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Hauptmann war international und im Schutz
der Weltpresse so stark etabliert, daß etwa Baldur
von Schirach es riskieren konnte, ihn zu feiern,
obwohl Goebbels schäumte. Hauptmann selbst
sorgte sich denn auch keineswegs um sich selbst,
umso mehr aber um seine Freunde, und dieser
große Freundeskreis ist heute, da das Werk des
Dichters genugsam durchforscht zu sein scheint,
Gegenstand breit gefächerter, verdienstlicher
Einzeluntersuchungen. 2002 und 2006 erschie¬
nen in polnisch-deutscher Zusammenarbeit
Sammelbände, die sich zunächst natürlich der
großen Namen und ihrer Schicksale annahmen:
Paul Schlenther, Otto Brahms, Max Reinhardt
von den Berliner Bühnen, seines Verlegers Samu¬
el Fischer, Walter Rathenaus und vieler anderer.
Der 2011 erschienene dritte Band ist dennoch
mehr als eine Nachlese und besonders wertvoll,
weil nun weniger bekannte Namen auftauchen
und schwer zugängliche Materialien erstmals
ausgewertet werden. Unter dem Titel „Habt
herzlichen Dank für eure Freundschaft“ vereini¬
gen Klaus Hildebrandt und Krystof Kuczynski
siebzehn Studien aus der Feder von ausgewiese¬
nen Hauptmann-Kennern wie Sigfrid Höfert
oder Heinz-Dieter Tschörtner mit Arbeiten
des germanistischen Nachwuchses, wobei man
biographische Notizen über die Beiträger sehr
vermißt; sie wären leicht zu beschaffen gewesen,
solange die Herausgeber noch mit der Redaktion
beschäftigt waren.

Obwohl sieben Achtel des Hauptmannschen
Lebens verstrichen waren, als Hitler, Goebbels
und Rosenberg sein Deutschland eroberten, grif¬
fen Gewalt und Intoleranz noch tiefin Haupt¬
manns Umfeld ein. Der Wiener Bühnenbildner
Leonard Fanto (1874 — 1940) gehört zu den
kaum bekannten, dem Dichter aber besonders
vertrauten Ideengebern und Gesprächspartnern.
Manfred Altner aus Radebeul leistet Pionier¬
arbeit mit seinem Essay über Fanto und des¬
sen Briefwechsel mit Gerhart und Margarete
Hauptmann, während Hauptmanns legendäre
Chronisten Behl und Voigt Fanto ignorieren
und natürlich auch dessen tragisches Ende —
ein nicht völlig geklärter Selbstmord in Wien
und die folgende Beisetzung des Ehepaars Fan¬
to in Dresden. Neben dem Bühnenbild hatte
Fanto sich auch den Kostümen gewidmet, oft

frei phantasierend, wie bei der Dresdner Insze¬
nierung von „Die Tochter der Kathedrale“ im
Jänner 1940, vermutlich Fantos letzter Arbeit.

Eine Beiträgerin, von der man gerne mehr
wüßte, ist Grazyna Barbara Szewczyk aus Kat¬
towitz. Sie weist uns nach, daß die vielgewandte
Lou Andreas Salom& keineswegs nur die Freun¬
din Rilkes, Nietzsches und Sigmund Freuds
war, sondern eine emphatische Beziehung zu
den Brüdern Hauptmann aufgebaut und im
gärenden Berlin des Naturalismus erlebt hatte.
Der gut geschriebene Aufsatz leidet darunter,
daß sämtliche Akzente falsch gesetzt sind; da
hätten wohl die Herausgeber eingreifen müssen;
das Verdienst der Arbeit, die Lou als Modell
mancher Hauptmann-Gestalten nachweist, wird
dadurch nicht gemindert.

Es ist heute offenkundig, daß insbesondere die
intellektuelle Mittelschicht Totalität und Bru¬
talität der hitlerschen Machtergreifung unter¬
schätzte. Hauptmann hatte eine hochbegabte
Sekretärin, die Jüdin Elisabeth Jungmann, an
der er sehr hing, obwohl sie zu Frau Margarete
ein distanziertes Verhältnis hatte. Hauptmann
bot Frau Jungmann an, ihre Stellung bei ihm zu
behalten und glaubte, sie schützen zu können,
ließ sie monatelang in Rapallo im Familienver¬
band wohnen und sah sie mit Bedauern schei¬
den, als sie die Lebensgefährtin von Rudolf G.
Binding wurde (der in diesen Jahren mit feinen,
vornehmen Novellen zum Lieblingsdichter der
Deutschen geworden war). Nach Bindings Tod
schutzlos, ging Frau Jungmann nach England
und starb 1958 als Lady Beerbohm.

