Sabine Lichtenberger, Herbert Posch
deutschnationale Tendenzen an der Universität Wien 1931
Fritz Brügel hat als Bibliothekar der Arbeiterkammer, als Dichter
der „Ballade des Februar“ und des Liedes „Die Arbeiter von Wien“
bis heute Spuren in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung hin¬
terlassen. Seine beispiellose Protestaktion im Jahr 1931 gegen die
Zerstörung der „freien Wissenschaft“ an der Universität Wien fand
bisher wenig Beachtung. Angesichts des bevorstehenden 650-jährigen
Gründungsjubiläums der Universität Wien im Jahr 2015 für die
AutorInnen Grund genug, an seine Rolle als vorzeitiger Mahner vor
antidemokratischen, antisemitischen und deutschnationalen Tenden¬
zen an der Universität Wien zu erinnern.
Aus welchem familiären Umfeld stammte Fritz Brügel? Fritz
Brügel wurde am 13. Februar 1897 in Wien geboren. Der Vater
Ludwig Brügel, sozialdemokratischer Publizist, Historiker und
unter Staatskanzler Karl Renner (1870 — 1950) Pressechef im
Staatskanzleramt, stammte aus einer jüdischen mährischen Familie
und wurde am 6. Februar 1866 in Groß Messeritsch (heute: Velké
Mezioiéi, Tschechien) in der Nähe von Brünn geboren.? Von seiner
Mutter Susanne Brügel (geb. Königsfeld) sind kaum biographi¬
sche Angaben vorhanden, sie starb am 15. September 1924 in
Wien.? Ludwig Brügel, der Verfasser von zwei Standardwerken
der österreichischen Sozialdemokratie, der fünfbändigen „Ge¬
schichte der österreichischen Sozialdemokratie“ und der „Sozialen
Gesetzgebung von Österreich“‘, wurde am Tag der Ausrufung der
Ersten Republik, also dem 12. November 1918, in Ausübung
seines Dienstes von einer Gewehrkugel in der Säulenhalle des
Parlaments getroffen und verlor dadurch ein Auge. Seit 1925
befand er sich im Ruhestand.? 1935 starb Fritz Brügels jüngerer
Bruder im Alter von 32 Jahren nach einer Operation an Blutver¬
giftung.° 1925 bis 1930 war Ludwig Briigel Mitglied der Liga für
Menschenrechte.’ Ludwig Brügel wurde nach dem sogenannten
Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland verhaftet und 1942
in das „Altersghetto“ nach Theresienstadt deportiert, wo er im
Alter von 76 Jahren am 30. August 1942 zu Tode gekommen ist.°
Fritz Brügel, der in Wien aufwuchs und zur Schule gegangen ist,
war von 1916 bis 1918 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Nach seiner
Rückkehr aus dem Kriegsdienst studierte er von 1918 bis 1921
an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien die Fächer
Geschichte und Germanistik. Er promovierte am 17. Juni 1921
mit der Dissertation „Beiträge zur Geschichte der Deutschen in
Böhmen“ bei dem Wirtschaftshistoriker Prof. Alphons Dopsch
(1868 - 1953).'° Schon während seines Studiums an der Universi¬
tät Wien schrieb Fritz Brügel in der 1889 von Victor Adler (1852
— 1918) gegründeten Arbeiter-Zeitung Theaterkritiken. Brügels
erster Band mit Gedichten erschien am 15. Juli 1923 unter dem
Titel „Zueignung“, ebenfalls 1923 erschien in der Arbeiter-Zeitung
ein erstes Gedicht mit dem Titel „Zug der Toten“.'! Im September
1922 wurde er Leiter der soeben gegründeten Sozialwissenschaft¬
lichen Studienbibliothek der 1920 gegründeten Arbeiterkammer
in Wien.'? Als Leiter der Bibliothek der Arbeiterkammer koordi¬
nierte er aber auch die Grundlagenarbeit, die Bildungsarbeit der
Arbeiterkammer, sowie die gesamte öffentliche Informationsarbeit
der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien. Bis zu seiner
erzwungenen Flucht vor austrofaschistischer Verfolgung in die
Tschechoslowakei im Jahr 1934 schrieb Brügel vorrangig in den
beiden wichügsten Publikationsorganen der Sozialdemokratischen
Partei: für die Arbeiter-Zeitung neben politischen Gedichten auch
Feuilletons und Rezensionen, und in der sozialdemokratischen
theoretischen Monatsschrift „Der Kampf“ Essays, Rezensionen
sowie ideologie- und kulturkritische Beiträge.'” Immer wieder
publizierte er auch unter den Pseudonymen Wenzel Sladek,
Friedrich Franz Bell und Dr. Bedrich Dubski, hielt daneben
aber auch zahlreiche Vorträge und Lesungen in verschiedenen
Wiener Parteisektionen und -vereinen, Gewerkschaften und in
Volksbildungseinrichtungen. Der Vollständigkeit halber sei auch
noch zu erwähnen, dass sich Fritz Brügel mit Nachdichtungen
von Aischylos-Dramen beschäftigte."
