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Ich schließe die Augen und sehe Lefeu auf seinem Wühllager kauern.
Nichts tun. Die Dinge an sich herankommen lassen. So lebte er hin,
wie Büchners Lenz. Dann setzte er zum Nachiflug an und starb.

Ich kann mir selber noch davon erzählen: es wird sich ganz anders
anhören als der fremde Text draufen — in der Welt.

Hier endet Zefeu. Die Erinnerung an Lenz, womöglich ein Mög¬
lichkeitsspalt, die „Frage des beschädigten Subjekts“* selbst nach
Auschwitz erzählend zu explizieren. Büchner, nicht irgendeiner
in der Reihe der Künstler, sondern der erste im Grundbuch des
„zerrütteten Kunstwerks“. „Vol de Nuit“, seinerzeit mit dem Prix
Femina ausgezeichnet, gerade dieses Werk von Saint-Exupéry,
Inbild existentialistisch-meditativer Prosa, dürfte für Amery die
Möglichkeit des Erzählens geborgen haben. Gleichwohl, einem
beruhigenden Es-war-einmal, das durchs ästhetische Stilisations¬
prinzip das Grauen noch mit Sinn belegt und in den Identitäts¬
zwang integriert, gilt es Am£ry, entschieden sich zu verwehren.
„Kein Platz für Celan“, lässt er Lefeu sagen. Um „des Wirklichen
tödlicher Ehre willen“ sind die Wörter zu unterdrücken, denn sie
langen nie an die erlebte Wirklichkeit heran. Es bleibt das Geläch¬
ter ob der Impotenz von Wort und Pinsel vor der Wirklichkeit, ins
Lachen aber drängt sich ein Wehlaut (122£.). Worte sind durch
„den dokumentarischen oder dichterischen Verbrauch (‚ein Grab
in den Lüften‘) vollkommen ausgelaugt“ und so „wird der wort¬
ohnmächtige Betroffene eine Tendenz haben, auf die Aussage zu
verzichten und die sich einstellenden Wortgemächte von sich zu
schieben: mit Ekel.“ (122) Über das Unsägliche und vernünftig
nicht Fassbare zu sprechen oder schreiben scheitert am der Spra¬
che immanenten Anspruch auf Sinnhaftigkeit des Gesagten. Am
„Sinn des Satzes haften bleiben, im Vertrauen, dass es ihn gibt“
(8), hält Lefeu als Forderung der Dichterin Irene entgegen, die
den Sinn der Worte hintergeht und durch assoziative Wortketten
Sinnzusammenhänge eröffnet, die sich ihrerseits erst im Laufe des
Roman-Essays erschließen können. Durch die wiederholende
Sinnentleerung der Worte in einer sinnlos gewordenen Welt stehen
die Dinge ganz verwaist, disparat, ohnmächtig, ihrem Zusam¬
menhang entrissen da. Entauratisiert sind die Dinge, und Lefeus
Bemühen, die Dinge herankommen zu lassen (7), ist wohl zum
Scheitern verurteilt. Denn dieses aufmerksame Herankommen¬
Lassen, die „Aura einer Erscheinung erfahren, heißt, sie mit dem
Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen“”, wie Benjamin
im Baudelaire schreibt. Im sprachlich-künstlerischen Ausdruck
setzt sich der Begriff gleichsam um „in das, was die Sache von
sich aus sein möchte“'®, und der kritischen Theorie steht es an,
dieses Sein-Möchten zu konfrontieren damit, was die Sache ist.
Nicht willkürlich also schlagen die Dinge den Blick auf, sondern
vermittelt durch den strengen, aber doch offenen und beweg¬
lichen Begriff, der sie nicht als kaltes Faktum nimmt, sondern
eingebettet in ihr geschichtliches Geworden-Sein erkennt. Der
durchweg im Medium von literatur- und kunstkritischen An¬
spielungen manifeste Reflexionsvorgang ist nicht immer gleich
ersichtlich, weshalb es den Anschein haben kann, als stießen die
Dinge, die Erinnerungen, einem schockhaft zu, wie Lefeu die
Erinnerung an Auschwitz beim Anblick des durch die Gaswerke
von Lacq rot erleuchteten Nachthimmels. Das Terrain, auf dem
die Erinnerung statthaben kann, errichtet sich auf der Grundlage
eines bestimmten Vergessens.!! Die Assoziation, durch welche
das Wort im Subjekt und durch es hindurch seinen Sinn findet,
ist eine solche, begrifflich geleitete Reflexion. Sie verläuft sich
nicht in Imagination, sondern besteht ganz wesentlich in einem

Warten, einem Zuwarten. Ame£rys Lefeu zeichnet den Prozess
dieses Wartens, des Assoziierens nach, die Reflexion dreht sich
darum, „streng am Sinn des Satzes haften zu bleiben, im Vertrauen,
daß es ihn gibt“ (8). Was geschieht, wenn der sinnvolle Satz das
Sinnlose ausdrücken möchte, davon spricht zentral der Lefen,
indem er verdeutlicht, wie das Sinnlose den Sinn selbst affiziert,
ja im Satz, gerade ob seiner Sinnhaftigkeit, die Sinnlosigkeit ihren
Ausdrucksort haben kann.

