Ersten Weltkriegs schnell in die nationalsozialistische Bewegung
integrierten. Aber eine Analyse der zeitgenössischen Massenakten
über diesen Zusammenhang ist meines Wissens noch ausständig.°
Der Anschluss Österreichs an NS-Deutschland bot den deutsch¬
nationalen Nazis in Kärnten die Möglichkeit ihre Alleinherrschaft
mittels Terror herzustellen: die ersten Verfolgungsopfer waren
die politischen Gegner des Nationalsozialismus und die jüdische
Minderheit; dann wurde die Vertreibung der Slowenen organisiert.
Die slowenischen Bauern wurden beraubt und in spezielle Lager
deportiert.” Die Slowenen in den deutsch besetzten Gebieten
Jugoslawiens, z.B. in der Oberkrain, waren nach dem deutschen
Überfall 1941 einer wesentlich schlimmeren nationalen Vernich¬
tung ausgesetzt. Die deutsche Besatzung betrieb eine gewaltsame
Germanisierungspolitik, d.h. die Deutschen wurden privilegiert
und die Slowenen einer brutalen Verfolgung unterworfen. Es wäre
interessant zu wissen, in welchen Positionen Kärntnerinnen und
Kärntner die Germanisierung Oberkrains vorangetrieben haben,
das damals dem Gau Kärnten angeschlossen war.
Aber überzogene Gewaltanwendung kann in Gebieten, wo aus
nationalen Gründen keine Sympathie der Bevölkerung mit dem
NS-Regime entstehen kann, kontraproduktive Folgen haben: Der
NS-Terror produzierte gleichsam den Widerstand der Partisanen
in Slowenien. Da die Verhältnisse für die Slowenen in Kärnten
zwar nicht so brutal, aber dennoch vergleichbar waren, erscheint
es logisch, dass der Partisanenwiderstand auch nach Kärnten über¬
wechselte. Und: 1945 zog die NS-Germanisierungspolitik eine
kommunistische Slawisierungspolitik nach sich. Die Vertreibung
der Deutschen aus Jugoslawien war ebenfalls ein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit, aber festgehalten werden muss, dass die letztere
ohne die erstere nie stattgefunden hätte.'” Aggressoren verstehen
die Reaktionen ihrer Opfer selten, vielfach praktizieren sie die
Schuldumkehr. In unserem Fall hief$ es von deutschnationaler
Seite immer: Welche Massenverbrechen die Tito-Banden an der
deutschen Minderheit in Jugoslawien veriibt haben! Von den NS¬
Verbrechen in Jugoslawien war wenig die Rede, und in Karnten
ist von der Beraubung und Vertreibung hiesiger Slowenen noch
heute fast nichts bekannt.
Hier soll auch angemerkt werden, dass sich viele vertriebene
Deutsche aber auch gefliichtete Slowenen nach 1945 im Siiden
Osterreichs angesiedelt haben. Welche Auswirkungen diese ge¬
waltsamen Bevélkerungsverschiebungen fiir die politische und
soziale Struktur Karntens und auch die Steiermark gehabt haben,
ist meines Wissens nur geahnt und nicht erforscht."
In der Besatzungszeit musste man sich nach der Decke strecken.
Im Pflichtschulwesen gab es vergleichsweise guten zweisprachigen
Unterricht in Südkärnten. Kaum war der Staatsvertrag errichtet, der
Österreich zum Schutz seiner nationalen Minderheiten verpflich¬
tete, „streikten“ die Deutschkärntner gegen den zweisprachigen
Unterricht, und hopp, weg war der zweisprachige Unterricht. Alle
drei Parteien fuhren eine antislowenische Politik, schürten die Angst
vor Tito-Jugoslawien und verhinderten aus voller Überzeugung
die Erfüllung des $7 des österreichischen Staatsvertrages. Diese
völkerrechtliche Verpflichtung wurde ignoriert und die slowenische
Minderheit über ein halbes Jahrhundert rechtswidrig ausgehungert.