1931 gab Brügel mit dem ebenfalls in der Arbeiterkammer
Wien beschäftigten Ökonomen Benedikt Kautsky (1894 — 1960),
dem Sohn des marxistischen Theoretikers Karl Kautsky (1854 —
1938) eine Sammlung der Dokumente des deutschen Sozialismus
vom Karl Marx bis Ludwig Gall heraus." Des Weiteren gab er in
dieser Zeit gemeinsam mit dem Musikwissenschafter Otto Erich
Deutsch (1883 — 1967), dem Literaturkritiker und Essayisten
Leopold Liegler (1886 — 1949) und dem sozialdemokratischen
Journalisten Schiller Marmorek (1880 — 1943) die kulturpolitische
Vierteljahresschrift „Die Freyung“ heraus.'*
Von Brügels literarischen Werken sind vor allem zwei zu er¬
wähnen: die „Ballade des Februar“, 1935 in Prag erschienen, und
eines seiner letzten Werke, der in London geschriebene Roman
„Die Verschwörer“, 1951 in Zürich erschienen.
Daneben gehörte Brügel dem Verwaltungsrat der 1924 gegrün¬
deten Österreichischen Radio-Verkehrsaktiengesellschaft (RAVAG)
an und war von 1931 bis 1933 Konsulent der Wissenschafts¬
abteilung der RAVAG.'’ 1933 war er Gründungsmitglied und
stellvertretender Obmann der am 22. Jänner 1933 im Saal der
sozialistischen Bildungszentrale in Wien 5, Schönbrunnerstraße
56, gegründeten „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“, der
unter anderen die Schriftsteller Josef Luitpold Stern, Theodor
Kramer, Oskar Maria Graf und Schriftstellerinnen wie Else Feld¬
mann, Klara Blum und Adele Jellinek angehörten.'* Wie sein
Vater Ludwig Brügel war auch Fritz Brügel Mitglied der Liga für
Menschenrechte und Mitglied der Freimaurerlogen „Sokrates“
(seit 1923) und „Freiheit“ (seit 1925).'?
Am 21. November 1931 schickte der promovierte Historiker
Fritz Brügel per Post sein zerrissenes Doktordiplom, das er im
Jahr 1921 erworben hat, an den Rektor der Universität Wien.
In einem maschingeschriebenen Begleitbrief begründet er seinen
Entschluss zu dieser Aktion wie folgt:
Als Kandidat der Philosophie habe ich bei meiner Promotion das
Gelöbnis abgelegt, das den Doktoren seiner Fakultät vorschreibt,
in der uneigennützigen Bemühung für die Wahrheit nicht zu er¬
lahmen und danach zu streben, dass ihr Licht, in dem das Heil des
Menschengeschlechts beschlossen ist, nur um so strahlender leuchte.