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war es den Herren mehr oder minder gleichgültig, welche Kultur
und Sprache ihre Untertanen pflegten. Und: Ein slowenischer
Keuschler aus Südkärnten wird nur selten mit einem deutschen
Bauern aus Oberkärnten in Kontakt gekommen sein. Als die Mo¬
dernisierungen des 19. Jahrhunderts ins Land zogen, wurden die
Durchdringung des Raums und seine Abgrenzung im Nationalstaat
mit einem klar abgegrenzten Markt wichtig. Zur Vereinheitlichung
und Abgrenzung, historisch gegen den internationalen Adel und
den autoritären Absolutismus, musste in Europa eine brauchbare
bürgerliche Kategorie gefunden werden: die einheitliche Nation.
Da die meisten Regionen in Europa kulturell gemischt waren,
mussten die Nationen erst erfunden werden.?

Es gibt Beispiele von Nationsbildungen in Staaten, wo mehrere
Ethnien miteinander leben. Diese konnten allerdings nur über
dauerhafte und stabile Entwicklung der Demokratie entstehen, wie
das Schweizer Beispiel zeigt. Da es sowohl in Österreich (-Ungarn)
als auch in Kärnten ein dramatisches Zurückbleiben in Sachen
Demokratieentwicklung gab, schlug die politische Begleitmusik
der Modernisierung hierorts bald in nationalistische Politik um.
Die regionalen und Reichspolitiken wurden rund um 1900 bei¬
nahe durchgehend von der nationalistischen Option bestimmt.
Kärnten mit seiner kleinen italienischen (das Kanaltal war damals
ein Teil Kärntens) und großen slowenischen Nationalität schaffte
selbstverständlich keine multiethnische nationale Entwicklung. Die
hiesigen Eliten, die deutsch waren, wollten ein deutsches Kronland
verwalten und verhinderten, wo sie konnten, slowenische Selbstbe¬
stimmung. Das ist die Geburtsstunde des Grenzlanddeutschtums
in Kärnten, das sich möglichst viel slowenisches Gebiet einverleiben
wollte. Außerdem befand sich das bäuerliche Slowenentum in
einem Entwicklungsrückstand. Nur die katholische Kirche, die
gemäß ihrer religiösen Grundlagen universalistisch sein sollte,
nahm sich der treuen Slowenen an, sie benützte sie auch gegen den
stärker werdenden antiklerikalen Deutschnationalismus. Wenn
man Glück hat, kann man in Kärnten noch immer Spuren des
deutschnationalen Kulturkampfes gegen „Rom“ spüren. Aber das
ist etwas für Freunde überkommener Altertümer.

Diese autoritäre und ungleiche nationalpolitische Konstellation
in Kärnten musste sich am Ende des 1. Weltkrieges radikalisieren.
Da die siegreiche Entente die Nationsbildung förderte und die
deutsche Herrschaft auf den Raum des kleinen Österreich redu¬
zierte, setzte hier ein verzweifelter Kampf um das historische Land
und die vermeintliche Landeseinheit ein. Selbst im Angesicht der
Kriegsniederlage ließ man die Südslawen nur äußerst ungern in
die Selbstbestimmung ziehen und den Slowenen in Südkärnten
wollte man unter allen Umständen ihr Recht auf Selbstbestimmung
nehmen. Die historischen Grenzen und die Landeseinheitwurden
zu Dogmen. Alle großen politischen Parteien, vereint im Deutsch¬
nationalismus, verhinderten die nationale Selbstbestimmung der
Kärntner Slowenen und wollten sie als windische Bedienstete voll
vereinnahmen.

Als es zwischen Österreich/Kärnten und dem neuen südslawi¬
schen Staat zu Kleinkriegsepisoden um den südkärntner Raum
kam, versuchte sich die Bundesregierung, obwohl auch deutsch¬
national eingestellt, halbwegs rational zu verhalten. Da aber in
Kärnten der so genannte Abwehrkampf angefacht war, der nur
Pyrrhussiege und schwere Niederlagen eingebracht hat, hatte die
Bundesregierung alle Hände voll zu tun, sich von den Kärntnern
nicht Waffenstillstandsverhandlungen torpedieren zu lassen. Auch
der Kampfwert der Kärntner Freiwilligenverbände ist nicht hoch
einzuschätzen; ohne der „Volkswehr“, dem Heer der Republik von

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1918-20, hätten die Waffenstillstandslinien nicht gehalten werden
können. Julius Deutsch, der erste Heeresminister der Republik,
überliefert, dass er 1918 zu tun hatte, das kontraproduktive Han¬
deln der radikalisierten Deutschkärntner einzudämmen.? Jetzt
wurden die Grenzlanddeutschen, die die Wacht am Rhein hier als
Abwehr an den Karawanken verstanden, zu einem Massenphäno¬
men, deren nächstes Ziel die Verdrängung der slowenischen Nation
zumindest aus Kärnten war.

