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Das unsichtbare Volk schrieb, das unter der Hand in Belgrad und Zagreb verbreitet wurde; die Autoren beschwören darin den neuen, brüderlichen Menschen, der aus der Gemeinschaft der Vertriebenen hervorgehen und den Faschismus überwinden würde. Beide Autoren erlebten im April 1941 die Bombardierung Belgrads mit, beide flohen ins italienisch besetzte Küstenland. Rismondo tauchte in Split unter, Sacher-Masoch gelangte über Sarajevo nach Korcula, wo sich eine achtzigköpfige Kolonie von Exilanten bildete, die bis zur Kapitulation Italiens als Zivilkriegsgefangene unter relativ sicheren Bedingungen auf der Insel interniert waren. Hier hielt sich auch Franz Theodor Csokor auf, der seine Flucht aus Belgrad und die Lebensbedingungen auf Kor£ula in seinem Bericht Ab Zivilist im Balkankrieg (Wien 1947) beschreibt. Einige der von Csokor geschilderten Begebenheiten finden sich auch in Sacher-Masochs Roman Die Ölgärten brennen (Hamburg, Wien 1956). Darüber hinaus gleichen sich viele Motive: beide Bücher beschreiben die Flucht von Belgrad an die dalmatinische Küste und weiter nach Kor£ula, beide beschreiben das Leben auf der Insel, die verschiedenen (immerhin möglichen) Arrangements mit den Italienern, den Beginn des Partisanenkampfes, an dem auch Frauen und Geistliche als Mitkämpfer beteiligt waren (vgl. die bei beiden identische Figur des Padre mit dem Partisanenstern auf der Soutane), die Unterstützung des Widerstands aus dem Volk, den Zulaufzu den Partisanen, die Geiselerschießungen durch die Besatzer, und schließlich auch die blutige Abrechnung mit ehemaligen Machthabern und Kollaborateuren, der auch Unschuldige zum Opfer fallen (wobei sie sich auf identische Vorfälle bzw. Berichte beziehen). Csokor rechnet dieses grausame Standgericht vor allem dem „Elend und Tod von Hunderttausenden einer im Frieden überfallenen Nation“ (270) an, sicht darin aber auch philosophisch „jenem ehernen Gesetz“ Genüge getan, wonach Revolutionen ihre Weihe durch Blutopfer erhalten (273). Sacher-Masoch, der ähnlich lapidar das Schicksal einzelner mit der welthistorischen Tragik des Kriegsgeschehens in Jugoslawien verknüpft, nimmt engagierter Partei für den Widerstand, dem ersich auch angeschlossen hat, nennt die Serben ein „wahrhaft demokratisch empfindendes Volk“ (268) und thematisiert stärker die soziale Dimension des Kampfes. Das Abfackeln der Ölgärten als drakonische Vergeltungsmaßnahme der Italiener, die der Zerstörung der Lebensressourcen der Einheimischen über Jahrzehnte hinaus gleichkommt, treibt selbst Leute in den Widerstand, die bislang passiv geblieben sind. Interessant ist auch die Analogie, die der Autor zwischen der Flucht der Emigranten und der Ruhelosigkeit der Partisanen herstellt, weil Fliehen „sich regen“ bedeute und aus gemeinsamer Regsamkeit auch eine „Bewegung“ entstehen könne: „Partisanen sind ruhelos und immer unterwegs“ (183). An anderer Stelle heißt es: „Ich bin ein vorgeschobener Posten der Wälder“ (180). Im Herbst 1943, nach der Kapitulation Italiens und schon aufder Flucht vor den nachrückenden Deutschen, gelangte ein Großteil der auf Kor&ula Konfinierten auf einem Partisanenschiff in das befreite Bari. Sowohl Csokor als auch Sacher-Masoch arbeiteten danach in Rom in der britischen Psychological Warfare Branche, die für die Verbreitung von Soldatenzeitungen auf dem Balkan sorgte, in denen die Wehrmachtsoldaten zur Desertion aufgerufen