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Liebesnacht an italienischer Front
Frühjahr 18

Ich bin so müde von dir,
meine Seele fällt schwer ab,
sucht im schrägen Bogen der Gärten
fremderen Stern.
O wie das Viele der Dinge erloschen ist,
Der Weinberg schwarz und verbrannt
und durchlöchert nach innen
Strauß von erkaltender Asche der Pfirsichbaum.

Daß in den Herzen die Pause sich tiefer behält!

Eisen und Scherben des Tages sich rot
überdachen.

Kalt streicht die Welt.

(28./29.12.1919)

Die Zeit verwandelt und verklärt, und so heißt
es am 19.10. 1931:

Krokus in Fraelacco

Es waren lange Nächte, die wir beide

im Bett verbrachten, schwach vom Mond
erhellt:

du, eine Magd, noch jüngst im Nonnenkleide,

und ich, Soldat, vorm Abtransport ins Feld.

Vorm Fenstergitter rauschten die Geranien;

es brannte uns des Gaumens wunde Haut,

gebeizt vom süßen Mehl der Bratkastanien

und pelzig vom Nostrano aufgerauht.

Wir sprachen wenig, knisternd fror im Garten
der Tau, der schwarz an den Muskaten hing;
viel nahmen aus der Schwinge wir vom zarten
blaßgelben Krokus, der uns weich umfing.
Die kühlen Kelche netzten unsre Wangen,
das Reisig netzte uns die Lenden wund;

so lagen wir, kaum daß je das Verlangen

sich völlig stillte, stöhnend Mund an Mund.

Erst gegen Morgen ließen tief ins Kissen

sich unsre Schultern fallen ohne Kraft;

sacht kam das Blut zum Stocken in den Rissen

und stand gemischt mit gelbem Krokussaft.

Und nackt im süßen Hauch von Blut und
Blumen

entschliefen wir, an Art und Sprache fremd,

bis jäh uns trieb zu den Kastanienkrumen

der Hunger und die Gänsehaut ins Hemd.

Noch 1947, in England, war seine Erinnerung
noch so stark, daß er ihr — an zwei aufeinander
folgenden Tagen — endgültige Gestalt geben
wollte: in dem folgenden Gedicht und in
„Krokus und Dornen“ (9.3. 1947).

Strohwein in Fraelacco

Das war in Fraelacco im Achtzehnerjahr,

die Augen wie Mandeln und pechschwarz dein
Haar;

ich kam nach dem Dienst in dein kühles Gelaß,

mir trieb in die Augen das salzige Naß

der goldene Wein von Sedylis.

Ob eins kaum die Sprache des andern verstand,
breit war unser Bett wie ein eigenes Land;
wir lagen auf Krokus und dornigem Schnee,
es taten die blutigen Lippen uns weh

vom goldenen Wein von Sedylis.

Kaum warn wir entschlafen, es war noch nicht
hell,

so rief die Trompete mich schon zum Appell;
wie brauste die Stirn auch, mir gab einen Ruck
auf nüchternen Magen ein einziger Schluck
vom goldenen Wein von Sedylis.

(8.3.1947)

Anmerkungen

1 Bestand „Briefe Kramer-Kilian“ im Deutschen
Literaturarchiv in Marbach am Neckar, Brief vom
15.3.1936.

2 Theodor Kramer: Gesammelte Gedichte, hg. v.
Erwin Chvojka, Band 3, 727.

3 Magistr. Bezirksamt Wien f.d.IX. Bezirk: Land¬
sturmmusterungsschein H, Br, 1417.

4 Haupt-Grundbuchsblatt Blatt-Nr. G 780, Kramer,
Theodor.

5 Unterabteilungs-Grundbuchblatt Blatt-Nr. G 780,
Kramer, Theodor.

6-9 Wie Anm. 5.

10 Meldungsbuch des außerordentlichen Hörers
Theodor Kramer, 10. Mai 1918.

11 Mitteilung von Kramers Bruder Richard an den
Verfasser.

12 Wie 3), sowie Anton Sichelstiel: Geschichte des
k.k. Schützenregimentes Wien Nr. 24. Wien 1928,
131.

13 Wie 5).

14 Wie 5): Soll heißen: „dem Inspizierenden (das
war laut dem Standardwerk „Österreich-Ungarns
letzter Krieg 1914-1918“ Beilage 32, S.18,
Feldzeugmeister Tamäsy von Fogaracs) zugeteilt“,
und nicht, wie vom Verfasser in seinem Aufsatz
„Versuch, das Wuchern von Legenden zu verhin¬
dern“ fälschlich behauptet, „als Inspizierender“.
Siehe: Theodor Kramer 1897 — 1958. Dichter im
Exil. Hg. von Konstantin Kaiser. Wien 1983 (Zirkular
Sondernummer 4), 60.