Ich interpretiere das fanatische Abwehrkämpfertum als zeitgenös¬
sisches Symptom der Kriegstraumata der besiegten Soldaten, die
sich zumindest in der Heimat als Sieger verstehen wollten. Dazu
dürfte wohl auch die „unreine“ Herkunft — sehr viele Kärntner
ohne slowenische Wurzeln gibt es nicht- über den „Abwehrkampf“
bereinigt worden sein. Kärntner slowenischer Herkunft haben sich
vielfach im „Abwehrkampf“ und noch mehr und ungefährdet in der
grotesk lang anhaltenden Traditionspflege dieser Scharmützel von
ihrer Herkunft abgewendet und dem herrschenden Deutschnatio¬
nalismus angepasst. Dass diese sozialpsychologischen Thesen nicht
mit Ergebnissen aus der Grundlagenforschung abgestützt werden
können, ist mir bewusst. Solche Fragestellungen können wohl
wegen der ideologischen Ausrichtung der landesgeschichtlichen
Forschung nicht aufgeworfen werden. Und andererseits vermute
ich, dass sie der österreichischen Forschung „zu klein“ sind.

Die österreichische Bundesregierung hat es in Saint Germain
geschafft, für Kärnten eine Volksabstimmung herauszuholen. Das
deutschnationale Kärnten hat eine erstaunlich professionelle Pro¬
pagandakampagne für den Verbleib Südkärntens bei Kärnten (oder
bei Österreich?) entfalten können. Die gewohnten alten Vorurteils¬
strukturen und ein beinahe archaisches Besitzbewusstsein wurden in
einen modernen Propagandakampf gegossen; das 20. Jahrhundert
hat viel ärgere Beispiele solcher entseelter Kampagnen gesehen, in
denen das Eigene vergöttlicht und das Andere verteufelt worden
ist. Für die Slowenen, die damals circa ein Drittel der Bevölkerung
Kärntens ausmachten, war der Ausgang der Volksabstimmung
ein dramatischer Einschnitt. Zwar wurden wenige Tage nach
der Volksabstimmung noch Verbrüderungen zwischen Slowenen
und Deutschen inszeniert, aber sehr bald wurde klar, dass sich die
Slowenen in Kärnten zu beugen hatten. Sie wurden zur Assimilie¬
rung genötigt und hatten bald aus Eigenem nicht mehr die Kraft,
selbständig Initiativen zu entfalten. Die slowenische Volksgruppe
in Kärnten hat in den 1920er- und 1930er- Jahren auch deshalb
viel Substanz verloren, weil viele - und ich denke besonders ihre
gebildeteren Mitglieder — nach Slowenien emigriert sind. Was dieser
Brain-drain für die slowenische Gemeinschaft in Kärnten bedeutet
haben mag, ist ein Desiderat der Forschung. Aber ich kann darauf
hinweisen, dass im Schwerpunkt „Exil in Jugoslawien“ in dieser
Zeitschrift verdienstvolle Überblicke über die slowenisch-kärntner
Exilszene in Slowenien der Zwischenkriegszeit erschienen sind.‘

In den Biographien Kärntner Nazi-Führer kann man feststellen,
dass sie ihre ersten deutschnationalen Sporen im „Abwehrkampf“
verdient haben. Der erste Gauleiter Kärntens, Hubert Klausner,
war Kompanieführer im Abwehrkampf.° Der zweite Gauleiter
Kärntens, Friedrich Rainer, durchliefeine paradigmatische Karriere:
als Jugendlicher im Abwehrkampf, dann Prägung in schlagenden
Burschenschaften und im deutschen Turnerbund, 1930 Eintritt
in die NSDAP und 1934 in die SS. Auch Odilo Globocnik soll
im Abwehrkampf gekämpft haben, er trat schon 1922 in die nati¬
onalsozialistische Bewegung ein.’ Aus den Biographien führender
Kärntner Nationalsozialisten lässt sich die 'Ihese ableiten, dass
sich radikalisierte Deutschnationale aus der Nachkriegszeit des