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wie in den Reden allzuvieler Politiker (Anmerkung: Warum nur
redet der Finanzminister immer so hastig? Was treibt ihn so von
Wort zu Wort?). Es wird, wieimmer in Krisensituationen, dem Volk
Sand in die Augen gestreut. Anstatt jene Kreise zu benennen (und
strafrechtlich konsequent zu verfolgen), die Millionen Euro dem
Staat und damit der Allgemeinheit vorenthalten respektive geraubt
haben, ist der „Asylant“ das große Thema. Vielleicht erleben wir es
noch, dass in den Aschermittwochreden, die mittlerweile zu jeder

Vera Hacken

Gespräch mit Gott

Aus dem Jiddischen von Gottfried Brenner

Und falls ich sündige, mein Gott,

Und falls ich sündige, mein Gott,

weil ich den Tag mit fröhlichem Gemüt begrüße,

weil es nach Leben mich, nach Leben ohne Unterlaß gelüstet,
weil lachend, tanzend, singend ich den Tag verbringen will
und immer lauter, bloß weil mir die Sonne scheint

und warm und hell ist und nicht untergehen will! —

so straf mich, Gott, falls sündig mein Begehr,

doch straf mich nicht in meiner letzten Stunde!

Strafe mich fort und fort in jeder Nacht mit deinem Albtraum:
Das triffst du meisterhaft in deiner Art!

Lass sie nur kommen, jene bleichen Schatten,

die lautlos aus den dunklen Winkeln meiner Nacht

zu grauen Angstgestalten sich verknoten,

die nicht wie ich das Heute und das Morgen kennen.

Straf mich mit meiner bittren Tränen Jammer,
in trostlos langen Nächten voller Qual.
Erwecke wieder die Erinnerung in mir

an meine Welt, die längst verbrannt ist,

zu Asche wurde, ohne eigne Schuld,

und an die Schreckensbilder jener Hölle,

die anzusehen meine Zeit mich zwang.

Hörst du mich, Gott?

Und gibt es dich?

Wenn es dich gibt, erhöre meine Gebet

und gib mir Antwort, du:

Wie lange soll dies Spiel noch weitergehen?

Du legst den Brand, und überall

brennt lichterloh die Welt zu Schlacke —

du, deine Welt, dein Werk! Du siehst sie lodern.

In deinen Händen war die ganze Macht,

wo aber warst du damals,

als, was mir schemenhaft im Traum erscheint,
vor deinen Augen, Gott, geschah?

Was greifst du in mich, forderst du von mir?
Steht dir das zu?

So nimm von mir die schwere Bürde!
Unsagbar schwer ist deine Schuld, für sie
hast du zu büßen, du allein — nicht ich!

Jahreszeit stattfinden, „Asylanten“ auch für die Finanzkrise, das
Desaster der AUA, der ASFINAG, der ÖBB, für Betriebsschlie¬
Rungen sowie für die Krise der EU und des Euro verantwortlich
gemacht werden).

Der Machtlosen darf sich jeder bedienen, für die Mächtigen gilt
stets die Unschuldsvermutung.

Statement bei der von der Grazer AutorInnenversammlungveranstalteten Lesung
für die „Freiheit des Wortes“ am Campus der Universität Wien, 9. Mai 2010.

Ich halte meine Ohren zu, ich will nichts hören,
ich will nicht sehen, was du ohne meine Schuld
mir aufgebürdet. Sie sind nun einmal tot, und auch
der Kaddisch wurde zeitgerecht verrichtet.

Auch Kerzen zünd ich ihnen an, mein Lebtag,

und zähl nicht nach — du hast mein Wort dafür.
Ich aber lebe, hörst Du, Herr, ich lebe!

Weshalb ertönt aus meinen Liedern ungedämpft
ihr Rufen und ihr Klagen immer wieder?

Und Täuschung ist mein Lied und rings um mich
ist's dunkel nur, blutrot die matte Sonne.

Wie machtlos ist der Mensch!

Du weißt ums Deine und ums Meine auch

und hast mich lebenslang verspottet,

gelächelt über meine Schwäche, mein Gezappel.
Ich bin allein, so ganz allein mit mir —

du aber wirfst auf mich voll Hohn den Packen Schuld,
der dir allein zukommt!

Und was tue ich?

Ich fang ihn auf und trage, trage, trage

die Schuld — die nicht die meine ist.

Vera Hacken (1912 Odessa — 1988 Englewood, New Jersey). Die Tochter
des Arztes Jascha Altmann lebte mit ihrer Familie ab 1922 in Czernowitz.
Sie ließ sich zur Kindergärtnerin ausbilden und war befreundet mit Elieser
Steinbarg. 1932 heiratete sie den späteren Arzt Emanuel Hacken. 1941 floh
das Ehepaar in die Sowjetunion. 1944 kehrten sie nach Czernowitz bzw.
Bukarest zurück, wo Vera Hacken als Regisseurin arbeitete. 1948 gingen sie
nach Garmisch-Partenkirchen (Bayern). 1951 wanderten sie in die USA
aus. Vera Hacken arbeitete in New York als Dramaturgin und Regisseurin
und publizierte Erzählungen, Gedichte und Erinnerungen in jiddischer und
deutscher Sprache. Ihr Sohn George wurde Physiker. Ab 1980 plante sie im
Thienemann Verlag die Buchreihe „Die Bücher der goldenen Pawe“, von der
noch sechs Bände erscheinen konnten. — Quelle: Helmut Braun: Vera Hacken
— Dichterin aus Czernowitz. In: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur
und Geschichte Südosteuropas. Heft 3/2008, 261-264.

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