Siglinde Bolbecher
Zwei Gedichte
Es gibt die Bitterkeit der Nähe
gewürzt, verschrt
durch Entfernung
Komm Nadelstich —
von dem, was ich weiß —
nein erfuhr
nein eroberte
Ich suche deine Zärtlichkeit
in mir wie den Atemzug
der befreit und seltsam Mut macht
und nippe schmecke sie an den Lippen
wie im Überfluß vorhanden
Manchmal zwischen zwei Träumen suche ich sie erschreckt
als hätte ich sie schon einmal verloren
Fast jede Nacht
vielleicht sogar öfter, wenn ich einschlafe
hältst du mein Gesicht, streichst über die Wangen
umarmst mich in deiner bestimmten Art
birgst mich in deines warmen Schlafes Höhle
Ich bin schr dankbar bei der Buchpräsentation der Lyrik von
Trude Krakauer dabei sein zu dürfen. Als erstes möchte ich einen
Text vorlesen, den meine Mutter Anita Weiss de Belalcäzar, zu
diesem Anlass geschrieben hat.
Wie Trude Krakauer im Interview mit Siglinde Bolbecher gesagt
hat: „Meine Biografie ist in meinen Gedichten.“ Darin sind die
dramatischsten Momente festgehalten, die ihr Leben gezeichnet
haben — der Selbstmord Ihres Bruders Stefan Keller, das Exil, das
Heimweh, der Tod ihrer Eltern Dr. Heinrich und Nelly Keller im
KZ und das schlechte Gewissen, sie nicht rechtzeitig aus Österreich
gebracht haben zu können, das Nicht-vergessen-Können und, nach
dem Tod Ihres geliebten Mannes Emil Krakauer, die Einsamkeit. Aber
nicht alles war Melancholie in dem Leben von Trude Krakauer. Wir
erinnern uns an sie als eine sehr ruhige, sehr freundliche Person, mit
einer großen intellektuellen Berufung, die lieber ihre Zeit mit Lesen
zugebracht hat als in großer Gesellschaft. Sie hatte wenige Freunde,
aber ihre Beziehung zu den Menschen, die ihr nahe waren, war tief
und innig. Die politische Bildung in ihrer Jugend führte zu ihrer
kritischen Haltung gegenüber sozialen Ungerechtigkeiten und Un¬
gleichheit. Sie kritisierte auch die Äußerungen der Indifferenz und
Bürgerlichkeit mancher ihrer Landsleute und der wohlhabenden
Menschen in Kolumbien.
Sie hat nie das Geld aus dem Entschädigungsfonds des Österrei¬
chischen Staats angenommen und nannte es Blutgeld. Sie sagte, dass
sie nie wieder nach Österreich zurückkommen wolle, nicht einmal
zu Besuch. Aber 1981 kam sie dann doch, mit Kurt Weiss (meinem
Großvater), um uns, „ihre Familie‘, bei unserem einjährigen Aufent¬
halt in Österreich zu besuchen. Trotz allem hat sie die Reise genossen
und das Wiedersehen mit ihrer guten Freundin Elfi Lichtenberg. Mit
ihr hat sie einen ständigen Briefwechsel unterhalten, bei dem sich
beide auch ihre Gedichte mitgeteilt haben.
Der Holocaust und ihre persönlichen Probleme waren fast nie ein
Gesprächsthema. Vielleicht ist das so zu erklären, wie eine andere
Exilösterreicherin uns vor kurzem sagte: „Jetzt kann ich meinen
Enkeln erzählen, worüber ich mit meinen Kindern nicht sprechen
konnte.“ Wir erinnern uns, wie Trude mit ihrer Feinfühligkeit und
ihrer stillen Art die Ausflüge aufs Land genossen hat, die Blumen, die
Landschaften. Sie hat es genossen mit uns zu sein an den Wochenenden
am Land und an Festtagen. Eine große Sensibilität und menschliche
Wärme, das ist unsere Erinnerung an Trude Krakauer. Es ist ein Glück
einen so besonderen Menschen gekannt und mit ihm so viel geteilt
zu haben. Ihre Gedichte sind das Zeugnis ihres Lebens, die wir nun
heute mit vielen anderen Menschen teilen können.
So weit meine Mutter. — Trude ware am heutigen Tag schr glücklich
gewesen, denn sie hat sehr oft vergeblich versucht, ihre Gedichte
zu veröffentlichen. Als ich letzten Sommer ihre Korrespondenz
durchgeschen habe, waren schr viele Absagen von Verlegern dabei;
viele mit der Begründung, Lyrik verkaufe sich nicht gut. Auch
ein Brief an Siglinde Bolbecher ist dabei, in dem sie sich bedankt,
aber zugleich mit der ihr typischen, großen Bescheidenheit eine
sehr kritische Auswahl ihrer Texte trifft.
Trude Krakauer verspürte eine große Liebe und Dankbarkeit
Kolumbien gegenüber. Das hatte sie mit vielen Exilösterreichern
gemeinsam — wie meinen Großeltern und der Familie Friedmann.
Es ist schön, dass ein Teil von Hermi Friedmanns Werk heute zu
diesem Anlass hier zu schen ist. Mein inniger Dank gilt Siglinde
Bolbecher dafür, daß sie Trude Krakauers Werk aus dem Dorn¬
röschenschlaf erweckt hat. Und zu danken ist Konstantin Kaiser
und Alexander Emanuely und der Theodor Kramer Gesellschaft
für die Verwirklichung dieses Buches. Damit geht ein Traum in
Erfüllung.