Marcus G. Patka
Die Rückkehr der Farben
„Während des Kalten Krieges beruhten Akzeptanz und Erfolg
eines Künstlers auf der Ausgrenzung politischer Themen, dem
Vergessen der jüngsten Vergangenheit, dem Abschen von sozialen,
politischen und militärischen Konflikten bzw. auf dem Sehen der
Schönheiten des Heimatlandes. Kokoschkas unpolitisches Bild
Salzburg vom Kapuzinerberg aus gesehen gehel: Es entsprach dem
Geschmack der Bürger und Gegnern Picassos. Es zeigte ihnen
weder Doppelnasen noch Soldaten, die koreanische Frauen und
Kinder massakrierten, sondern die schützenswerte Heimat, die
zu bewahrende Kulisse einer Stadt, hinter der Wohnungsnot,
Flüchtlingselend, Prostitution und Armut verborgen werden
konnten. Es zeigte ihnen die Kulisse der Festspielstadt, welche
Devisenströme anzulocken hatte.“
Generell kam nur ein schr geringer Prozentsatz österreichischer
Exilanten in den Jahren nach 1945 in die alte Heimat zurück,
unter Künstlern und Intellektuellen dürften es nicht mehr als
fünf Prozent gewesen sein. Wer sich in einem anderen Land eta¬
bliert oder sogar eine neue Staatsbürgerschaft angenommen hatte,
wäre schlecht beraten gewesen, dies mit einer noch unsichere¬
ren Zukunft im zerbombten Wien unter alliierter Besatzung zu
vertauschen. Aber was hieß schon zurück kommen - für etliche
Heimkehrer war Wien auch nur eine weitere Transitstation in
einem zerrissenen Leben: Für die Juden waren Israel und Amerika
attraktiver, für viele Künstler war wohl Paris, die Cöte d’Azur oder
noch besser gleich New York und im Alter dann der Genfer See ein
Sehnsuchtsort. Innerlich heimatlos blieb man nach traumatischen
Erlebnissen wie Verfolgung und Flucht sowieso. Hinzu kam im
Wien der Nachkriegszeit das große Bedürfnis nach Vergessen. Auf
das NS-Regime wollte niemand angesprochen werden, und auf
den hausgemachten Faschismus im Ständestaat auch nicht. Die
durch beide Systeme geprägte Geisteshaltung konnte daher weder
diskutiert und schon gar nicht durchbrochen werden. Dies hatte
durchaus auch seine Funktion: Propagiert wurde der „Mythos
Ausstellung „Niemals vergessen!“ im Künstlerhaus, 1946. Zentraler Raum
„Lüge Verrat Gewalt“, Wienbibliothek im Rathaus - Nachlass Slama.
der Lagerstraße“, wonach die verfeindeten politischen Lager der
Zwischenkriegszeit im NS-Konzentrationslager quasi einen Pakt
zur künftigen Zusammenarbeit geschlossen hätten. Kulturpolitisch
ist der Osterreich-Mythos von 1945 bis 1955 durchaus mit jener
Zeit zwischen 1934 und 1938 vergleichbar — nur mit dem Un¬
terschied, dass jetzt auch die Sozialisten mit im Boot saßen. Der
Wiederaufbau der Heimat stand im Vordergrund, hinzu kam ein
durch den Kalten Krieg neuerlich vergiftetes intellektuelles Klima
mit gegenseitigen Schuldzuweisungen verfeindeter politischer
Lager. Erst mit Bundeskanzler Bruno Kreisky kam 1970 eine
geistige Öffnung, verbunden mit Interesse an einen Anschluss
an die internationale Kunstszene.
Dennoch hat es 1945 ein großes Aufatmen und einen entspre¬
chenden Aufbruch gegeben, nicht nur unter Künstlern und Intel¬
lektuellen. Neben dem Ende eines verbrecherischen Krieges und
eines Terrorregimes war auch die Zensur gefallen und trotz aller
Versorgungsschwierigkeiten regte sich der entfesselte Geist. Doch
bereits die Währungsreform Ende 1947 ließ Kulturzeitschriften
und kleine Galerien in den wirtschaftlichen Ruin schlittern. Als
gewichtiger innenpolitischer Faktor kam es im April 1948 zur
Pardonierung von fast einer halben Million „minderbelasteter
Nazis“, damit diese sich in den neuen Staat integrieren könnten.
Damit konnten alle zwischenzeitlich suspendierten chemaligen
NSDAP-Mitglieder wieder in ihre Positionen zurückkehren, und
das betraf natürlich auch Universitätsprofessoren und Kunster¬
zieher. Eine gesellschaftliche Diskussion über die Verstrickung
von Österreichern in NS-Verbrechen wurde damit komplett un¬
terbunden und erfolgte erst 1986 im Zuge der Debatte um die
Kriegsvergangenheit von Bundespräsident Kurt Waldheim. Auf
internationaler Ebene kam 1948 noch der Bruch Titos mit Stalin
hinzu, der als Beginn des Kalten Krieges gilt. Ab nun waren auch
die kulturpolitischen Fronten verhärtet, radikale Künstler und
intellektuelle Systemkritiker wurden zumeist mit der Antwort
abgekanzelt, sie mögen doch bitte nach Moskau auswandern
Ent;
deren an
I
dureh en seme
Ärzte. “
Ausstellung „Niemals vergessen!“, Bildtafel aus der Serie
„Faschismus führt zum Krieg“, Wienbibliothek im Rathaus