Zweiter Teil
Versicherungen im Dritten Reich
Als ich einigen Freunden den Entwurf zu diesen Ausführungen
zugesandt hatte, erhielt ich als Gegengabe eine von der „Deut¬
schen Allianz“ in Auftrag gegebene wissenschaftliche Unter¬
suchung des amerikanischen Historikers Gerald D. Feldman über
„Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933¬
1945“.’ Teile dieser Arbeit erwiesen sich auch für mich als Fund¬
grube für das Schicksal der „Städtischen“ unter der Nazi-Herr¬
schaft. - Darstellungen in der „Versicherungsgeschichte Öster¬
reichs“, insbesonders die Beiträge unseres Kollegen Peter Ulrich
Lehner, seine Interviews mit Dr. Rudolf Raschendorfer (nach
dem Zweiten Weltkrieg Leiter der Landesdirektion Öberöster¬
reich) und die von Lehner zitierten Erinnerungen des Dr.
Neumayer selbst, aus dessen Beamtenlaufbahn, gestatten es auch,
dieses Bild noch weiter zu ergänzen.
Eigentlich ist es merkwürdig, dass ein Bericht über die Ver¬
hältnisse der Zeit 1938 — 1945 so früh, nämlich mit der Gründung
der Wiener Wechselseitigen Brandschaden im Jahre 1824 be¬
ginnen kann. — Ich zumindest halte dies für historisch reizvoll.
Die Ur-Geschichte der „Wiener Wechselseitigen Brandscha¬
den“ und damit der heutigen „Städtischen“ ist wohl hinreichend
bekannt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die Zerschlagung
der Zunftordnungen durch die Napoleonischen Kriege grund¬
legende Neuordnungen notwendig gemacht; vor allem auf dem
Gebiet der Bekämpfung der damals häufigen Brandkatastrophen
und ihrer Folgen. Der heroische Einsatz des Gründungsvaters
der „Wiener Wechselseitigen“, des Ritters von Högelmüller, hat¬
te, was einen Teil dieser Probleme betraf, nämlich den der Brand¬
folgen, nach langen Kämpfen in Österreich zu einem Ersatz der
verschwundenen Gildensolidarität im Sinne des hier herrschen¬
den Josephinismus geführt; also zur Lösung dieses Problems
durch private Initiative unter staatlicher Kontrolle - zum Versi¬
cherungsverein auf Gegenseitigkeit. Entgegengesetzte Meinun¬
gen ließen im deutschen Reichsgebiet — von Schleswig-Holstein
bis Baden-Durlach — 6ffentlich-rechtliche Anstalten entstehen,
also Staatsanstalten.
120 Jahre später tauchten diese alten Richtungskämpfe ei¬
genartigerweise wieder auf, wenn auch unter ganz anderen
Vorzeichen. Sie wären für die „Städtische“ leicht zur Schicksals¬
frage geworden.
Der Historiker Feldman bezeichnet das Regime des National¬
sozialismus einige Male als ,,Polykratie“. Diese Auffassung mag
im ersten Moment tiberraschen, angesichts des extrem dikta¬
torischen, nach außen hin auf „Führertum“ hin ausgerichteten
Charakter dieses Herrschaftssystems. Bei näherer Betrachtung
sieht man allerdings, dass es innerhalb dieses Regimes die schärf¬
sten Kämpfe unter verschiedenen Machtgruppen gegeben hat;
nicht zuletzt auch in und um die Versicherung.
Es ist hier nicht der Raum, diese Kämpfe, die Personen und
Institutionen, die sie geführt haben, auch nur in groben Umrissen
zu beschreiben: Ich will mich darauf beschränken, der Ge¬
schichte nur soweit nachzugehen, soweit sie für die „Städtische“
relevant war.
