Aber nun möchte ich aus dieser Unmöglichkeit, all die überei¬
nander geschichteten und ineinander geflochtenen Tätigkeiten
und Begegnungen zu erfassen, doch abschließend zur Idee von
der Laudatio der unbegrenzten Möglichkeiten zurückkommen
und Siglinde zwar jetzt nicht befragen, aber doch zitieren. Immer¬
hin gibt es damit statt des Symposions eine Collage von Sätzen,
changierend zwischen theoretischer Maxime, praktischen Ge¬
sichtspunkten und Poesie, so wie ihre Arbeiten sind: „[DJieje¬
nigen“, schreibt Siglinde, „die heute Gesetze und Verordnungen
gegen Flüchtlinge dekretieren, sollten die Geschichte des Exils
kennen.“ Und an anderer Stelle formuliert Siglinde: „Es stellt
sich die Frage, inwieweit [...] die Autoren im Inneren des Exils ein
Herrenhaus bildeten [...]. Die Frauen waren von diesem Herren¬
haus marginalisiert und scheinen in einem engen Bezugsrahmen
als Schwester, Frau oder Geliebte auf.“ Aber auch eine weitere
Beobachtung dazu hat Siglinde festgehalten: „Im Exil gerät die
traditionelle soziale und gesellschaftliche Scheidung, die zugleich
einer geschlechtsspezifischen entspricht, vom Sinn der Arbeit,
Produktivität, Kunst und Kultur auf der einen, Mühsal, Plage
und alltäglichem Robot auf der anderen Seite ins Wanken.“ Und
über Stella Rotenbergs Prosa, bei der die Schriftstellerin, in ihrer
stets gegenwärtigen Erinnerung an die Shoah, auf eine fiktive
eigene Kindheit oder die der von den Nazis ermordeten Mutter
Brita Steinwendtner
An den Rändern gehen
zurückgreift, schreibt Siglinde Boblecher: „Ein Ariadnefaden
durch den Schlund der Hölle hindurch, in dem das minotau¬
tische Ungeheuer wütete.“ Schließlich gehören in diese Collage
hier unbedingt Siglindes Gedichte, ich wähle eines aus, in dem es
um das Erzählen geht, eigentlich gegen das falsche Erzählen der
fröhlichen Gleichgültigkeit, wie es nicht nur in allerlei Gärten
der Wissenschaft anzutreffen ist, sondern wie es vielleicht schon
Siglinde als Kind eines Flüchtlings aufgefallen sein muss, das den
Reden der Eingesessenen zuhört — aber diese Interpretation von
mir bleibt unter den Möglichkeiten des Gedichtes, das keinen
Titel hat und das da lautet:
Ich mag die Geschichten nicht,
wo immer was reinfällt, nachhüpft
und daraus neu entsteht.
Die sind mir zu praktisch
in der Verwandlung von gestocktem Blut
in zügiges Leben.
„Anders erinnern“ heißt eine Buchreihe im Verlag der Theodor
Kramer Gesellschaft. Liebe Siglinde, du hast selbst anders erinnert
und erzählt, für uns das Verdeckte und Verschwiegene sichtbar
gemacht, und in diesem Sinne gibt es für dich und für uns noch
viel zu reden, zu schreiben, zu lernen und zu lachen.
Die Männer
am Waldrand
mit Kübeln in Händen
der Fluchtweg bereit
die Glocken schlugen
längst schon
zur Messe
Tragen sie Wasser
kleine Äxte
Salz fürs Vieh
oder
die Seuche?
Jagt sie
ins Brombeergestrüpp
und laßt sie
nicht gute Nacht sagen
The men
at the edge of the forest
with pails in their hands
their escape route ready
the bells
calling to Mass
have been ringing
for a while
Do they carry water
small axes
salt for the cattle
or
an epidemic?
Chase them
into the blackberry bushes
and don't let them
Drüben
Immer denke ich:
drüben
Aber
auch drüben
bröckeln die Backöfen
reißen die Seile
heulen die Sirenen
say good night Auch drüben
wird ein Ohr
abgeschnitten
in Arles
An den Rändern gehen
Mut unter dem Fuß
Schweigen False Hope
auf den Fersen
Over there
I always think:
Going at the edges over there
courage underfoot
silence But
even over there
the ovens fall apart