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Die Buchtitel sind dabei Programm: „Worthaltung“ zum Beispiel
oder „Vielleicht - Vielschwer“, „Treffpunkt Scheideweg“ oder, mit
schönem Bezugaufden Anspruch anseigene Werk: „Filigranit“. Zuletzt
„Vielzeitig“, eine Auswahl aus Benyoätz‘ imposanter Korrespondenz,
mit Theodor W. Adorno, Hannah Arendt, Nelly Sachs, Rose Ausländer
und vielen weniger berühmten Weggefährten. Und der Band „Schein¬
hellig“: die Überblendung von „scheinheilig“, „einhellig“ und „hellem
Schein“ verrät, daß es hier einmal mehr um das göttliche Licht geht,
den göttlichen Funken, ohne den das Leben schal schmeckt. Ganz
ähnlich ist der Titel seines druckfrischen allerjüngsten Buches, eines
Kompendiums mit Aphorismen aus dreißig Jahren: „Fraglicht“. Die
Kunst, etwas durch Erörterungzuerhellen und zugleich zu verdunkeln,
speist sich aus einem Denken in Paradoxa. „Unklarheitmachtdeutlich“,
lautet das Credo des Dichters. Benyoétz‘ vertrackte, seine Leser immer
auch traktierende Spracharbeit hält die Balance zwischen Bemühung
und Geschenk — denn: „Die Sprache ist tiefer als ihr Sinn“. Diesen
Satz hätte auch ein Poet des sprachlichen Experiments gesagt haben
können. Wer tiefer schürft, fördert Verblüffendes zutage und wird
dabei immer auch selbst überrascht — ein skeptischer Wortgläubiger.
Um das Bildreservoir auszuschöpfen, das dieSprachein Gemeinplätzen
und Redewendungen bereithält, bedarf es aber jemandes, der seinen
Kübel wissensdurstig und geduldig in den Brunnen senkt. So ist der
durchaus selbstbewußte Satz zu verstehen: „Die Sprache macht mit
mir, was ich will.“ Ein Paradoxon eben.

Der Weg aus der Lyrik in die angesehene, aber doch auf einem
Nebengipfel des Olymps beheimatete Kunst des Aphorismus hat sich
fiir Elazar Benyoétz mit dem Wechsel der Sprache aufgedrängt, den
Bezirk der Dichtung hat er damit gleichwohl nicht verlassen. Poetisch
ist auch der Anspruch des Aphorismus, und nicht selten lassen sich
mehrere aufden ersten Blick für sich stehende Satz-Kristalle ebensogut
als Gedicht auffassen. Weil man gewöhnliche Aphorismenbände nicht
in einem Zug liest, sondern gleichsam gustierend, hat Benyoetz für
seine Bücher eineganz eigentümliche Mischform aus Poesie und Prosa,
Eigenem und Zitateingeführt, die durch ihren Wechsel im Tempo den
Leser mit dem langen Atem belohnt.

„Der Aphoristiker“, sagt Benyoötz, „beginnt an dem Punkt,/ wo er
mit seiner Weisheit am Ende ist“. Deshalb wohl soll der Aphoristiker
kein Apodiktiker sein. Für den, der an einem Punkt der Ratlosigkeit
beginnt, wäre es anmaßend, am Ende „Punktum“ zu sagen. Benyo¬
etz hat eine veritable Aversion gegen dieses so unschuldig winzige
Satzzeichen: „Im Punkt wird die Tyrannei des Satzes manifest“. Und
auch dieser Satz muß sich natürlich ohne Punkt Gehör verschaffen.
Im Mikrokosmos des „EinSatzes“ kommt es auf Punkt und Beistrich
an: „Wie pathetisch ist schon der Gedankenstrich.“ So ist Benyoetz‘
Schreiben eine Art Gehen auf Zehenspitzen, eine nahezu tänzerische
Bewegung, in der alles Lapidare und Gewichtige aufgehoben scheint.

