Konstantin Kaiser
Abschied von Erwin Chvojka
Erwin Chvojka, Ehrenmitglied der Theodor Kramer Gesellschaft,
istam 12. Jänner 2013 nach langem Leiden in Wien gestorben.
Wer immer diese Zeitschrift, die erstmals 1984 unter dem von
Theodor Kramers Gedichtband genommenem Namen „Mit der
Ziehharmonika“ erschien, durch die Jahre hindurch gelesen hat,
wird auf die vielen Beiträge Chvojkas zur Biographie und zum
Werk Kramers stoßen. So schrieb er über das „Bild der Arbeits¬
welt in der österreichischen Lyrik“, Richard Kramer, den älteren
Bruder Theodor Kramers, ,, Die Familien Kramer und Doctor“,
„Iheodor Kramer und die Wiener Urania“, „Die späte Rückkehr
Theodor Kramers im Spiegel seiner Aufzeichnungen“ und die in
Kramers Gedichten erwähnten Orte. Mit mir zusammen verfaßte
er die Lebenschronik Kramers, die 1997 im Verlag der Theodor
Kramer Gesellschaft erschien.
Aber noch andere Seiten Chvojkas entdeckt man in unserer
Zeitschrift: den Historiker, der über die Geschichte des Mexiko¬
platzes schrieb, den selbst von den Nationalsozialisten Verfolgten
und den mitfühlenden Lyriker, der 1984 den Gedichtband „Die
Welt will ich behalten“ veröffentlicht hatte.
Die Rose, die du einst gesetzt hast
in das Herz des Mädchens,
siehe, sie trieb aus
und wurde ein Strauch,
der zweiunddreifsig Blüten trägt.
Über jeder leuchtete das Lächeln eines Kindes.
Nie verlöschend strahlt es, wärmt und löst.
Und langsam lösen sich auch
die Dornen in deinem Herzen.
Chvojka kommentierte dieses sein Gedicht 1999 mit den Wor¬
ten: „25.12. 1988 — als Yaffa Zins in der von mir geleiteten
Schule vor Schülerinnen und Schülern auf hebräisch ihr Ge¬
dicht ‚Die weiße Rose‘ vortrug, das Fritz Brainin übersetzte,
ließ ich ihr von jedem Zuhörer, jeder Zuhörerin eine weiße
Rose überreichen.“
Geboren am 16. Februar 1924 in Wien, stellte sich 1938 heraus,
daß Erwin Chvojks als Sohn einer jüdischen Mutter, deren Ver¬
wandte bald in alle Welt zerstreut waren, kein Recht auf eine höhere
Ausbildung hatte und eine Lehrlingsstelle annehmen mußte, um
schließlich in ein Arbeitslager, in die Steinbrüche von Bessancourt,
verschickt zu werden, in ein Leben hinter Stacheldraht. Es ge¬
lang ihm, noch vor Kriegsende wieder nach Wien zu kommen,
wo er erst einmal die Matura nachholen mußte. Mit 22 Jahren
bestand er die Prüfung. Er studierte Germanistik, Anglistik und
Geschichte an der Universitat Wien, wurde Gymnasiallehrer und
war zuletzt 1975 bis 1989 Direktor des Bundesrealgymnasiums
in Wien-Ottakring. 1957 trat er brieflich mit Theodor Kramer
in Verbindung, dessen Gedichte ihn schon 1946 tief beeindruckt
hatten und über den er seine Dissertation schreiben wollte, was
letztlich an der Unlust des als Doktorvater in Frage kommenden
Universitätsprofessors scheiterte.
Erwin Chvojka
hat den schriftlichen
Nachlaß Kramers,
der ihn testamenta¬
risch als Nachlaßver¬
walter eingesetzt hatte,
nach dessen Tod am 4.
April 1958 übernom¬
men und dann auch
die Rechte am Werk
Kramers von Inge Kra¬
mer-Halberstam, die,
seit 1943 von ihrem
Mann getrennt, doch \
nicht geschieden, in
England lebte, erwor¬
ben. In jahrzehntelan¬
ger Arbeit hat er nicht
nur eine Dokumenta¬
tion der Veröffentli- Erwin Chvojka, 1986, vor seinen geliebten Büchern.
Foto: Harald Maria Höfinger
chungen Kramers in
den verschiedensten
Zeitschriften und Zeitungen aufgebaut, sondern auch jene Teile
des Nachlasses, die Kramer vor seiner Flucht nach England an
Menschen seines Vertrauens aufgeteilt hatte, wieder eingesammelt.
1983, 25 Jahre nach Kramers Tod, ergab sich für Chvojka die
einmalige Chance, die „Gesammelten Gedichte“ (über 2.000) in
drei gewichtigen Bänden herauszugeben. Sie erschienen 1984-87
in Wien im Europaverlag und sind jetzt im Paul Zsolnay Verlag
beheimatet. Wer diese Bände studiert, erfaßt, daß Chvojka eine
gewaltige Vorarbeit geleistet hatte, allein wenn man im Register
die Entstehungszeiten und Erstdrucke der Gedichte nachliest.
Und man versteht, wie quälend die lange Periode von über
25 Jahren gewesen sein muß, in der ein solches Unterfangen
schlichtweg als unmöglich erschien: Kramer galt doch, nicht
zuletzt auch in den Augen führender österreichischer Germa¬
nisten, als ein recht konventioneller Autor, der sich nicht allzu
sehr von dem unterschiede, was zeitgenössische dem Völkischen
zuneigende Autoren zu bieten hätten. Und zudem gehörte er ja
als Vertriebener der Fxilliteratur an, die von manchen Sachwaltern
der Moderne als ästhetisch rückständig und somit uninteressant
beschrieben wurde, ehe sie in Österreich noch zur Kenntnis ge¬
nommen ward. Man vergegenwärtige sich, daß Erwin Chvojka
sich als ein Verfolgter des NS-Regimes auch aufanderen Gebieten
mit derlei Ungeheuerlichkeiten konfrontiert sah.
So konnte Erwin Chvojka zwar 1960 den schmalen Kramer¬
Sammelband „Einer bezeugt es“ und 1972 den noch von Kramer
zusammengestellten Band „Lob der Verzweiflung“ herausgeben,
aber der große Durchbruch kam erst 1983 im Gefolge der Aus¬
stellung „Iheodor Kramer (1897 — 1958). Dichter im Exil“, zu
der Chvojka mit Rat und Tat beitrug.
Erwin Chvojka, der begeisterte Pädagoge, Volksbildner, Historiker,
wird als Retter des Werkes Theodor Kramers in die Literaturge¬
schichte eingehen.