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sich immer wieder Passagen aus einzelnen Artikeln — von denen
Siglinde Bolbecher eine schr große Zahl allein geschrieben hat —
andernorts wörtlich in wissenschaftlichen Aufsätzen übernommen
finden, ohne dass übrigens das Lexikon als Quelle angegeben wird.
Als sprudelnde Quelle der Themen und Ideen könnte man, nicht
nur in solchem Sinn und etwas romantisch gesprochen, dieses
Lexikon aber wirklich bezeichnen, das von der Exilliteratur in
ihren vielfältigen Formen und Möglichkeiten erzählt.

Die zweite bedeutende Leistung Siglinde Bolbechers ist seit
1984 die Mitherausgeberschaft der Zeitschrift „Mit der Ziehhar¬
monika“, seit 2000 unter dem Titel „Zwischenwelt. Zeitschrift
für Kultur des Exils und des Widerstands“. Etwas zu Unrecht,
was meine Arbeit betrifft, werde ich von der Zeitschrift freundli¬
cherweise als Redaktionsmitglied geführt, aber es ermöglicht mir,
die Verhältnisse von innen zu kennen und zu schen, wie Siglindes
Arbeit für die Zeitschrift aussieht, nahezu täglich, Stunden über
Stunden: Dazu gehört das Konzipieren der Hefte, die stets den
Umfang von Büchern haben, die Kontakte mit den Autorinnen
und Autoren, das Schreiben eigener Texte, das Redigieren und
Umdichten fremder Texte. All dies war und ist eingebettet in
Gespräche der Freundschaft mit Überlebenden der nationalso¬
zialistischen Verfolgung und mit Exilierten.

Die dritte bedeutende Leistung ist die „Buchreihe antifaschis¬
tische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“ - Siglinde
Bolbecher nahm und nimmt an diesem inzwischen schr umfangrei¬
chen Publikationsprojekt entscheidend Anteil, als Herausgeberin,
durch Lektorat und Redaktion. Aus dieser Buchreihe ist u.a. der
Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft hervorgegangen, in dem
sie wiederum zahlreiche Bücher betreut hat, nicht zuletzt die
„Zwischenwelt“-Jahrbücher, die es seit 1990 gibt.

Es ist nur eine nachträgliche Konstruktion, all diese Leistungen
in ein Erstens, Zweitens, Drittens zu gliedern, denn es ist eine
Gleichzeitigkeit und ein Dazwischen, von dem dies alles bestimmt
ist, eine seltene Mischung aus Ordnung und Durcheinander, ein
Gelingen, aber auch ein Scheitern von Vorhaben. Und so soll die
vierte bedeutende Leistung gleich die vielen Aktivitäten umfassen,
die wissenschaftlichen Tagungen zur Literatur und Kultur des Exils,
die Siglinde Bolbecher organisiert, die Vorträge, die sie gehalten
hat, die Lesungen, Einführungen - es waren hunderte -, die vielen
Anregungen, die von ihr ausgegangen sind. Zentriert war dies —
wie schon erwähnt — um die Theodor Kramer Gesellschaft, mit
der Siglinde Bolbecher so viel für die Entdeckung und Akzeptanz
der Literatur der Verfolgten und des Exils erreicht hat; immer im
Zusammenwirken mit anderen, etwa auch mit Karl Müller, dem
langjährigen Vorsitzenden der Gesellschaft, einem Bruder im Geiste
der rückhaltlosen Hingabe an diese unendlichen Aufgaben. Für
ihre Schwestern im Geiste hat Siglinde Bolbecher selbst unendlich
viel geleistet und unendlich viel von ihnen bekommen. Früh schon
hat sie daraufbestanden, genauso für die Exilautorinnen einzutre¬
ten, deren Leben, deren Werken die gleiche Sorgfalt zu erweisen
wie denen der Männer. Und zugleich hat sie das Augenmerk auf
die spezifische Situation gelenkt, darauf insistiert, dass es einer
besonderen Aufmerksamkeit bedarf, um die „Frauen im Exil“
wahrzunehmen, die gleichsam doppelt vergessen oder missachtet
sein konnten. Zahlreiche Autorinnen hat sie zu Lesungen nach
Österreich gebracht, hat ihnen Veröffentlichungen ermöglicht
und über sie geschrieben. Und meist gestaltet sie die Begegnungen
mit ihnen so, dass wir alle etwas davon haben.