Als Bruno Kreisky den Versuch startete, einige Staatsvertragsver¬
pflichtungen zu erfüllen, erntete er 1972 den Ortstafelsturm, eine
hysterische Exaltation, die aggressiv klar machte, dass die hiesigen
Vorurteilsstrukturen nicht anzutasten seien. Nach den eingangs
erwähnten großen internationalen Veränderungen nach 1989 wur¬
den der diminuierten slowenischen Minderheit einige Ortstafeln
am Anfang des 21. Jahrhunderts gewährt. Auch diese bescheidene
Geste hatsich der Kärntner Deutschnationalismus nur widerwillig
„aus dem Leib gerissen“, voller Frech-, Dumm- und Bösartigkeiten.
Ich erinnere an die Ortstafelverrückungen von Haider und Dörfler,
wie haben sie sich gefreut, ob ihres Schabernacks!
Von 1918 bis 1945 wurde Kärnten mit Gewalt deutsch gemacht,
nach 1945 erfüllte die strukturelle Gewalt denselben Zweck. Diese
strukturelle Gewalt baute auf nationalistischen Vorurteilsstrukturen
auf, die die eigene Gewalttätigkeit und die verleugnete Schuld zu
verdecken hatten. Die Schuld wurde auf die Slowenen umgeleitet
und mit der eigenen Aggression waren Deutschnationale immer
schon im Reinen. Daher steht man dort viel ungebrochener nach
wie vor hinter den Zielen der nationalsozialistischen Aggressionen.
Wehrmachtsteilnehmer werden hier noch als „weiße Ritter“, also
Retter, geschen. Die Kärntner Freundlichkeit und Witzigkeit,
die mit ihrem Chauvinismus und Sexismus einigen Kritikern der
political correctness schon wieder gefällt, ist grundiert mit einer
„anständigen“ Portion Aggression. Humanität kann nicht allein im
eigenen Selbst entstehen, erst Interesse am Anderen und Einfüh¬
lung können „nationale Individuen“ zur Menschlichkeit führen.
Die deutschnationale Erinnerung feiert die eigenen Kämpfe und
ihre Helden, macht die Opfer zu Tätern und verschweigt das
Eigene, das verbrecherisch war. Damit ist diese Erinnerung ein
Phänomen der Unkultur und verweigert sich einem Verstehen,
das dem historischen Prozess gerecht wird. Diese Tendenz gibt es
auch in der slowenischen Erinnerung. Aber die fatale Vermischung
von Emotion und politischem Ziel ist bei den Deutschnationalen
starker. Der Kampfruf des Karntner Heimatdienstes/KHD in
den 1970er Jahren, einer Zeit verscharfter nationaler Konflikte,
arbeitete mit der Technik der „klaren“ Doppelbotschaft: „Es gibt
kein Slowenisch-Kärnten!“ Obwohl ein Rückgang der sloweni¬
schen Bevölkerung Kärntens festzustellen war, malte der KHD
ein „Slowenisch-Kärnten“ an die Wand, um dieses — also das
Bedrohungsbild und die Realität einer slowenischen Minderheit
in Kärnten — aggressiv zu verneinen. Es wurde keine reale Politik
gemacht, sondern deutschnationale Ängste propagandistisch ver¬
und gestärkt.
Daher ist es jetzt eine kleine Sensation, dass die ehemaligen
Kontrahenten aus den 1970er Jahren zum Gespräch gefunden
haben. Der Obmann des KHD seit 1972, Josef Feldner, und der
slowenische Aktivist der 1970er Jahre sowie Obmann des „linken“
Zentralverbandes slowenischer Organisationen/Zveza slovenskih
organizacij na koroskem seit 1992, Marijan Sturm, diskutierten
drei Tage die Grundlagen ihrer nationalen Politik. Dieser Dis¬
kussionsprozess, der die eigene Politik reflektierte und die des
jeweils anderen zu verstehen suchte, ist in einem interessanten
Buch dokumentiert.'* Interessant ist, dass der „Chef“ der linken
Slowenenorganisation sich mit dem „Chef“ des nationalistischen
und daher rechten Heimatdienstes austauschen und verständigen
konnte. Der Zerfall Jugoslawiens und die Gründung der Republik
Slowenien haben wohl Ängste weggenommen, sodass Sturm mit
Feldner auch über die Kosten der jugoslawischen Revolution
reflektieren konnte. Feldner zeigte für die Wunden und Ängste
der Kärntner Slowenen durchaus Verständnis, aber die Dogmen
des Kärntnertums — die Bedeutung des „Abwehrkampfes“ und
die Landeseinheit — blieben heilig und durften nicht bearbeitet