eigenständiges und nicht einzuordnendes einzigartiges Schicksal.
Nicht untypisch daran ist, dass sie, wie viele andere, rechtzeitig mit
einem Kindertransport nach England flichen konnte und später
mit ihren Eltern und ihren Brüdern in Amerika einen „Boden
unter den Füßen“ fand. Doch sie wollte das ihr angetane Unrecht
nicht einfach überleben, sondern sich damit auseinandersetzen
und darüber hinaus, das Unrecht an sich aus der Welt schaffen.
Wie sie diesen Kampf gegen Ungerechtigkeit geführt hat und
was ihr dabei zugestoßen ist, wie und wann die Enttäuschungen
einsetzten, welche Hoffnungen nach wie vor blieben und bleiben,
davon handeln die beiden Bücher. Leichtfertig wurde ihr gesagt,
dass sie „Glück“ hatte, noch in letzter Stunde davongekommen
zu sein, und sie selbst empfindet es auch so, aber das „Glück“
am Leben zu sein, macht nicht unbedingt glücklich, wenn einem
vorher der Boden unter den Füßen entzogen wurde. Englisch
unterscheidet zwischen „happiness“ und „luck“. Deutsch hat
nur das eine Wort „Glück“ für beides. Man kann von einer ge¬
glückten Flucht sprechen, aber nicht, oder doch nur beschränkt,
von einer glücklichen Jugend, wenn sie mit einer so tiefgehenden
Entfremdung und Entwurzelung erkauft ist.
Sie hat über ihre Erlebnisse in umgekehrter chronologischer Rei¬
henfolge geschrieben, zuerst das Buch über ihre amerikanische
Jugend, mit dem Titel „Mädchen in Bewegung“, und erst später
das Buch „Der Boden unter meinen Füßen“, das vor allem über
ihre österreichische Kindheit Auskunft gibt. Die „Bewegung“ des
Titels bedeutet sowohl die Rastlosigkeit der jungen Emigrantin, die
nach Kontakten und Zugehörigkeit sucht, wie auch die politische
Bewegung, der sie sich anschließt, die trotzkistische Arbeiterpartei.
Ein kritisches und vor allem selbstkritisches Licht erhellt die
Beschreibung ihres trotzkistischen Engagements. Jahrelang stellt
sie ihr Tun und Denken, ihre Freiheit und ihre Freundschaften
in den Dienst eines Ideals, das sich nicht verwirklichen ließ. Sie
analysiert scharfsichtig, wie politische Überzeugung und persön¬
liche Voreingenommenbheiten, vor allem die Vereinsamung durch
Emigrantenhintergrund und Neuanfang ineinanderflossen. Poli¬
tische Versammlungen, denen sie beiwohnte, fasst sie lapidar und
mit verhaltenem Humor so zusammen: „die Stimmung geladen;
die Stimmlage hoch; die Diskussion rational; die Argumentati¬
on phallisch; der Stil talmudisch; das Ziel eschatologisch. Die
Schlußfolgerung? Sozialismus oder Faschismus: Es liegt an uns.
Antrag auf Vertagung.“
Bei aller Ironie durchzieht ein sympathischer sowie sympathi¬
sierender Ton von nicht auszulöschender Nostalgie diese Erin¬
nerungen. Ein New York der 40er Jahre und der Entwurzelten,
vor allem jüdischer, aber auch italienischer Emigranten lebt hier
auf. Das Exil schärft den Blick und stumpft ihn auch wieder ab.
Ersteres, weil man mehr Übersicht hat als die Einheimischen,
letzteres weil man die Wurzeln nicht kennt, aus denen das Natio¬
nalbewußtsein der neuen Heimat erwachsen ist. Da ist die Stadt,
die der ganzen Welt gehört, sich mit jeder Einwandererwelle
verändert und doch immer gleich aussieht. Da ist die Schnsucht
nach privatem Glück und der Wunsch, der Menschheit zu dienen,
mit dem impliziten Wissen des Rückblicks, dass so vieles falsch
und manches unmöglich war.
So ist dieses erste Buch die Geschichte einer amerikanischen
Jugend, in der die europäische Kindheit der Autorin, wenn nicht
verdrängt, so doch überlagert war von der Bemühung, die Ver¬
gangenheit in einer Gegenwart aufgehen zu lassen, die in einer
menschenwürdigeren Zukunft münden würde. Man hatte die
Ich gestehe, dass ich sowohl das eine Buch wie das andere mit
einem besonderen Gefühl von Verbundenheit gelesen habe. Eva
und ich waren gleichzeitig in New York, und, obwohl sie früher
dorthin kam als ich, so kannte und erlebte ich dieselbe Stadt und
studierte wie sie an einem der New Yorker City Colleges. Das New
York, das ich in den späten vierziger Jahren kennenlernte und das
sie aus der Sicht der frühen vierziger Jahre beschreibt, hatte sich
ein wenig verändert, aber nicht schr, und wie Eva hatte auch ich
eine Serie von Jobs, die man entweder nach kurzer Zeit hinschmiss
oder gefeuert wurde, als Kellnerin, Fabriks- oder Büroarbeiterin,
und ich bin, wie sie, per Anhalter auf Ferien gefahren -- wor¬
über man sich heute entsetzen würde. Aber ich hatte nicht ihren
Idealismus, ihre Überzeugung, die Welt ändern zu können und
den Willen, entsprechende Entbehrungen auf mich zu nehmen.
Zum Beispiel, wollten wir beide studieren, aber sie schob es auf,
weil die Genossen sie entmutigten, obwohl diese Genossen selbst
nicht Fabrikarbeiter sondern Collegestudenten gewesen waren.
Die junge Eva will sich integrieren, in einem Staat, wo sie offiziell
als „feindliche Auslanderin“ eingestuft wurde, sie möchte einer
Gruppe angehören, in der sie eine Rolle spielt, und sie möchte
nebenbei auch ein Leben als Frau haben. Neben den politischen
Fragen auch diese: Ein Liebhaber oder kein Liebhaber? Ein Ehe¬
mann oder kein Ehemann? Kinder oder keine Kinder?
1942: Die Männer werden eingezogen, sie werden Soldaten,
aber sie „hasste den vom Krieg erzeugten moralischen Druck (es
war wie Erpressung), der Männer Soldaten und Frauen Ehefrauen
werden ließ“. Mädchen und Frauen haben eine andere Zukunft,
eine andere Gegenwart. Ohne einen ausdrücklich feministischen
Standpunkt einzunehmen, hat Eva Kollisch zwei Frauenbücher
geschrieben, in dem Sinne, dass Kriegs- und Nachkriegszeit sich
deutlich anders abspielten in den Köpfen ihres Geschlechts als in