den Füßen, aber unsere Freundin, Anna Amster, eine gelernte
Krankenschwester, die am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen
hatte, drängte sich von einer Frau zur anderen, kniete nieder,
um ihnen die Füße zu massieren und so ein Abfrieren der Füße
zu verhindern. Und das obwohl sie selbst fror und hungerte.
Die Fahrt im Kohlenwagen dauerte auch mindestens zwei Tage,
glaube ich, oder länger, bis wir nach Ravensbrück kamen. Als
unser Zug einmal auf einem Rangierbahnhof anhielt, sahen wir
auf dem Parallelgleis einen ganzen Zug mit deutschen Soldaten
stehen. Unser Durst war enorm und wir baten die Soldaten laut
um Wasser. Auf die Fragen der Soldaten, wer wir seien und von
wo wir kämen, gaben wir über unser Schicksal Auskunft. Nur ein
einziger Soldat, ein etwas älterer, der Sprache nach ein Wiener
wie ich, war so barmherzig, holte aus seinem Waggon eine mit
Wasser gefüllte Feldflasche und reichte sie mir. Sie ging sofort von
Mund zu Mund bis sie leer war. Wir fuhren auch durch Berlin
und es gelang mir, auf ein Stückchen Papier ein paar Worte über
unseren Leidensweg zu schreiben und es wegflattern zu lassen.
Ob es wohl jemand gefunden hat und was mag er sich dabei
gedacht haben? Immer wieder habe ich versucht, wo ich auch
war, Kontakte zu schaffen und Menschen auf uns aufmerksam
zu machen.
In Ravensbrück angekommen, mußten wir, total erschöpft,
ausgehungert und fast erfroren einen Tag und eine Nacht an
der Lagermauer stehen. Wir hatten großen Durst und trotz der
Erschöpfung das Bedürfnis uns zu reinigen. Wir zogen uns aus,
rieben uns mit Schnee ab und versuchten unseren Durst mit dem
Schnee zu stillen, den wir mit den Händen zusammenkratzten.
Am nächsten Tag kamen wir in ein Zelt in den Ausmaßen eines
Zirkuszeltes. Von der SS wurden wir hineingetrieben, mir schien,
es waren mehr als tausend Frauen. Wir hatten so wenig Platz,
daß wir eng aneinander gedrängt mit angezogenen Beinen am
Boden saßen. Es gab keine sanitären Einrichtungen. Die Frauen,
die noch die Kraft dazu hatten, mußten sich über die Körper der
anderen den Weg zum Ausgang erkämpfen, um ihre Notdurft zu
verrichten. Außerhalb des Zeltes war ein Graben ausgehoben, der
als sogenannte Latrine diente.
Die Zustände im Zelt waren unerträglich. Alle Frauen waren nach
den Tagen des Marsches und der Bahnfahrt völlig entkräftet und
mit den Nerven am Ende. Sie alle waren so angespannt, daß schon
der geringste Anlaß die Frauen außer Rand und Band brachte.
Die Luft war unerträglich, da viele Frauen ja nicht mehr die Kraft
hatten, sich den Weg nach draußen, über die Körper der anderen
hinweg, zu erkämpfen.
Zu all dem kam noch, daß so viele Frauen verlaust waren, da
man sich ja schon vorher nicht waschen konnte und auch nicht
während dieses qualvollen Marsches, auch nicht in den Kohlen¬
wagen. Viele, die keine Läuse hatten, wurden von ihren Nachba¬
rinnen angesteckt.
Viele Frauen hatten gefrorene Füße und offene Wunden und
jammerten und stöhnten. Bei Tag und Nacht wurde geschrien,
gestritten und gestöhnt, man hockte so eng beieinander, daß man
keine Ruhe finden konnte, schon gar nicht schlafen. In dieser
Situation, am zweiten Tag im Zelt, wurde Suppe in Kesseln zum
Zelteingang gestellt.
Alle stürzten sich schreiend, raufend ineinander verkeilt vorwärts,
dem Eingang und dem Essen entgegen. Aber nur wenige, vor allem
jene, die nahe dem Eingang waren und da auch nur die Stärksten,
kamen bis zum Kessel. In der wüsten Rauferei um die Suppe wurde
der Kessel von einem SS-Mann mit dem Fuß umgestoßen und die
ganze Suppe ergoß sich auf den Boden. Für die SS-Leute war dies
ein belustigendes Schauspiel, für die armen verhungerten Frauen
jedoch war dies eine neuerliche Qual und grausame Erniedrigung.
Sie hätten die Frauen ja nur, wie bei vielen anderen Gelegenheiten,
anstellen lassen können und jede wäre zu etwas warmer Suppe
gekommen. Dieses Schauspiel hat die SS bewußt inszeniert, um
die Frauen gegeneinander zu hetzen, sie zu entwürdigen und ihnen
den letzten Rest von Menschlichkeit zu rauben.
Später am selben Tag bekam unsere kleine österreichische Gruppe
zum ersten Mal seit dem Abmarsch von Auschwitz etwas warmes
zum Essen.
Eine Zeltplane wurde von außen aufgehoben und jemand fragte,
ob Österreicherinnen im Zelt seien. Als wir uns zur Plache durchge¬
drängt hatten, bekamen wir von österreichischen Häftlingen einen