die Tochter Huberta und damit alle anderen anwesenden Familien¬
mitglieder Rohrs ausgesetzt gewesen sein! Auch die Rohr-Familien
erfuhren erhebliche Traumatisierungsprozesse. Sie betrachteten
und betrachten sich als Opfer der „Banditen“ und können die
Kampfkonstellation nicht hinterfragen. Ihre Traumata verstärkten
ihre Freund-Feind-Wahrnehmungen, wahrscheinlich muss man
sagen, dass traumatisierte Menschen ohne diese Angstabwehren
nicht auskommen können. Dies ist keine optimistische Aussage,
was die Bearbeitbarkeit von Traumata betrifft.
Im Frühjahr 1944 waren größere Gruppen von Partisanen im
Bärental im Einsatz. Rohr beklagt, dass die Abwehrmaßnahmen
des Ferlacher Gendarmeriepostens unprofessionell und unergiebig
waren. Die Abwehraktionen, an denen sich auch Rohr beteiligte,
schlugen die Partisanen lediglich in die Flucht, was Rohr kritisiert.
Rohr bezichtigte die Gendarmen und die an der Partisanenbekämp¬
fung beteiligten Wehrmachtsverbände der Feigheit, auch weil sie
fixe Außenposten im Bärental aufgegeben hatten. Die Situation
begann sich zu wenden und der scharfe Jakob Rohr geriet immer
stärker in Lebensgefahr. Am 16.4.1944 wurden die Häuser im
Bärental angegriffen, aber Jakob Rohr hatte eine erfolgreiche Ver¬
teidigung organisiert. Aber nun war das Feuer aufihn gerichtet und
ein Überläufer von den Partisanen soll ihn gewarnt haben, dass die
Partisanen auf ihn zielten. Ende April 1944 wurde das Forsthaus
im Bärental geräumt und auf die Hollenburg übersiedelt. Im April
1945 evakuierte Rohr wichtige Materialien des Gutes Maresch
nach Stockenboi in Oberkärnten, im Mai brachte er noch einmal
einen Transport nach Landskron, als die jugoslawischen Partisanen
schon an der Hollenburger Brücke standen. Jakob Rohr kehrte im
Sommer 1945 wieder ins Bärental zurück.”
Wer war dieser Jakob Rohr? Er ist nicht der NSDAP beigetreten,
obwohl sein Job durch illegale Nazis gefährdet war, aber er war
ein Kärntner Deutschnationaler, der von Nazis geachtet wurde.
Er war im Ersten Weltkrieg an der Ostfront mit allen möglichen
Ressentiments gegen andere Nationen geimpft worden: gegen die
umstürzlerischen Ungarn, gegen die überlaufenden und feigen
Tschechen, die verräterischen Italiener und insbesondere die Juden.
In Galizien lernte er auch, an Pogromen teilzunehmen:
Als wir durch die Stadt [Grodek] marschierten, gabs einen grauen¬
haften Anblick, an den Alleebäumen hingen die Leichen von mindestens
zwanzig Juden, des auserwählten Volkes, ihre Verräterseelen waren zu
Jehova eniflohen. Auch wir mussten ein paar Tage vorher drei solcher
Kerle strangulieren, die unsere Marschroute durch eine auf einem
höheren Hügel stehende Windmühle verrieten. Wir konnten nicht
verstehen, dass bei vollkommener Windstille die riesigen Flügel sich
drehen können, bis wir von weither Artilleriefeuer bekamen.”
Die österreichische Armee richtete schnell. Ob die russische
Armee oder die österreichische eher Pogrome im Kampfgeschehen
vollführten, und ob es Sinn machte, dass Juden ausgerechnet der
russischen Armee halfen, kann ich nicht beantworten. Aber dass
sich in den Militärgerichtsverfahren der Antisemitismus austobte,
darf als sicher gelten. Trotz des „grauenhaften Anblicks“ empfand
Rohr Freude, dass „Verräterseelen zu Jehova entflohen“ waren.
1915 wurde der schneidige Rohr schwer verwundet und nach
langen Spitalsaufenthalten aus der Armee entlassen. Dem Invaliden
wurde ein Ausbildungskurs zum Förster und Jäger angeboten, und
von diesem Kurs in Leoben wurde er auf das Gut Hollenburg ver¬
mittelt. Er wurde zuerst einer Jagd in Zell Pfarre zugewiesen und
bewährte sich dort im Bekämpfen von Wilderern und Holzdieben.
