OCR Output

Die letzten Vorgänge an der Wiener Universität haben mir, wenn ich
dieses Beweises noch bedurft hätte, gezeigt, daß die Promotionsformel
jeden Sinn verloren hat, daß sich in den Anschlagekästen, ungehin¬
dert vom Rektorat, eine Gesinnung breit macht, die weder mit den
Gesetzen der österreichischen Republik, noch mit den Doktorgelöbnis
der einzelnen Fakultäten vereinbar ist.

Rektor und Senat mögen über diesen Zwiespalt hinwegkommen,
ich fühle mich durch mein Gelöbnis verpflichtet, einer Universi¬
tät, die alle Gesetze der Humanität zwar in der Promotionsformel
führt, aber in Wahrheit für nichts achtet, mein Diplom als Doktor
der Philosophie zerrissen zurückzugeben und zu ersuchen, meinen
Namen aus der Doktorenliste jener Institution, die sich Alma Mater
Vindobonensis Rudolfina nennt, zu streichen. Ihnen, Herr Rektor,
bleibt es überlassen, Ihre Haltung mit dem Gelöbnis, das sie seinerzeit
geleistet haben, für vereinbar zu halten.”

Wie waren die Reaktionen auf dieses Zeichen des persönlichen
Protestes Fritz Brügels? Seitens der Universität Wien: rasch, ge¬
schäftsordnungsmäßig korrekt und inhaltlich ignorant. Nach
nur drei Tagen erhielt Fritz Brügel die — lapidare - Antwort, dass
die Universität Wien seinem Wunsch nach Streichung seines
akademischen Titels entspreche.

Auf Ihre Zuschrifi vom 21. d. M. teile ich Ihnen mit, daß ich die
Pedellenkanzlei angewiesen habe, Ihren Verzicht auf das philosophi¬
sche Doktorat der Wiener Universität in das Promotionsprotokoll
aufzunehmen. Sie sind nunmehr nicht mehr berechtigt, den Titel
des Doktors der Philosophie zu führen.’

Die Antwort erfolgte allerdings nicht durch den Adressaten, den
kurz davor neu ins Amt gewählten Rektor Rudolf Maresch (1868
- 1936), sondern durch den abgetretenen Rektor Hans Uebers¬
berger (1877 — 1962), Professor fiir osteuropäische Geschichte,
prononcierter Nationalsozialist und neben seinen Vorgängern im
Rektorsamt — Othenio Abel und Wenzel Gleispach - führend be¬
teiligt an der Schaffung jener deutschnationalen, antisemitischen
und antidemokratischen Atmosphäre, gegen die Brügel protes¬
tierte. Neben diesem Affront ist auch festzuhalten, dass für diese
Entscheidung damals jegliche Rechtsgrundlage fehlte.” Abgeschen
davon versuchte man aber penibel alle Formalitäten einzuhalten:
Der Dekan der betroffenen Philosophischen Fakultät, Ernst Späth,
wurde ebenso über den „freiwilligen“ Verzicht Fritz Brügels auf die
Führung des Doktortitels unterrichtet wie der Pedell, der Brügel
aus dem Promotionsprotokoll zu streichen hatte. Kommentare
der Universität zu diesem ungewöhnlichen Verzicht finden sich
in den Akten der Universität nicht. Das zerrissene Doktordiplom
liegt nach wie vor im Wiener Universitätsarchiv als bislang wenig
beachtetes Dokument des persönlichen Engagements gegen das
antidemokratische, antisemitische und im akademischen Sinne
„würdelose“ Agieren der Universität Wien in den 1930er Jahren.

Im selben Schreiben wird Fritz Brügel von der Universität Wien
überflüssigerweise darüber belehrt, dass er nun nicht mehr be¬
rechtigt sei, seinen Doktortitel zu führen, was in Anbetracht des
freiwilligen Verzichts entweder als Versuch der Akteursumkehrung
zu lesen ist — als hatte nicht Fritz Briigel sein Doktorat zuriick¬
gelegt, sondern untersage ihm die Universität, den Doktortitel
weiter zu führen —, oder einfach nur als eine bürokratische Spitz¬
findigkeit, welche die Protestaktion ad absurdum führen sollte.”
Darauf würde auch hinweisen, dass Prorektor Uebersberger weitere
drei Tage später erneut schriftlich und eingeschrieben insistierte,
Brügel habe die Mitteilung, dass er seitens der Universität Wien
nicht mehr berechtigt sei, den Doktorgrad zu führen, persönlich
zu unterschreiben und der Universität zu übermitteln (das erste

28 — ZWISCHENWELT

Schreiben wurde von einer Hausangestellten Brügels entgegen¬
genommen)”:

Sie werden hiemit, falls Sie diese Zuschrifi inzwischen übernom¬
men haben, ersucht, beiliegende Empfangsbestätigung unterfertigt
mittels der mitfolgenden freigemachten Briefhülle an das Rektorat
übersenden.”

