rischen Takt zu zeigen, hat derselbe M. Krist
einige Seiten weiter in dem von ihm zusam¬
mengestellten Text „Die zerstörte Stadt“ von
"Thomas und Siegfried Weyr leider ungenutzt
gelassen. Die Zitate aus diesen Briefen, die das
Ehepaar Matejka betreffen, einfach unkommen¬
tiert abzudrucken, ist höchst irritierend und
inakzeptabel.
Sebastian Meissl, Wien, 4.12. 2010
Natürlich gab Siegfried Weyr in den Briefen an
seine Gattin und seinen Sohn in den USA seine
‚persönlichen Eindrücke wieder, seine subjektive
Sicht der Dinge. Was er über Viktor Matejka
schreibt, war deshalb unverzichtbar, weil es einen
besonders schmerzlichen Aspekt von Weyrs Ent¬
täuschung über die Verhältnisse in Wien betriffi.
Er würdigt die Haltung Gerda Matejka-Feldens
(1901 - 1984) in der NS-Zeit (dass sie selbst auch
verfolgt, mifshandelt und eingesperrt wurde, wird
meist nicht einmal erwähnt); Viktor Matejkas
Verhalten bleibt ihm unverständlich, dennoch
versucht er, Matejka irgendwie doch gerecht zu
werden. — Matejka und seinen Verdiensten wur¬
de in ZW (bzw. MdZ) immer großer Respekt
gezollt. 2003 beteiligte sich die Theodor Kramer
Gesellschaft auch höchst aktiv an der Kundgebung
und der Diskussionsveranstaltung aus Anlaß des
10. Todestages Matejkas. — M. Krist/K. Kaiser
Zu Irene Suchys „Wer mag, kann gehen. Reise
nach Maly Trostinec“ in ZW Nr. 3/2010, 5. 4-6:
Liebe Frau Suchy,
vielleicht erinnern Sie sich noch an Rüttihu¬
belibad im Kanton Bern in der Schweiz. Vor
einigen Jahren hatten wir uns dort kennen gelernt
und die Kammermusik-Atmosphäre genossen.
Unvergesslich bleibt uns auch die Uraufführung
des Quintetts und das Violinkonzert mit Frau
Kapcinskaya von Otto M. Zykan. Mein Mann,
ebenfalls mit weissem Bart und Haar wurde
mehrmals für Ihren Mann gehalten.
Als Abonnent der ZW habe ich nun Ihren
Artikel „Wer mag, kann gehen“, und ich bin sehr
berührt davon. Es scheint mir ein so wichtiger
Artikel, denn wir — selbst Juden — hatten noch
nie von Maly Trostinec gehört! Vielen Dank
dafür, auch für Ihr wundervolles Motto Es gibt
kein Wir im Erinnern. Jede ist allein — ob das
wohl von Ihnen selbst stammt?
Mit grossem Gewinn haben wir Ihren Artikel
gelesen und uns dabei an eine gute Zeit voll
Musik erinnert.
Madeleine und Albert Erlanger, Zürich, 2.12.
2010
Auf schon weiter zurückliegende ZW-Ausgaben
bezieht sich der folgende Brief:
Beim Lesen der Ausführungen vom Sohn
Hilde Spiels über seine Mutter [Felix de
Mendelssohn, „Hilde Spiels Memoiren in
englischer Sprache“, in ZW Nr. 1-2/2009]
bin ich beim Umblättern auf George Cla¬
res Todesanzeige gestossen. Sein Buch „Last
Waltz in Vienna“ hatte mich seinerzeit so be¬
eindruckt, dass ich es seither schon mehrmals
wieder zur Hand nahm. Ist es doch auch ein
Bild vieler solcher Familien, auch der meinen
in der damaligen Zeit.
Etwas, das mir besonders zu denken gab, war
der Epilog und darin die Ausführungen über die
Taten der Kirchenväter vor 2000 Jahren. [...]