Die leitenden Leute der „Allianz“ und der „Münchener Rück“,
waren im wesentlichen die Vertreter ihrer Unternehmungen und
der „Branche“. Feldman bezeichnet diesen Komplex recht bild¬
haft als die „Familie“. Persönlich nahmen diese Leute äußerst
unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Regime ein. Trotz¬
dem dürften sie, was die „‚Familie‘ betraf, in jeder Beziehung,
während der ganzen Dauer dieses Regimes untereinander ei¬
nig geblieben sein. Sie dürften sich aber auch völlig einig ge¬
wesen sein in dem, was sie für die Wohlfahrt des Deutschen
Reichs für richtig hielten, und so hatten sie keine Scheu, auch
die wachsende Machtstellung, die durch die Expansion des
Dritten Reichs enstanden war, für ihre Unternehmungen aus¬
zunützen. Das führte auch zu einer merkwürdigen Januskö¬
pfigkeit gegenüber dem Westen und dem Osten.
Ihre Gegner fanden sie im radikalen Flügel der Nazi-Partei:
verkörpert vor allem durch die SS und den Vorsitzenden des
Verbandes der „Öffentlich-Rechtlichen“, Franz Schwede-Co¬
burg, für den der Kampf gegen die Privatversicherung eine ideo¬
logische Angelegeheit war. Schwede-Coburg war ein „Alter
Kämpfer“. Feldman beschreibt ihn als einen Mann mit mör¬
derischen Neigungen und als absolut unzugänglich für ver¬
nunftgemäße Argumente, als einen Mann, der keinen Wider¬
spruch vertrug. Ein Foto in Feldmans Buch zeigt ihn, eine bul¬
lige Figur in einer Uniform, vermutlich der eines „Goldfasans“.
Er war nicht nur Versicherungsfunktionär sondern auch Gau¬
leiter der NSDAP und Oberpräsident, also Regierungschef von
Pommern. Sein nächster Mitkämpfer war Hans Goebbels, Di¬
rektor der Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der Rheinpro¬
vinz und Bruder von Joseph Goebbels, gerade dadurch auch im
höchsten Grade gefährlich. Als Dritter kam noch ein Herr Amend
hinzu.
Den Krieg sahen die führenden Leute der Branche mit Besorgnis
auf sich zukommen; was ja wohl für einen Versicherer keiner
weiteren Erklärung bedarf. Die Hinausdrängung der Juden aus
der Wirtschaft war ihnen, wie Beispiele zeigten, unangenehm;
die Gesellschaften verloren nicht nur eine große Zahl wichti¬
ger Mitarbeiter, sondern gleichzeitig auch durch die Eliminierung
des jüdischen Anteils an der Wirtschaft einen großen Markt. Die
Pogrome des Jahres 1938, deren Schäden sie zu einem ge¬
wichtigen Teil zu ersetzen hatten — wenn auch nicht den Ge¬
schädigten —, waren sicher ebenfalls sehr unangenehm. Ein ganz
wichtiger Streitgegenstand war zudem der Verbleib der aus¬
ländischen Versicherer in Deutschland, vor allem der Schweizer
und ihrer sehr starken Tochtergesellschaften, gegen den
Schwede-Coburg und Konsorten Sturm liefen.
Der radikale Flügel der SS drängte von Anfang an auf die
Verstaatlichung der Versicherung und die Hinausdrängung der
Ausländer; die Kampagnen hiefür führte er auch in dem ge¬
fürchteten Organ der SS, dem „Schwarze Korps‘ und nicht oh¬
ne rüdeste persönliche Angriffe.
Für Schwede-Coburg und Kumpane wurde dieser Kampf ge¬
gen die Schweizer immer wieder aktuell, nach der Annexion
Elsaß-Lothringens, wo die Schweizer Versicherungen sehr star¬
ke Positionen hatten, nach der Einverleibung von Eupen¬
Malmedy. Nach der Errichtung des riesigen „Warthegau“ im
Osten hatte Schwede-Coburg (nach einer nicht näher kom¬
mentierten Bemerkung Feldmans) gleich das ganze Versiche¬
rungswesen auf das System der öffentlich-rechtlichen Anstalt
umgestellt, ohne jemanden zu fragen — auch nicht die in Wirk¬
lichkeit einzig zuständige Stelle, das Reichswirtschaftsminis¬
terium.
Die Verdrängung der Italiener, also der „Generali“ und der „Riu¬
nione“, konnten die Herren der Privatversicherung durch eher