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Wallas ausdrückte, das Sprechen über Gott und
den Glauben unabdingbar verknüpft ist mit dem
Zweifel und der fortgesetzten Thematisierung
des „Zweifels am Zweifel“ und ein Werk sichtbar
wird, in dessen „Skepsis gegenüber geschlossenen
Denksystemen“ sich ein „unabschließbarer Dialog
über das Göttliche und das Menschliche“ ergibt,
„gegründet auf der Offenheit und Mehrdeutigkeit
im Umgang mit der biblischen Überlieferung.“
(Armin A. Wallas 1997, anlässlich „Variationen
über ein verlorenes Thema. Aphorismen“ 1997).
Wir meinen auch zu erahnen, worin diese Ihre
Kraft und Ihre Bewusstheit wurzeln, nicht zuletzt
wohl in allden Anregungen und Prägungen, die Sie
ursprünglich von Benzion Gottlieb, ihrem Stief¬
vater, erfahren haben, was in ihrem Rabbinats¬
studium mündete. Talmudische Gelehrsamkeit,

sprachliche Wachheit.

Aber was rede ich — wenn es doch Menschen gibt,
die all dies klarer und präziser sagen können als
ich? Es ist mir eine sehr große Freude, Ihnen, sehr
geehrter Herr Benyoetz einen Brief vorzulesen,
den wir, die Theodor Kramer Gesellschaft (TKG),
kürzlich erhalten haben — er kam aus St. Louis in
den Vereinigten Staaten — und Sie erraten schon
seinen Verfasser — es ist Professor Egon Schwarz:

Lieber Elazar, liebe Preisrichter, liebe Riccarda Tourou,

wenn ich jetzt aus der Entfernung das Wort ergreife, dann tue ich es
mir selbst zuliebe, weil ich gerne diesem Festakt beigewohnt, ja sogar,
wenn man es mir erlaubt hatte, die Lobrede gehalten hiitte. Ich tue es
auch Frau Tourou zu Ehren, weil von ihr die Anregung kam.

Aber ich tue es auch, um der Kramer-Gesellschaft zu gratulieren,
denn sie hat bei der Verleihung des Theodor Kramer Preises eine gute
und glückliche Hand bewiesen. Sie hat, soweit ich es verfolgen konnte,
die richtigen Persönlichkeiten ausgewählt, mitunter enge Freunde von
mir und Menschen, die ich bewunderte. Das ist nicht selbstverständ¬
lich, denn von den höchsten Preisen bis zu den obskursten wird oft
die falsche Wahl getroffen; und wenn einmal in der Welt das Richtige
gemacht wird, weitet sich einem das Herz, weil dies so selten geschieht.

Vor allem gebührt natürlich mein Glückwunsch dem Preisträger
selbst, dem gut aussehenden und noch glänzender schreibenden Elazar
Benyoetz selbst. Ich bin stolz darauf, daß ich zu seinen frühen Bewun¬
derern gehöre und schon vor Jahrzehnten sein Genie in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung verkündet und gewürdigt habe.

Was man auf jeden Fall betonen sollte, ist die Tatsache, daß Elazar
ein Wunderkind ist, und zwar von Anfang an. Mit zwei Jahren verließ
er seine Geburtsstadt Wiener Neustadt. In diesem Alter nimmt man
bekanntlich einen Ortswechsel niemals freiwillig auf sich. Es soll aber
hervorgehoben werden, daß seine Eltern ebensowenig ihren Wohnort

freiwillig aufgegeben haben. Elazar kann außer Mama und Papa
nicht viel Deutsch auf die Reise mitgenommen haben. Er hat sich die
deutsche Sprache erst später mit heißem Bemühen in der hebräischen
Umwelt erwerben müssen. Es gibt wenige hier Gebürtige, selbst in
den seltenen Fällen, wenn sie sich später zu Weltweisen und Aphoris¬
tikern herausmausern, die sie mit solcher Virtuosität beherrschen. Er
beherrscht sie nicht nur, er bemeistert sie, er überlistet sie, er preßt ihr

die köstlichsten Tropfen ab, die sie selber nicht in sich geahnt hat, er
spielt mit ihr und er springt mit ihr nach Gutdünken, aber immer in
ihrem Geiste um. Und diese Sprünge und Spiele, diese Kunststücke
und Balancierakte auf dem Trapez der deutschen Sprache bestätigen
meine Behauptung, daß er ein Wunderkind geblieben ist. Und da er
diese Artistik und Akrobatik nicht nur in der Höhe, sondern auch in
profunder Tiefe, nicht mit seinen Beinen, sondern in seinem Kopf voll¬
führt, haben wir von den fortschreitenden Jahren nichts zu befürchten.

Als echter Aufklärer wird er die bittere Pille der Wahrheit, die die
Menschen so ungern schlucken, weiter vergolden und mundgerecht
machen. Er wird, das wage ich vorauszusagen, zu unserer Erbauung
und Erleuchtung noch lange das göttliche Wunderkind bleiben, das
er heute ist. Viel hebräisch kann ich nicht, aber Schalom und Masel
tov kann ich sagen!

In der Begründung für die Zuerkennnung des Preises hat die Jury
der TKG versucht, Ihr Werk in äußerster sprachlicher Verknappung

zu würdigen:

Lieber Elazar Benyoetz,

Sie haben in Ihren Schriften die Würde des Wortes, die Würde der
menschlichen Rede und die der deutschen Sprache verteidigt und be¬
währt. In jedem Wort birgt sich in Ihnen eine Hoffnung, deren Ort
nicht Zukunft, sondern allumfassende Gegenwart ist. Und so sind
Sie auch eingetreten für die Vergegenwärtigung jener, die gewaltsam
mundtot gemacht worden sind. Wir danken Ihnen.

3/2010 13