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Dieses Geschichtsbild, das dem Konsens der österreichischen Zeitgeschichtsforschung zwar widerspricht, indem es den bewaftneten Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nach wie vor als illegitim brandmarkt, das im Einklang mit der publizistischen Polemik jedoch auch von den Forschungsstätten des Landes und von der Kärntner Schulbehörde hochgehalten wird,’ gehtauf die frühe Nachkriegszeit zurück, als die Partisanenverbände in Südkärnten und die noch nicht oder schon wieder restituierten deutschnationalen Heimatverbände im offenen Konflikt um Schuld und Kriegsverbrechen lagen.“ Eine Folge dieser demagogischen Auseinandersetzung war, dass die literarische Erinnerung an den Partisanenkampf in Kärnten fast ausschließlich der slowenischen Literatur überlassen blieb, während sie in der deutschsprachigen Literatur Kärntens fast völlig fehlt. Eine Ausnahme stellt Michael Guttenbrunner dar, der durch seine Mitarbeit an der kommunistischen Zeitschrift Die Einheit in den Jahren 1950 und 1951 mit der slowenischen Partisanenkultur in Kärnten als Autor verbunden war. Hier schrieb er über das am 17. Oktober 1944 von der SS verübte Massaker beim Spitzbauer auf der Saualpe und hob Jugoslawien als antifaschistisches Vorbild für das an seiner Entnazifizierung laborierende Österreich hervor.’ Und hier wurde mit dem Gedicht Den Partisanen Europas auch eine Vorstufe jenes bekannten Gedichts veröffentlicht, das unter dem Titel Die Bodenständlinge in den Gedichtband Opferholz (1954) eingehen sollte.‘ Jedenfalls wies Guttenbrunners publizistisches Engagement in dem aus der slowenischen Volksbefreiungsfront (Osvobodilna fronta, OF) hervorgegangenen antistalinistischen Blatt schon auf die Bedeutung hin, die Jugoslawien in der Frühzeit des Kalten Krieges für einen österreichischen Antifaschisten haben konnte, für den der bewaffnete Widerstand etwas wesentlich anderes war als die gelenkte Parteinahme für ein bestimmtes politisches System. Vor dem Hintergrund des Bruches mit Moskau und des „eigenen Wegs zum Sozialismus“ nämlich erscheint der jugoslawische Volksbefreiungskampf als Hoffnung, als welthistorisches Aufbegehren eines herablassend behandelten Volkes gegen den Parasitismus, der die Welt nicht nur in Ost und West, sondern auch in Arm und Reich spaltet. „Wir schen“, so Guttenbrunner, „ein Volk von Gastwirten und Kellnern: Seine Piero Rismondo nach seiner Rückkehr aus dem Exil, mit Franz Csokor, 1952. Entnommen aus: P. Rismondo: „... Der Zeit am Wort den Puls zu fühlen ...“ Feuilletons, Kritiken und Artikel. Hg. von Wolff A. Greinert. Wien: Österr. Kunst- und Kulturverlag 1999. 48 ZWISCHENWELT hat mit großen Opfern, ein Volk, das in jedem Sinne weiß, was es heißt: sein Leben einsetzen, um es zu gewinnen!“ Denn: „die Freiheit [ist] zum Schicksale Jugoslawiens geworden, zum Schicksale seiner Arbeiter, seiner Bauern und seiner schöpferischen Intelligenz; während bei uns nur Einzelne büßen müssen, dass sie gegen den Faschismus gekämpft haben, während es bei uns aktiv nur Einzelne nicht dulden wollen, für solchen Kampf mit dieser demokratischen Republik entschädigt zu sein.” Es ist logisch, dass auf der anderen Seite, wo die Niederlage des Nationalsozialismus nicht als Befreiung empfunden wurde, gerade Jugoslawien als ein Staat von blutrünstigen Banditen und Mördern diffamiert wurde. Diese Auffassung beansprucht bis heute eine gewisse Gültigkeit im publizistischen Diskurs über die Kärntner Zeitgeschichte.® Noch Ende der 1990er Jahre, im Zuge der willkürlich vom Zaun gebrochenen AVNOJ-Polemik? gegen Slowenien, fühlte sich ein Kärntner Provinzpolitiker bemüßigt, festzustellen, südlich der Karawanken würden noch immer die „Partisanengesetze“ herrschen, vor denen ein anständiger Österreicher rechtlos und „vogelfrei“ sei.!° Die Berücksichtigung dieser Hintergründe zeigt die Persistenz von Geschichtsbildern, auf die man auch heute, ob man will oder nicht, reagieren muss, und es ist deshalb mehr als eine akademische Frage, welche Bedeutung der jugoslawische Volksbefreiungskampf in den Augen jener auf der Flucht befindlichen Literaten hatte, die in Jugoslawien vorübergehend Unterschlupf, Betätigung und Zuflucht fanden. In der allerersten Nummer des Österreichischen Tagebuchs vom 6. April 1946 (dem fünften Jahrestag der Bombardierung Belgrads durch die deutsche Luftwaffe) veröffentlichte Alexander SacherMasoch einen eigenen Essay mit dem Titel Die große Tat/Belgrad 1941, in dem er diese Bedeutung aufden Punkt bringt. Darin erklärt er den 27. März 1941, den Sturz der Regierung Cvetkovi& durch einen Volksaufstand zum „Beginn des Freiheitskampfes in Europa“. Er beschreibt die Bombardierung Belgrads zehn Tage später, den „brutalste[n], unmenschlichste[n] und sinnloseste[n] Ueberfall auf die Zivilbevölkerung einer Stadt, den die Welt je gesehen“, beschreibt den Zustand der jugoslawischen Armee, für welche das Volk in die Bresche sprang, das mit seinem Guerillakrieg vier Jahre lang 28 deutsche Divisionen im Lande festhielt, die für den Einsatz an den anderen Fronten verloren waren: „Dies“, so Sacher-Masoch, „ist die unsterbliche Tat des jugoslawischen Volkes“. Von besonderer Bedeutung aber ist die von ihm hervorgehobene Vorbildfunktion, die der bewaffnete Widerstand dieses mit traditioneller Herablassung betrachteten Volkes im Sinne eines noch zu entwickelnden lebendigen demokratischen Bewusstseins auch für Österreich haben könnte. Noch war ja nicht klar, wie es mit Österreich weitergehen würde, klar aber war, dass es mit seiner Vergangenheit würde abrechnen müssen, um eine Freiheit zu erlangen, die diesen Namen verdient. Das Österreichische Tagebuch"! versammelte in diesem Sinn Autoren, die den Krieg im jugoslawischen Exil erlebt hatten, darunter als zeitweise engsten Mitarbeiter Franz Theodor Csokor, dessen Rückkehr nach Österreich das Blatt publizistisch feierte. Sein Stück Der verlorene Sohn erschien hier ein Jahr vor der Uraufführung am Wiener Burgtheater.”” Es spielt in einem Bauernhaus auf einer dalmatinischen Insel zur Zeit des Partisanenkampfes und dramatisiert den „Riß, der den Kollaboranten vom Widerstandskämpfer trennte“ und der, wie Ina Jun-Broda feststellt, „so oft mitten durch die Familie [ging], die sich manchmal — um zu überleben - einverständlich die Risiken teilte“.'? Sacher-Masoch war 1938 samt Familie nach Belgrad emigriert — wie auch Piero Rismondo, mit dem zusammen er das Schauspiel