Im Lefeu ist die Sinnfrage an Irenes Pappelalleen-Gedicht fest¬
gemacht, das für Lefeu ein Pappelalleegeplapper ist: „Pappelallee,
Pappelallee, Pappallee, alle Pappeln, Pappelnalle, Alleepappeln,
plen, plan, plap, pap, klapp, Papperlapapp, Geklapper / Geklapper?
Paperlapap — lee-lee. / Pappelalle, Pappelallee. Plapee, Papeete:
Gaugin.“ (74) Nach Auschwitz kann nicht mehr geschrieben
oder gemalt werden wie vordem und an die Tradition der Land¬
schaftsmalerei ist nach der Blut-und-Boden-Ideologie nicht mehr
bruchlos anzuknüpfen. Über Pappelalleen zu schreiben oder sie
zu malen war möglich, als die Düsseldorfer Galerie Ars Nova,
die sinnvolle Werke von Lefeu einfordert, noch Meyersohn und
Sohn hieß. Da sie aber heute Ars Nova heißt, müssen die gemal¬
ten (gedichteten oder vertonten) Pappeln von anderer Qualität
sein. Entsprechend der Forderung eines Wolfdietrich Schnurre'?
schwingt in Amérys Pappeln Auschwitz nach — sie kehren in seinem
Werk stetig wieder. So etwa in dem zunächst 1965 im Merkur
erschienenen Essay Die Tortur.'” Die Landschaft ist eine andere
für den, der durch sie zur Folter geführt wird, sie öffnet sich von
einer bis dahin nicht erfahrenen Perspektive. Amery selbst wurde
als Gefangener an „windgebeugten Pappeln“ vorbei in die SS¬
Festung Breendonk gefahren.'* Die Pappeln werden eingeschattet
von der dort erlittenen Tortur, sie werden ungeheuer deutlich und
kommen sprachlos nah. Sie sind reduziert weil überdeterminiert
vom Grauen, das mit ihnen nicht so sehr assoziiert als vielmehr
unmittelbar verbunden wird. Was Pappeln noch sein können,
erschließt sich nicht mehr. Die tätige Kommunikation zwischen
Subjekt und Objekt ist gekappt, die Dinge schlagen den Blick
nicht mehr auf, sondern verharren gebannt in der traumatischen
Erfahrung. Eine für künstlerisches Schaffen notwendige mime¬
tische Hinwendung zu den Dingen und ihre Wahrnehmung als
lebendige sind dadurch verstellt - die Welt und die Dinge, die sie
konstituieren, erstarren und werden fremd: „Wer der Folter erlag,
kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.“'5 Die Pappeln
haben ihre Unschuld verloren. Entschieden wehrt Lefeu Irenes
Gedicht über die Pappelallee ab, in welchem sie zum Geplapper
werden. Solche Dichtung sei Weltverleugnung, von welcher Lefeu
seine Haltung der Weltabwendung streng abgrenzt. Eine Rückkehr
in die Welt ist nicht zu erwägen, „ich kann aber nicht sagen, daß
die Welt, der ich den Hintern zudrehe, nicht existiere“ (71). Die
Sprache könne nur feststellen, was der Fall ist, und die Welt, von
der Lefeu sich abwendet, ist „alles, was der Fall ist, und nur, was der
Fall ist: nicht weniger und nicht mehr. Die Sprache gibt wieder,
was in der Welt, die alles, was der Fall ist, der Fall ist: nicht weni¬
ger und nicht mehr.“ (72) Sprache wird somit zur Tautologie der
Gesellschaft, und darf nicht mehr bedeuten, als ohnehin der Fall
ist. Lyrik, Poesie, Kunst werden damit in jene engen Schranken
gewiesen, innerhalb welcher sie ihre raison d’&tre einbüßen: die
Beschränkung auf das Tatsächliche, den blanken positivistischen
Befund, schneidet die wie immer auch ephemere Erfahrung des
Nicht-Identischen ab, dessen, was in der Welt noch mehr und
anders ist als das, was der Fall ist. Erst der Satz „die Sprache gibt
wieder, was in der Welt, die alles, was der Fall ist, der Fall ist:

November 2012 35