Fritz Brügel dachte nicht daran, dieses Spiel mitzuspielen, dass
ausgerechnet der für die kritisierten Zustände mitverantwortliche
Uebersberger den politischen Protest keiner Antwort würdigte,
sich keiner argumentativen Auseinandersetzung stellte, sondern
den Protest ins Leere laufen ließ, ihn inhaltlich ignorierend, und
stattdessen Brügel in die Rolle eines bürokratisch unkorrekten
Akteurs brachte und in einer Umkehr des Vorgehens verlangte,
den bereits erfolgten freiwilligen Verzicht nunmehr als Auffor¬
derung der Universität noch einmal amtlich zu bestätigen. Am
2. Dezember 1931 ließ Brügel daher durch seinen Rechtsanwalt
Dr. Viktor Krauß dem Rektorat der Universität mitteilen:

Herr Fritz Brügel hat in seiner an den Rektor der Universität Wien
und nicht an den Prorektor gerichteten Zuschrift mit einer jeden
Zweifel ausschlieffenden Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß
er, veranlafst durch den gegenwärtigen Zustand der Universitat Wien
darauf verzichtet, in der Doktorenliste Ihres Institutes verzeichnet
zu sein. Darüber hinaus hat mein Mandant keinerlei Erklärungen
abzugeben oder irgend eine Korrespondenz mit der Universität Wien
zu führen.‘

Über die Beweggründe zu Fritz Brügels Protestaktion beste¬
hen keine Zweifel, über das letztendlich auslösende Motiv gibt
es aber keine letztendliche Sicherheit, da es in jenen Wochen
zahlreiche Anlässe für diesen Schritt gegeben hat. Fritz Brügel
hatte zu „seiner“ Universität, an der er 1921 promoviert hatte,
auf mehreren Ebenen Kontakt. Als AK-Bibliothekar konnte Fritz
Brügel die 16.000 Bände umfassende Bibliothek des Juristen
und Ökonomen Prof. Anton Menger (1841 — 1906), der mit
der ArbeiterInnenbewegung sympathisiert hatte, und an der die
Universität Wien selbst kein Interesse hatte, als Leihgabe in die
Arbeiterkammerbibliothek integrieren, wodurch es nach Fritz
Brügel der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek erst mög¬
lich wurde, „... als wahrhaft wissenschaftliches Institut in die
Reihe der anderen österreichischen Bibliotheken zu treten“. Als
Absolvent der Universität und als politischer Mensch verfolgte er
vermutlich auch die antidemokratischen Entwicklungen an der
Universität Wien. Des Weiteren beschäftigte sich Fritz Brügel
als Historiker und Germanist mit den für ihn empörenden Ent¬
wicklungen „seiner“ Studienrichtung, auf die in der Folge noch
eingegangen wird.

Der unmittelbare Auslöser von Fritz Brügels Protest waren ver¬
mutlich die Debatten und Ereignisse rund um die vom damaligen
Rektor Prof. Wenzel Gleispach (1876 — 1944) am 8. April 1930
verlautbarte und am 25. Juni 1931 wieder aufgehobene „Stu¬
dentenordnung“ für die Universität Wien.’ Diese „Studenten¬
ordnung“ war nach zweijähriger Beratung und in Erfüllung der
Vorstellungen der deutschnationalen Professoren und der „Deut¬
schen Studentenschaft“ vom Akademischen Senat der Wiener
Universität beschlossen worden und gliederte die Studierenden
nach „volksbürgerlicher Zugehörigkeit“, nach „Abstammung“
und nach Muttersprache in „Studentennationen“. Studierende
„gemischter Abstammung“ — damit waren alle Studierenden mit
jüdischem Religionsbekenntnis gemeint bzw. alle, die nach den
nationalsozialistischen Rassevorstellungen sonst noch als ver¬
meintlich „jüdisch“ zu betrachten waren - sollten nach dieser