wurden. Über Csokor weiß Ina Jun-Broda zu berichten, dass er sich bis zu seinem Tod eine Hochachtung vor Tito bewahrt und ihm auch seine Werke überreichen lassen habe. '* Ina Jun, geborene Ehrlich, Zagreberin jüdischer Herkunft, begab sich nach der Bildung des kroatischen Ustascha-Staates als „Flüchtling im eigenen Land“ ebenfalls in das italienisch besetzte Dalmatien, wo sie der antifaschistischen Frauenfront beitrat und als Pflegerin in Partisanen- und | Evakuationsspitälern in Split und auf den | vorgelagerten Inseln arbeitete. Hier kam sie mit den österreichischen Schriftstellern im dalmatinischen Exil in Kontakt, wobei vor allem die Begegnung mit Csokor bleibende Spuren hinterließ. Sie schrieb schon während des Krieges Gedichte in deutscher Sprache, in denen sie den Verlust | der Liebsten (Mann und Sohn kamen in Cover von Alexander Sacher-Masochs Gedichtband, kroatischen Lagern erschienen 1946 im Wiener Verlag, gestaltet und ums Leben), den illustriert von Walter Behrens, Nachwort von F.Th.. Csokor. Das „Gedicht“ (18 Sonette) entstand 1940 in institutionalisierten Belgrad. Antisemitismus, die Vernichtungslager, den menschenfressenden Krieg, Ustascha und Partisanen thematisiert, die unwiederbringlich veränderte Heimat, und immer wieder das Leid der Kinder, der Mütter, die Schwangerschaft als Fluch. Ina Jun kam 1947 nach Wien. Einige ihrer Gedichte, die 1950 unter dem Titel Der Dichter in der Barbarei in ihrem einzigem Gedichtband erschienen (Wien 1950), wurden über Csokors Vermittlung schon während des Krieges in deutschsprachigen Zeitschriften in der Schweiz und in den USA abgedruckt; einige erschienen unter dem Pseudonym Jana Joan und mit einer Einleitung Csokors im Österreichischen Tagebuch. Die Autorin war nach dem Krieg eine produktive Übersetzerin aus dem Serbokroatischen, Slowenischen und Mazedonischen und Herausgeberin zweier jugoslawischer Anthologien, darunter die Anthologie Du, schwarze Erde. Lieder jugoslawischer Partisanen, die 1958 im Ostberliner Aufbau-Verlag erschien. Split, das im Unterschied zur „annektierten“ Insel Kor£ula lediglich als von den Italienern „okkupierte“ Stadt galt, nominell aber zum Unabhängigen Staat Kroatien gehörte, !? gehorchte de facto den Partisanen, die, wie Jun-Broda berichtet, an den offiziellen faschistischen Feiertagen Ausgehverbote verhängten, an den Vorabenden des Ersten Mai und der Oktoberrevolution dagegen ihre Freudenfeuer rund um die Stadt entzündeten.!° Hier war Piero Rismondo untergetaucht, der nach dem Krieg noch bis 1952 als Redakteur und 'Iheaterdirektor in Rijeka lebte, che er und seine Frau von einer Studienreise nach Österreich nicht mehr zurückkehrten. Rismondo, später Leiter des Kulturressorts der Tageszeitung Die Presse, thematisiert Jugoslawien quer durch seine Publizistik. Unter den österreichischen Schriftstellern in der dalmatinischen Emigration war auch der heute vergessene Wilhelm Anton Oerley (1903-1985), dessen Erzählung Die Amnestie (Wien 1948) vom Untergang eines Menschen aus fehlender Entschlossenheit zum Widerstand handelt. Protagonist ist ein kroatischer Student, der sich nicht von der Vorstellung häuslicher Geborgenheit trennen kann, bis er in die Wehrmacht eingezogen wird. Er desertiert, lässt sich aber, bevor er in den Wald geht, auf ein Amnestieangebot der Ustascha ein, welche ihn, den Deserteur jedoch der Gestapo ausliefert. Oerley schildert unter anderem die von allen Seiten ausFebruar 2011 49