Die Not am Ende des Ersten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit
musste von der slowenischen Bevölkerung durch illegale Beschaf¬
fung von Holz und Fleisch gelindert werden. Dagegen trat der
Hüter des Eigentums, der „Herrschaftsjäger- und förster“ Rohr,
mit Erfolg auf. Vorsichtig formuliert, wird das dem „deutschen
Hund“, wie Rohr von der slawischen Einheimischen genannt
wurde”, wenig Sympathie eingebracht haben.
In den Grenzkonflikten 1919 war Rohr nicht offiziell involviert,
er verfolgte den „Abwehrkampf“ aber mit großer Sympathie und
lieferte sich mit slowenischen Freiwilligen und Kräften der jugosla¬
wischen Armee als erfahrener Soldat begeistert einige Scharmützel.
Das Zeller Gebiet war von den Grenzkämpfen kaum betroffen,
aber in der Zeit der jugoslawischen Besatzung musste er aus der
Minderheitenposition heraus agieren, was er mit Freude und der
Überzeugung tat, dass Südkärnten nicht dem jugoslawischen
Staat zufallen werde. Dementsprechend beteiligte er sich mit
Begeisterung an der deutschkärntner Volksabstimmungspropa¬
ganda, trug alte Menschen in Abstimmungslokale und wertete
alle slowenischen oder jugoslawischen Versuche, ihren Einfluss
in Südkärnten zu festigen, als gewalttätige Übergriffe, schlicht als
Gewalt an den Kärntnern.
Eine antisemitische Interpretation der Weltwirtschaftskrise darf
auch wegen aktueller Konsequenzen nicht vergessen werden. Als
Rohr stolz darauf hinweist, dass die Herrschaft Maresch gut durch
die Krise kam, erwähnt er ein Beispiel in der Nachbarherrschaft:
Unsere Nachbarschaft, Baron Helldorf, kam bei dieser Misere unter
die Räder und ein italienischer Jude, Roifa, plünderte die schönen
Waldbestände. Es war für einen Forstmann traurig zu sehen, wie
da Schindluder getrieben wurde. Bei einem Jahresetat von 6.000fm
wurden 12.000, ja 15.000fm geschlägert. Dazu noch ohne einen Plan,
man ging nur den schönsten und am günstigsten gelegenen Beständen
nach. Unsere staatlichen Forstbehörden waren gegen oben genannten
Herrn scheinbar machtlos. Ein schnelles Ende machte diesem Treiben
die Reichsregierung anno 1938.”
Rohr schrieb also: Mit den gierigen Juden, die kulturzerstöre¬
risch sind — Kultur wird auch ein Waldhang genannt —, haben erst
die Nazis durch die Arisierungen und weitere Massenverbrechen
Schluss gemacht. Etwas verklausuliert aber nicht unklar bekennt
sich der Antisemit zu Raub und Vertreibungen.
Alexander und Mathilde Roifer, die italienische Staatsbürger
waren, wurden schnell beraubt. 1941 kaufte der Unternehmer
Josef Webhofer, ein Südtiroler NS-Aktivist, mit komplizierten
Rechtskonstruktionen günstig das „Roifergut“. Dieser Mann
war ein weitschichtiger Onkel Jörg Haiders. Sein Sohn Wilhelm
Webhofer hat das „Roifergut“ in den 1980er Jahren dann Jörg
Haider geschenkt.”® Es ist unglaublich, welche Kontinuitäten
widerrechtlicher Aneignungen in Familien von Nazis bestehen
können. Der Vater Jörg Haiders war ein Nazi und der arisierende
Südtiroler Onkel auch. Ich nehme an, dass Josef Webhofer als
Südtiroler und somit italienischer Staatsbürger von der Rückgabe
des arisierten Vermögens nach 1945 verschont blieb, aber auch
Österreicher haben sich Tricks und Schiebereien einfallen lassen.
Dass der Spieler mit rechtsextremer Politik von einem arisierten
Gut luxuriös lebte und nun im Bärental begraben liegt, von diesem
nicht nur erinnerungspolitischen Zusammenhang ist kaum die
Rede. Warum nur, und riecht der Begriff „Schenkung“ nicht auch
komisch nach Steuerhinterziehung?
Dass Jörg Haider und die meist jungen Herren an seiner Seite
ihre Geschäfte problemlos abwickeln und verschweigen konn¬
ten, hängt leider auch mit älteren Kontinuitäten zusammen. Die