OCR Output

werden. Dennoch, Feldners Schritt ist im Kärntner Kontext mutig.
Er wurde auch umgehend geschnitten, beim Landesritual am 10.
Oktober wird er als Vertreter der „Organisation des Kärntnertums“
von den regierenden Freiheitlichen auf die Seite geschoben. Die
Initiative Feldners und Sturms kann nur als Anfang des Prozesses
einer Durcharbeitung verstanden werden.

An die Massenverbrechen des Nationalsozialismus und dessen
Opfer wurde in Karnten bis in die 1980er Jahre nur mit laschen
lokalpolitischen Pflichtritualen gedacht. Eine Auseinandersetzung
mit dem Grauen dieser bestimmenden Vergangenheit und den
"Iraumata, die sie hinterlassen hat, wurde und wird bis heute von
der Landespolitik blockiert. Es ist einer Gruppe von engagierten
Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken, dass sich dies seit den
1990er Jahren zu ändern beginnt. Der Verein „Erinnern - Villach“
ist die Pionierorganisation, die seit 1994 die Opfer der nationalso¬
zialistischen Verfolgung in Villach erforscht und für ihr Andenken
sorgt. Er hat ein „Denkmal der Namen“ im Zentrum Villachs
errichtet, das momentan die 252 Namen der bereits gefunde¬
nen vom NS-Regime ermordeten Villacher umfasst. Dieses, man
sollte glauben selbstverständliche, Gedenken ist in Villach noch
keineswegs „alltagstauglich“. Das „Denkmal der Namen“ wurde
bereits dreimal — 2003, 2004 und 2009 - zerstört, und niemand
sage mir, dass dies nur das Werk jugendlicher Dummheit gewesen
sei. Beim Erfinden von Ausreden ist man gut in Kärnten, schwach
hingegen in der Analyse.

Auch Kärnten hatte seine Außenlager des KZ Mauthausen. Das
berüchtigste war jenes nördlich und südlich des Loibltunnels,
den die Häftlinge zu graben hatten. Der Lagerteil im heutigen
Slowenien ist schon vor langer Zeit zu einem Denkmal geworden,
während das Nordlager von der Natur beinahe völlig verschluckt
werden konnte. Man wollte von den unfassbaren Verbrechen
und vor allem von der eigenen Beteiligung nichts wissen. So
war z.B. ein Klagenfurter der brutale KZ-Arzt am Loibl."? Seit
1995 versucht das „Mauthausen-Komitee Kärnten/Koroska“
unter großer Mühsal das Loibl-Nordlager dem Vergessen zu
entreißen. Außerdem hat Peter Gstettner entdeckt, dass sich in
der ehemaligen SS-Kaserne, der heutigen Bundesheerkaserne
Lendorf am Rand von Klagenfurt, ein Außenlager von Maut¬
hausen befunden hat.

In den 1960er Jahren wurde am Friedhof Klagenfurt-Annabichl
pflichtschuldigst ein Mahnmal für die „Opfer für ein freies Öster¬
reich 1938-1945“ errichtet. Es ist symptomatisch: Das Mahnmal
mit der obigen Aufschrift ist abstrakt, es erinnert weder an Op¬
fergruppen und schon gar nicht an ermordete Menschen. Und es
ist ein leeres Grab, ein Kenotaph, während gleichzeitig die Gräber
der Hingerichteten, der in der Euthanasieaktion Ermordeten,
der als Asche aus den Konzentrationslagern Zuriickgekehrten in
Annabichl aufgelassen und damit dem Vergessen anheim gegeben
worden sind.'* Um diesen ermordeten Menschen, denen dann
auch noch ihre Gräber geraubt wurden, zumindest wieder ihre
Namen zurück zu geben, bildete sich 1999 ein Komitee, dass sich
zum Ziel setzte, am Areal des Denkmals für die österreichischen
Opfer ein „Mahnmal der 1000 Namen“ zu setzen. Nun wird an
diesem Ort ungenauer und äußerst abstrakter Erinnerung konkreter
Menschen gedacht. Wird ihr Handeln und ihre Ermordung auch
noch dargestellt werden? Aus dieser Initiative wurde „Memorial
Kärnten/Koroska“, ein Zusammenschluss der meisten Opferver¬
bände und Erinnerungsinitiativen, der eine „Plattform gegen das
Wiederaufleben von Faschismus, Rassismus und Antisemitismus“

bilden will.