Zu Siglinde Bolbechers nachhaltigen Begegnungen mit Exilan¬
tinnen gehörten die bereits genannte Stella Kadmon, Elisabeth

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Freundlich, Stella Rotenberg, deren Gedichte und Prosa sie he¬
rausgegeben hat, Grete Oplatek, über deren Briefwechsel mit
Theodor Kramer sie geschrieben und dabei ein so anschauliches
Bild der Lebensverhältnisse einer Frau im Exil gegeben hat. Sie
alle hatten vor den Nationalsozialisten aus Österreich flüchten
müssen, ebenso wie die Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin
und engagierte Feministin Eva Kollisch oder wie T. Scarlett Epstein,
die in England zur international anerkannten Pionierin auf den
Gebieten der Entwicklungsökonomie und Sozialanthropologie
geworden ist und deren Erinnerungen Siglinde 2011 ediert hat.
Als Begegnungen lassen sich unbedingt auch die Auseinanderset¬
zungen mit dem Leben und Werk der Toten bezeichnen, da uns
die Personen doch so sichtbar und verstehbar gemacht wurden,
etwa mit Salka Viertel, der Schauspielerin, Drehbuchautorin und
Verfasserin einer Autobiographie, die zu den besten dieser Gattung
gehört; in den Forschungen über sie konnte Siglinde Bolbecher
ihr biographisches Interesse mit dem Interesse für die erzählenden
Bilder des Films verbinden.

Seit 1991 steht Siglinde Bolbecher in engem Kontakt zu der
Arbeitsgruppe „Frauen im Exil“ in der (deutschen) Gesellschaft
für Exilforschung, besonders mit Beate Schmeichel-Falkenberg.
Diese wiederum hat in einem beeindruckenden Vortrag im Jahr
2001 in Wien betont, dass sie der Iheodor Kramer Gesellschaft
viel verdankt, vor allem aber dem Symposion „Frauen im Exil“
von 1995, das von Siglinde Bolbecher organisiert und dessen
Erträgnisse von ihr als „Zwischenwelt“-Jahrbuch herausgegeben
wurden. Auch hier war Siglinde als Pionierin tätig, denn es war
das erste Symposion zum Thema „Frauen im Exil“ in Österreich,
und Pionierin war sie wiederum, als sie 2002 die Frauen-AG im
Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung ins
Leben gerufen hat, deren Leiterin sie ist. Seit ihrer Gründung hat
die Frauen-AG — um die Intensität dieser Arbeit einmal in Zahlen
auszudrücken — 45 Veranstaltungen und drei Symposien gestaltet.

Würde ich hier nun in meinem Bericht über die Forschungen
und Aktivitäten von Siglinde Bolbecher fortfahren, so wäre ich bald
bei der Unmöglichkeit angekommen, all das auch nur irgendwie
angemessen darzustellen. Nicht nur wäre ausführlich von den
zahlreichen Büchern, Ausstellungen, Symposien zu sprechen — über
"Iheodor Kramer natürlich, über Berthold Viertel oder Elisabeth
Bergner, über den Februar 34, über die Rückkehr aus dem Exil,
über die Verbindungen und Differenzen des Exils zu Migration,
Asyl, Exil der Gegenwart. Ebenso wäre über die Tätigkeit als Leh¬
rerin zu reden: Auch dort hat Siglinde jegliches Job-Bewusstsein,
jegliche Einfügung in die engen Bahnen der Genügsamkeit gefehlt,
sie hat — wie ich aus ihren leidenschaftlichen Erzählungen darüber
erfahren habe — die Lehrtätigkeit schr ernst genommen. An der
Sozialakademie hat sie Lehrveranstaltungen zur feministischen
Sozialarbeit eingeführt und kontinuierlich abgehalten, hat sich als
Lehrerin für den neueingerichteten Maturalehrgang für gehörlose
Mädchen gemeldet und diese neue Tätigkeit mitten in der Zeit
des Trubels einer fertigzustellenden Berthold Viertel-Ausstellung
begonnen. Ohnehin ist es mir ganz unmöglich, Siglinde nur einen
Augenblick isoliert zu betrachten, sie selbst hat einmal emphatisch
vom „Wagnis menschlicher Verbindungen“ geschrieben. Die Rede
würde also jetzt unvermutet wieder zu anderen Personen hinü¬
ber gleiten, zu Hanna Papanck, Paul und Goldy Parin, Herbert
Exenberger, hierauf zu Siglindes engen Freundschaften mit Eva
Hötzendorfer, Gertraud Bosse-Theil und Bernhard Kuschey — und
dann wieder zu Konstantin Kaiser und zu Olivia Kaiser, deren
Bilder wir zu entdecken haben.