Hermann Broch meinte — und Benyoétz hat sich darauf berufen —
dafs das „Ringen um die neue Religiosität“ wahrscheinlich das einzige
sei, „was den Menschen jetzt wahrhaft interessiert, mages auch danach
aussehen, als wäre die Weltwirtschaft das einzige Interessante“. So stellt
der Aphoristiker, vom Zweifel beflügelt, die Frage nach Gott so genau
wie möglich undantwortetso ausweichend wie nötig. Sein Nachdenken
ist eine Einladung zur Verunsicherung, denn „Quellenwert hat nur
das Fließende“. Das Buch Kohelet, das Juden wie Christen als Quelle
göttlicher Offenbarung gilt, war ihm dabei immer Vorbild und Spie¬
gelschrift, in allem, auch in dem: „Sei nicht schnell mitdeinem Munde
und laß dein Herz nicht eilen, was zu reden vor Gott; denn Gott ist
im Himmel, und du auf Erden; darum laß deiner Worte wenig sein.“

20 ZWISCHENWELT

Gerade das Wenige bleibt hängen und haften, man wird es nicht
mehr los. Auch das wußte Kohelet: „Die Worte der Weisen sind Sta¬
cheln und Nagel“. Zwar hat Elazar Benyoétz das Amt des Rabbiners
nie in einer Gemeinde ausgeiibt, sehr wohl aber, so Robert Menasse,
in der Literatur: ,,Er hat die Weisheit eines Rabbis, die Wiirde eines
Rabbis, er ist mein Rabbi der deutschen Sprache.“ Doch Kohelet,
der Sammler, der Prediger, warnt auch, wieder mit Martin Luthers
deutscher Stimme: „Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, daß
du dich nicht verderbest.“

Ill.
Theodor Kramer war kein religiöser Mensch. Er war kein religiöser
Dichter. Und er war kein stolzer, kein mit seinem Judentum überein¬
stimmender Jude, sondern einer, der mit dieser seiner Identitäthaderte.
„Assimilation — Identitäuschung‘“, übersetzt Benyo£tz.

Theodor Kramers Gedicht „Immer zählte ich mich zu den andern
...“ beschönigt diesbezüglich nichts:
Immer zählte ich mich zu den andern;
über Nacht ward mir bestimmt zu wandern
und man reihte stumm zu euch mich ein:
was, laft sehn, hab ich mit euch gemein?

Nicht den Glauben noch die gleiche Sitte,
und es schweigt mein Blut in eurer Mitte
heute wie es schwieg die ganze Zeit;
gleich sind wir ein wenig nur im Leid.
L..J

gleich an uns ist nur das eine: sie.

Kramer hat dieses Gedicht am 27. Juli 1938 geschrieben, also unter
dem unmittelbaren Eindruckdesnationalsozialistischen Terrors nach dem
Anschluß. Man hates ihm dennoch von jiidischer Seite tibelgenommen,
als „peinlichen Distanzierungsversuch“ (Tilly Spiegel) gewertet und
allein die „Todesangst“ seines Autors als mildernden Umstand gelten
lassen. Doch auch Jahre nach Kriegsende, ganz ohne äußeren Druck,
sieht Kramer das in einem Brief an Michael Guttenbrunner ähnlich:

Ich selbst hab einen jüdischen Geburtsschein und eine sudetendeuische
Omama, bin nicht beschnitten [...] Da ich nicht in die Kirche ging, war ich
anders als die anderen, auch als Sohn des Gemeindearztes. In Stockerau —
erste Klasse Gymnasium —wurde ich sehr verfolgt von meinen Mitschülern
als ‚Kaiphas‘ [...] Taufen ließ ich mich nicht, da ein Erwachsener dies nur
soll aus religiösen Gründen, und konfessionslos wurde ich nicht, da dies
damals in Österreich oft ein aktives und beschränktes Freidenkertum war.
[...] Für meine Person bin ich nach wie vor überzeugter Assimilanı, lasse
aber die andere Lösung gelten. Doch soll sich jeder Jude entscheiden, ob er
in erster Linie Österreicher, Franzose ist oder ob er Jude ist.

Daran, daß er selbst „in erster Linie Österreicher“ ist, läßt Theodor
Kramer nie einen Zweifel. Sein Werk charakterisiert er mit Nachdruck
als „bodenständig“, „einzelne Stücke“ jedoch seien „jüdisch“, in der
damals gebräuchlichen Terminologie, womit, abgesehen vom Milieu,
alles Unstete, Nomadische, Diesseitige und Zweifelhafte gemeint war.

Obwohl Kramer also einigen Wert darauflegte, sich von der Schick¬
salsgemeinschaft der Juden abzugrenzen, ließ er es nicht an Solidarität
mit anderen Emigranten fehlen. Er sah sein Schicksal als typisches:
„In Österreich scheint man Rückkehr als Bedingung zu stellen dafür,
daf§ man Notiz nimmt von meinem Werk. Daß Österreich eine eigene
Diktatur hatte und an der Naziherrschaft nicht unschuldig war, davon