen. Die zehnte
und letzte der von ihr mitorganisierten Ta¬
gungen in der Moritzburg in Halle stellte
Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen in
den Mittelpunkt. „Wer das Leben der Men¬
schen von damals kennt, wird verstehen,

warum Erinnern wichtig ist, damit sich die
Geschichte nicht wiederholt.“
Waltraud Schwab

Beate Schmeichel-Falkenberg ist mit Siglin¬
de Bolbecher Herausgeberin des achten
Jahrbuches „Zwischenwelt“ der Theodor
Kramer Gesellschaft: „Frauen im Exil“ wird
im Herbst 2001 im Drava Verlag erscheinen.

Jenseits geordneter
Orientierung

Zur 10. Tagung „Frauen im Exil“
über emigrierte Künstlerinnen und
Kunsthistorikerinnen

Hans Grundig hat 1934 ein Portrait von He¬
len Ernst gemalt: eine in sich zusammenge¬
sunkene Frau. Ihre Augen sind auf einen
Punkt gerichtet, der jenseits geordneter
Orientierung liegt. Die Farbe ihres Gesichts
ist von einem grünen Hauch
überzogen. Das grelle Rot
ihrer Lippen ist die einzig
klare Farbe im Bild. Sie
wirkt wie nachträglich auf¬
getragen. Als Erinnerung
daran, dass eine Dreißigjäh¬
rige eigentlich jung, hübsch
und begehrenswert ist.
Helen Ernst wurde 1904 ge¬
boren. Mit 27 trat die Male¬
rin in die KPD ein. Sie ar¬
beitete als Pressezeichnerin
für die Rote Fahne. 1933
wurde sie verhaftet. Ein
Jahr später konnte sie nach
Amsterdam emigrieren. In
dieser Zeit entstand Grun¬
digs Portrait. In Gesicht,
Blick und Haltung der
Künstlerin wird das kom¬
mende Grauen vorweg ge¬
nommen. Nach dem deut¬
schen Überfall auf Holland
wurde sie erneut verhaftetund überlebte vier
Jahre KZ Ravensbrück. Nach der Befreiung
trat sie 1946 der SED bei, wurde aber wegen
angeblicher Spitzeltätigkeit für die SS de¬
nunziert. Zwar wurde sie 1948 rehabilitiert,
aber im selben Jahr starb Helene Ernst im
44. Lebensjahr.

Das Portrait wurde für drei Tage neben die
Eingangstür zur „Turnhalle“ der Staatlichen
Galerie Moritzburg in Halle an der Saale ge¬
hängt. Als Hommage der Moritzburg an die
10. Tagung „Frauen im Exil“, die vom 27. bis
29. Oktober dort stattfand und sich mit dem
Themas „Künstlerinnen und Kunsthistorike¬
rinnen im Exil“ auseinandersetzte.
Schriftstellerinnen, Theater- und Filmstars,
aber auch Fotografinnen wurden bei der Auf¬
arbeitung der Shoa schneller in Erinnerung
gerufen als Bildende Künstlerinnen. Die Ma¬
lerinnen Lea Grundig, Charlotte Salomon,
Charlotte Lovis-Corinth, Helen Ernst haben
einen — wenn auch kleinen — Platz im Kunst¬