15 Wie 12), 193.

16 Vgl.: Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914¬

a)
Tarcento März 1918

Die Sterne sind im Hafen,
Die Wiesen kühl und matt.
Auf gelbem Krokus schlafen
Die Huren in der Stadt.

Die runden Marmorbänke

Sind vor Magnol(i)en klein.
Soldat tritt aus der Schenke,
Umtropft von schwarzem Wein.

In traurigen Gelassen

Geht irgendwo ein Sang.
Da lehnt er sich an Eisen,
Vor fremden Blicken bang.

(7./8.8. 1922)

1918. Hg. v. Osterreichischen Kriegsarchiv. 7.
Band: Das Kriegsjahr 1918. Wien 1938, 591: ,,Am
23.10. abends meldete FM (Feldmarschall) Boroevic
nach Baden (Armeehauptquartier), daß „besonders
bei Marschformationen die Meinung um sich greift,
daß sie wegen der (von Kaiser Karl zugesagten)
Bildung neuer Nationalstaaten nicht mehr ver¬
pflichtet seien, an der italienischen Front zu kämp¬
fen, sondern in ihre Heimat eilen müßten, um diese
zu schützen ...“ (Ungarische Einheiten hätten sich
„schon am 21. Oktoüber aus dem Marschforma¬
tionsübereiche entfernt; sie aufzugreifen wäre un¬
möglich gewesen.“)

17 Carta automobilistica Touring Club Italiano, Blatt
6.

18 Wie 2), Band 1, 132.

19 Skizze für den Schlesischen Rundfunk, 4.6.1931“
in: Theodor Kramer 1897-1958. Dichter im Exil. Wie
14), 109.

20 Wie 2), Band 3, 388.

21 Wie 2), Band 3, 415

22 Nachlaß: Korr./Ben 3

23 Wie 12), 153.

24 Wie 19), 109.

25 Wie 17).

26 Kolloquienzeugnis vom 2. Juli 1918: „Geschichte
Italiens“ bei Ludo Hartmann.

27 Wie 2), Band 2, 27-31

28 Vgl.: Oberitalien. Handbuch für Reisende von
Karl Baedecker, Achtzehnte Auflage, 517.

29 Wie 2), Band 3, 32.

30 Wie 2), Band 3, 30.

31 Memorandum über die Antworten von Frau Rosa
(Inge) Kramer aufeinige Fragen von Erwin Chvojka
in den Mokkastuben, Wien XV, am 30. August 1962,
Blatt 1, S. 1, Archiv Erwin Chvojka. (In diesem Me¬
morandum sind die Mitteilungen von Frau Kramer
in dritter Person wiedergegeben; sie wurden hier in
die erste Person gesetzt.)

32 Nachlaß: Korr/Vr. 6.

33 Nachlaß: Korr/Ben. 3.

34 Gespräche mit Inge (Rosa) Kramer in Brand/
Vorarlberg am 1. August 1961 auf der Bergstation
Niggenkopf der Gondelbahn, S. 1, Niederschrift,
Archiv Erwin Chvojka. (Änderungen im Zitat wie bei
Anm. 31.)

35 Wie 31), Blatt 3, S.1, Archiv Erwin Chvojka.

36 Nachlaß: Korr. Vr. 11.

37 Nachlaß: Korr. Max Kramer 1.

38 Nachlaß: Bestand Korr. Paul Ellenbogen.

39 Laß still bei dir mich liegen. Wien 2005, 98

40 Wie 17): „Sedilis“.

b)
Mittag im Süden

Die Sonne legt bergan sich auf die Steine
und löscht das eigne Licht der Minze aus;
zu Glanz erstarrt stehn die Olivenhaine,
Fels, Gras und Laub glühn steinig-grün

und kraus.
Der Schatten saugt sich auf; die Quadernwege
allein stehn eingeschnitten in das Land
wie in beglänztem Grünspan ein Gepräge;
aus einem Spalt rinnt eine Handvoll Sand.

Eins ist das Land und nicht an sich zu messen;
der Himmel selbst verlöre seinen Saum,
erhöben wider ihn nicht zwei Zypressen
den Doppelkeil und teilten schwarz den Raum.

(Nachlaß: Abschrift ohne Datum)

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