noch weiter zurück liegen, wird doch sein erstes Gedicht ge¬
druckt, als er zwölf Jahre alt ist, schreibt Elazar Benyo&tz später:
Entfernt noch von der ersten Liebe, schickte ich mich an, die Sprü¬
che Salomons zu kommentieren. Das war meine erste, entschlossene
Tat und somit der Anfang meiner Literatur.
Er wird bald als Dichter wahrgenommen, und Kollegen, so der
spätere Nobelpreisträger Samuel Agnon oder der Freund Dan Pa¬
gis, der aus einem KZ fliehen hatte können und mit dem Gedicht
„Mit Bleistift im versiegelten Waggon geschrieben“ berühmt wer¬
den sollte, zollen dem jungen Dichter ihre Anerkennung. In den
1990er Jahren wird Elazar Benyoötz über Dan Pagis sagen, dass
dieser, wäre er noch am Leben, wohl auch auf Deutsch zu schrei¬
ben begonnen hätte.”
Ende der 1950er Jahre arbeitet Elazar Benyo&tz, wie viele andere
Abgänger der Bnei Akiva, zunächst als Lektor und Bibliothekar
im Rav Kook Institut in Jerusalem und anschließend im Literatur¬
institut der Vereinigung hebräischer Schriftsteller in Israel, dem
Gnazim Institut. Im Rav Kook Institut ist er fiir deutsche Literatur
zustandig, da er der einzige ist, der Deutsch kann, wenn damals
auch nur „unzulänglich“. Bei der Durchsicht der Berliner Zeit¬
schrift Der Morgen aus dem Jahr 1929 stößt er auf einen Aufsatz
von Margarete Susman über Franz Kafka. Margarete Susman, eine
einst bekannte Dichterin, fasziniert den jungen Dichter. Er be¬
ginnt über sie zu recherchieren und findet heraus, dass sie nicht,
wie er zunächst geglaubt hat, ermordet worden ist, sondern als
85 Jahre alte Dame in Zürich lebt. Er verdankt ihr seinen ersten
jüdisch-deutschen Traum. Elazar Benyo&tz beginnt ihr zu schrei¬
ben und beschließt, nachdem er Gedichte von ihr übersetzt hat,
sie bald in Zürich zu besuchen. Sie wird seine „Oma“, so zeichnet
sie zumindest in den folgenden Jahren ihre Briefe an ihn. Ihn wie¬
derum nennt sie ihren „Wanderknaben“.
In diesen Jahren übersetzt er Gedichte von Else Lasker-Schüler
und die Komödie „Die Entscheidung“ von Walter Hasenclever, ein
„antipolitisches Schauspiel“. Walter Hasenclever hat sich 1940 im
französischen Internierungslager Les Milles das Leben genommen.
Vielleicht sind es absurd anmutende Sätze aus dem 1919 geschrie¬
benen Schauspiel, die den jungen israelischen Dichter faszinieren,
wie: „Ich wollte ein Bad nehmen und gerate an Ihren Tisch, Prinz.“
Oder: „Nachdem mir der Pöbel die Garderobe geplündert hat,
bleibt mir nur noch der Frack. Ich kann mich nicht mehr auf den
Ihron setzen. Ich muss einen Beruf ergreifen.“
1962 erscheint zum ersten Mal die Zeitschrift Prozdor (Vorhalle),
die erste jüdische Zeitschrift, die dem Thema Gott, wenn nicht
Gott selbst gewidmet ist. Elazar Benyoetz fährt fort zu übersetzen
und schreibt für die Zeitschrift seine ersten Aphorismen. Für Proz¬
dor schreibt auch Paul Engelmann, der regelmäßig über Gottesfra¬
gen publiziert, und zwar unter dem Pseudonym Ploni Almoni, was
soviel wie „der und der“ bedeutet.
Dieser Irgendeiner ist eigentlich Architekt und Möbeldesigner
und kein Irgendwer. Er ist ein Schüler von Adolf Loos und ein
enger Freund Ludwig Wittgensteins gewesen, mit dem zusammen
er das berühmte „mathematische“ Wittgenstein-Haus in Wien ge¬
baut hat. Außerdem hat er auch schon in Karl Kraus‘ Fackel ge¬
schrieben. Sein Pseudonym als Autor über Gott erklärt sich Elazar
Benyoétz mit der „Scheu davor, öffentlich von Gott zu sprechen,
mit dem Anspruch also aufzutreten, ein bündiger Zeuge Gottes zu
sein. [Denn] die Glaubwürdigkeit der Aussage setzt voraus, dass
der Zeuge sich als würdig erweise. Wir kennen vom Glauben ja
nur den letzten Rest, die Glaubwürdigkeit eben, wer aber, und
wäre er noch so rechtschaffen, ist glaubwürdig genug.“®
Paul Engelmann wird Elazar Benyoétz‘ väterlicher Freund, der
ihm einige Gedichte ins Deutsche übersetzt. Mit diesen Gedichten
im Gepäck bricht Benyo&tz 1962 nach Europa auf.
1962 kommt er das erste Mal nach Wien, wo er sich oft mit Hel¬
mut Qualtinger trifft und sich viel in Cafehäusern herumtreibt.
Von 1964 bis 1968 lebt er in West-Berlin, zuerst im Rahmen des
Artists in Residence Programms der Ford-Foundation. Seine Jahre
in Deutschland werden in Israel nicht gut aufgenommen, denn
wie kann man als Israeli im Land der Mörder leben? Der junge
Dichter wird dafür in manchen israelischen Medien kritisiert. Kri¬
tik, Schmerz und Unverständnis, wohl logisch und symptomatisch
für diese Zeit, über die Elazar Benyoötz später einmal schreiben
wird: „1960er Jahre: Man wusste damals verzweifelt wenig und
verzweifelte lieber.“?
In Berlin gründet Elazar Benyoätz 1965 die von der Deutschen
Forschungs-Gemeinschaft geförderte Bibliographia Judaica, welche
das Ziel hat, die durch die Shoah vernichtete, vertriebene und in der
Folge vergessene jüdisch-deutsche Literatur bio-bibliographisch zu
erschließen und ins Jvrit zu übersetzen. Für die Bibliographia sucht
er nach Publikationen und Nachlässen, nach noch lebenden Auto¬
rInnen und nach den Spuren der Ermordeten, allesamt gleicher¬
mafsen vergessen, da auch das Lesepublikum zur Gänze ermordet
oder in alle Welt verstreut worden ist. Seine Recherchen drehen sich