Die gelehrten Freunde Hauptmanns an der
Breslauer Universität sahen die Lage klarer
und vereinten sich in dem Bemühen, aus dem
Dichter der „Weber“ den poeta laureatus seiner
schlesischen Heimat und damit unangreifbar
zu machen. Diesen Beziehungen zur lokalen
Germanistik ist der umfangreichste Beitrag des
Bandes gewidmet. Er stammt von dem breslau¬
er polnischen Germanisten Woijcech Kunicki
und ist streckenweise grausig unkorrigiert. Im¬
merhin werden die fruchtbaren Beziehungen
des Ehepaars Hauptmann zu dem Ordinarius
Paul Merker klar, die Besuche Merkers auf dem
Wiesenstein und, gleichsam als Ergänzung, die

Es ist auch der historisch interessierten Öffent¬
lichkeit noch viel zu wenig bekannt, dass Tau¬
sende Flüchtlinge aus Österreich und Deutsch¬
land während des Zweiten Weltkrieges in den
alliierten Armeen und Geheimdiensten gegen
die Achsenmächte gekämpft haben. Nehmen
wir das Bundesheer: Obwohl es nach langem
Zaudern begonnen hat, sich positiv auf den mi¬
litärischen Widerstand in der Wehrmacht zu
beziehen, bleibt der Beitrag von Flüchtlingen
in den alliierten Armeen zur Befreiung bislang
unbeachtet und es fehlt ihre Einbeziehung in

eine republikanisch-demokratische ,, Traditions¬
pflege“ sinnvoller militärischer Leistungen. Eine
Grundlage für eine solche Auseinandersetzung
bietet die vorliegende Studie von Elisabeth
Lebensaft und Christoph Mentschl über eine
Gruppe von deutschsprachigen Flüchtlingen,
die als Offiziere in der britischen Special Opera¬
tions Executive (SOE) dienten. Die Aufgabe der
1940 von Churchill gegründeten SOE war es,
weltweit die Kriegsführung der Achse hinter den
Frontlinien zu sabotieren und autochthone Wi¬
derstandsgruppen aufzubauen bzw. auszurüsten.

Arbeiten des Germanisten Werner Milch (1903
— 1950), dem Anna Stroika, Breslau, einen ei¬
genen Aufsatz gewidmet hat. Merker, der starke
volkskundliche Interessen hatte, kam mit den
neuen Herren gut, mitunter gar zu gut zurecht,
setzte sich aber wiederholt für verhaftete Schüler
ein. Werner Milch, Protestant, hatte jüdische
Vorfahren und wurde zur Habilitation nicht
zugelassen; er zählte mit Gerhart Pohl zu den
jüngsten im Verehrerkreis um Hauptmann,
taucht aber auch in Jochen Kleppers Tagebü¬
chern auf und emigrierte erst im Mai 1939.
Seine tiefe Verehrung für Hauptmann blieb ihm
auch in der Fremde erhalten, in den Vorträgen,
die er auf englischem Boden in nicht weniger
als achtzig Gefangenenlagern hielt, ehe er den
Lehrstuhl für deutsche Literatur am Londoner
Kings Collage erhielt.

Während Paul Merker in der Bombennacht
von Dresden beim Versuch, Luftschutzkeller
zu belüften, giftige Gase einatmete und starb,
gelang Milch noch die Rückkehr nach 1945.
Hauptmann erhielt wenige Tage vor seinem
Tod einen Brief, mit dem Werner Milch sich
in Deutschland zurückmeldete, in der Hoff¬
nung, den Lehrstuhl des früh verstorbenen Max
Kommerell zu erhalten.

Es wurde ein harter Kampf gegen die verblie¬
benen NS-Seilschaften; erst nach zwei Jahren
erhielt der Emigrant Werner Milch einen Mar¬
burger Lehrstuhl und starb, früh verbraucht,
urplötzlich 1950 in Baden-Baden.

Der äußerlich ansprechende Band zeigt die
Schwierigkeiten zwischenstaatlicher und
zweisprachiger Zusammenarbeit; daß seiten¬
weise offenbar keine Korrektur gelesen wurde,
ist schwer zu begreifen, denn die Texte wären
größter Aufmerksamkeit wert. Mit einem
Gurtteil der Beiträge wird absolutes Neuland
der Hauptmann-Forschung betreten und die
objektive Kenntnis der Umwelt des Dichters
entscheidend erweitert.

Hermann Schreiber

Klaus Hildebrandt, Krzysztof A. Kuzynski: Habt
herzlichen Dank für Eure Freundschaft. Menschen
um Gerhart Hauptmann. Wloclawek 2011, 342 S.

Lebensaft und Mentschl, die als Historiker
an der Osterreichischen Akademie der Wis¬
senschaften mit dem Osterreichischen Biogra¬
phischen Lexikon befasst sind, folgen in ihrer
Studie „Are you prepared to do a dangerous job“
den Lebensläufen von acht SOE-Agenten, die
im April 1945 in drei Einsatzgruppen in der
Obersteiermark per Fallschirm gelandet sind,
um für die Wehrmacht wichtige Verkehrsver¬
bindungen lahm zu legen, den Flugplatz von
Zeltweg für die britische Armee zu sichern und
lokale NS-Gegner in den letzten Kriegstagen zu

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