Zu den im selben ZW-Heft erschienenen
Beiträgen zu Renate Göllners „Schule und Ver¬
brechen“ gestatte ich mir die Frage, warum es
da eigentlich nur um die von der Versetzung
betroffenen Schüler der verschiedenen Gymna¬
sien geht. In meiner Erinnerung betraf es alle
Schüler jüdischer Abstammung, also auch die
der Volks- und Hauptschulen.
Das angeführte Beispiel Kalvarienberggasse
scheint mir fragwürdig, denn aus der Kalvari¬
enberggasse 33 mussten wir von Ende April
1938 an in die Stumpergasse übersiedeln, also
wie angedeutet mit der Kirche ums Kreuz. Im¬
merhin bekamen wir zwei Monatskarten der
Straßenbahn gratis und fuhren täglich vom
nahen Elterlein-Platz mit dem 43er bis zum
alten Allgemeinen Krankenhaus und nach dem
Umsteigen dort in Richtung Mariahilferstraße
... Beide Schulen existieren nicht mehr.
Der Unterricht in der Kalvarienberggasse nach
dem Anschluss war schon so lala, der Dienst
in der HJ ging vor. Von den Lehrern war nur
wirklich einer ein patzen Nazi Und wurde sofort
zum Schuldirektor gemacht. Da er aus Ungarn
kam, sprach er ein Beißzangen-Deutsch. Noch
unter dem Austrofaschismus ließ er uns als ers¬
ten Eintrag ins Naturgeschichtsheft schreiben:
„Der Mensch ist das vorzüglichste Geschöpf
Gottes!“ Es gab noch einen zweiten Nazi in
der Schule, den Katecheten. Nur den musste
ich natürlich nicht genießen. Hingegen hatten
wir unter anderen eine Französischlehrerin, die
brachte mein korrigiertes Klausurheft mit einer
aufmunternden Widmung zu uns nach Hause.
Mit ihr hatten wir noch während des Unter¬
richts eine Diskussion zur nun möglichen Tötung
unwerten Lebens (Euthanasie) geführt, und sie
machte aus ihrer ablehnenden Überzeugung
kein Hehl. Ihr Sohn war bei der SS, so etwas
wie Standarten- oder Sturmbann-Führer. Sie
hieß Irene Kind.
In der Stumpergasse gab's kaum noch ge¬
regelten Unterricht, und auch ob man da war
oder nicht, war kein Problem.
An manchen Tagen, an denen mein Bruder und
ich um vier Uhr morgens von Hernals, fast
schon in Währing, in die Wehrgasse gingen,
um nutzlos in der Schlange anzustehen, da¬
mit unsere Mama später kommen konnte für
die Beschaffung von Pässen, war ich einfach
abwesend in der Schule. Der Grund selbst ist
ein anderes Kapitel.
Ein weiteres Faktum: Das Braune Haus lag
nicht weit von der Schule und von dort orga¬
nisierte die HJ Überfälle auf die Schüler beim
Verlassen des Gebäudes. [...]
Ein Ja zum Anschluss war auch die Devise
aller österreichischen Kirchenwürdenträger. Den
Herrn Erzbischof Kardinal Dr. Innitzer sah ich
in seinem Talar im Wiener Stadion (da durfte
ich noch) vor einem Länderspiel mit gleichfalls
erhobener Hand neben Seyss-Inquart beim Ab¬
singen eines Nazi-Liedes stehen. Er hat ja auch
Hider im Imperial besucht. Heute wird zwar die
These verbreitet, es sei nur ungern geschehen.
Aber wie heißt es so in solchen Fällen: Schlepp
mich, ich geh gern!
Diese Sympathie nahm erst leicht ab, als die
HJ das erzbischöfliche Palais neben dem Ste¬
phansdom überfiel.
Erich Billig-Bannwart, Corseaux (Suisse), 7.1.
2010
Zwischenwelt. Zeitschrift fiir Kultur des Exils und des Widerstands.
Jg. 27, Nr. 4, Februar 2011. Eigentiimer, Verleger: Theodor Kramer
Gesellschaft, 1020 Wien, Engerthstr. 204/40, office@theodorkramer.at.
ISSN 1606-4321.
Erscheinungsort Wien, Verlagspostamt 1210 Wien. Pb.b. Zulassungsnr.
02Z030485 M.