44 ZWISCHENWELT

Last but not least möchte ich den „Verein Kuland — Oberes
Drautal“ vorstellen, weil man an ihm sicht, dass überall, in jedem
Winkel, gegraben werden kann. Und leider wird man überall
fündig. In diesem kurzen Teil des Drautals am Südrand des Kreu¬
zecks konnten 34 Opfer des NS-Regimes eruiert werden, konnten
Deserteure und Kuriere zu Alliierten und italienische Partisanen
entdeckt und konnten deren spannende Geschichten von Einsatz
und Mut den flachen hiesigen Überlieferungen entgegen gesetzt
werden. Noch vor einem Deserteursdenkmal in Wien, das endlich
dem schwierigen Schritt der Befreiung aus der Wehrmacht Res¬
pekt zollt und die Verdikte „Verräter“ und „Kameradenmörder“
Lügen straft, wird in Berg im Drautal ein Denkmal für Deserteure
enthüllt werden.

Vernünftige Gedächtnispolitik in Kärnten gibt es nur, wenn sie
von zivilgesellschaftlichen Geschichtswerkstatten gemacht wird.
Diese Initiativen, die nach dem Motto, grabe, wo du stehst, vor¬
gehen, miissen aufpassen, dass sie nicht zwischen Politik und
Wissenschaft zerrieben werden. Wie es um die Kapazitäten der
erwähnten, gegenwärtig vorbildlich arbeitenden Erinnerungsko¬
mitees bestellt ist, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass es schwierig
ist, erfolgreiche Geleise zu verlassen und sich zu verbreitern, bzw.
die Stafette zu übergeben. Auch das Bedürfnis ein Opus magnum
zu hinterlassen, dürfte dazu geführt haben, dass sich die genann¬
ten Initiativen und die slowenische Historiographie in Kärnten
zusammengetan haben, um das Buch der Kärntner Opfer zu
schreiben.'’ Das Zusammenführen der Forschungsergebnisse der
Erinnerungswerkstätten mit jenen der slowenischen Forscher war
sinnvoll, ist aber dann leider dennoch entgleist. Der Eindruck,
der trotz anderer Worte zu vermitteln gesucht wird, dass nun alle
Kärntner Opferbelange abgeklärt sind, ist einfach falsch, und der
Versuch gleich den ganzen Alpe-Adria-Raum mit abzudecken, ist
lächerlich. Schon der unübersichtliche Aufbau des Buches zeigt
mir, dass da etwas danebengegangen ist. Außerdem glaube ich, dass
sich mit diesem Projekt die Initiativen, die die verdienstvolle Basis
gelegt haben, selbst das Wasser abgraben. Wäre es nicht sinnvoller,
die Frage zu stellen, welche Aufgaben die einzelnen Initiativen be¬
wältigen können und welche Zusammenarbeit untereinander und
mit wissenschaftlichen Einrichtungen hilfreich und befruchtend
wäre? Wird mitder Benennung der verschiedenen Opfer nicht die
Frage des Kontextes immer wichtiger? Und: Hat das „Buch der
Namen“ nicht eine klassische staatliche Aufgabe übernommen?
Die Erinnerungsinitiativen sind nicht das Standesamt, zivilgesell¬
schaftliche Initiativen haben vom Staat einiges zu fordern, und sich
darüber hinaus den Kopf frei zu halten. Ich weiß schon, dass das in
Karantanien schwer ist, aber soll man sich deswegen ausgerechnet
durch Überforderung selbst blockieren? Eine überregionale Verstän¬
digungsplattform der Erinnerungsinitiativen wäre wohl auch gut.

Daten sammeln ist wichtig, aber dieses historische Geschäft
kann auch kontraproduktiv werden, wenn hinter den Daten die
handelnden Menschen in ihrem Umfeld verschwinden. Gegen diese
enthumanisierende Tendenz der Sozialwissenschaft kann die Kunst
helfen. Peter Handke und Maja Haderlap haben Bücher vorgelegt,
die einem helfen können, in die Tiefenschichten der Kärntner Ge¬
schichte des 20. Jahrhunderts einzutauchen. Handke versucht in
seinem Theaterstück „Immer noch Sturm“ die spannungsgeladene
Geschichte seiner Familie darzustellen. Er trifft am außerzeitlichen
Heimatort Jaunfeld seine verstorbenen Familienmitglieder und
beginnt mit ihnen eine Art literarische Familienaufstellung.

Seine Auseinandersetzung mit der Mutter, den Großeltern
und den Geschwistern seiner Mutter kreist um die Lebens- und