Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und
neu eingerichtete Institut für Zeitgeschichte haben hier schr viel
geleistet. Geht man heute in eine Fachbuchhandlung, so wird
man dort vielleicht bis zu zwei Regalmeter Bücher über das NS¬
Regime und seine Verbrechen finden. Manche davon haben einen
aufklärerisch-akademischen Hintergrund, andere sind aber auch
schon populär bis voyeuristisch-sensationsgeil geschrieben, man
muss jaan ein möglichst großes Käuferpublikum denken. Nach
einem Buch über das österreichische Exil sucht man vergeblich,
vermutlich wird es der Buchhändler erst von einem Kleinver¬
lag bestellen müssen. Allein daran erkennt man den Stellenwert
im öffentlichen Bewusstsein für dieses Ihema. Das Fxil wird
mehrheitlich nur als Nebeneffekt der NS-Zeit wahrgenommen.
Natürlich erinnert man sich an den Selbstmord Stefan Zweigs in
Brasilien, an das Scheitern Arnold Schönbergs auch in Hollywood,
am liebsten aber an Franz Werfels 1943 erschienenen Bernadette¬
Roman, ein katholisch verklärender Welt-Bestseller aus der Feder
eines begeisterten österreichischen Juden, was hätte uns Besseres
passieren können ... Nur pars pro toto und in kleinen Dosen
kann man dem Exil begegnen, als verschämt genannter Todesort
in einer Biografie mit Wikipedia-Format oder als nasale Abkan¬
zelung aus neokonservativem Munde, es würde sich hierbei nur
um eine obligate Debatte über museal-verstaubte politische und
ästhetische Inhalte handeln. Bis heute gab es keine große Ausstel¬
lung über das österreichische Exil — und trotz aller Bemühungen
gibt es bis heute auch keine lesbare Überblicksdarstellung. Das
DÖW hat etliche Bände zum politischen Exil vorgelegt, an jenem
zu Mexiko war ich selbst beteiligt. Das Jüdische Museum Wien
und die österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus haben
etliche Ausstellungen im künstlerischen Kontext komponiert
— alle miteinander verfügen über erhebliche Sammlungen und
Nachlässe. Immerhin: Das papierene Erbe wird in Fachkreisen
hoch geschätzt, und immer wieder entsteht die eine oder andere
Master- oder sogar Doktorarbeit. Die genannten Institutionen
verfügen auch über ein eigenes Haus, weshalb immer wieder zu
vielseitigen Veranstaltungen in die Wipplingerstraße, die Doro¬
theergasse oder die Seidengasse geladen werden kann.
Ganz anders gestrickt ist da die Theodor Kramer Gesellschaft
mit ihrem kleinen Büro in der Engerthstraße. Offensichtlich an
ihren Namensgeber angelehnt, hat sie eher einen vagabundie¬
renden — oder eben authentischen Exil-Charakter, ist daher aber
auch in ganz Österreich und dank ihrer regelmäßig erscheinenden
Zeitschrift Zwischenwelt, die als Bindemittel zwischen den Autor¬
Innen und den LeserInnen weltweit fungiert, auch international
präsent. Heute hat sie im Parlament ihre Zelte aufgeschlagen,
wofür den GastgeberInnen nicht zuletzt von meiner Seite schr
herzlich gedankt werden soll. Die Theodor Kramer Gesellschaft
wohnt vor allem in den Herzkammern ihrer zahlreichen freiwil¬
ligen UnterstützerInnen und BeiträgerInnen.
Exil ist kein Phänomen der Vergangenheit. Überall in der Welt
leben die Kinder und Kindeskinder der Exilanten, und auch sie
sind auf der Suche nach ihrer Identität zwischen ihrer Heimat
und ihren Wurzeln in Österreich. Viele von ihnen stehen dabei in
Korrespondenz mit der Theodor Kramer Gesellschaft, was diese
über den aufklärerischen und pädagogischen Aspekt hinaus zu
einer lebendigen und aktuellen Institution macht. Auch das Exil
anderer Menschen und Kulturen in Österreich hat sie dokumen¬
tiert. Es ändern sich zwar die Ideologien von Diktatoren, nicht
aber die brutalen Methoden ihrer Machtausübung. Österreich ist
heute in der glücklichen Lage, verfolgten Menschen ein Asylland
sein zu können. Auch das sollten wir beim Begriff „Exil“ niemals
vergessen.
Erlauben Sie mir zum Abschluss noch ein paar persönliche
Worte. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass ich als Uni-Absolvent
Orientierung für mein Berufsleben suchte, die fand ich basierend
auf andere Prägungen bei der Theodor Kramer Gesellschaft. Da war
einmal die Waldheim-Affäre, die erstmals eine breite öffentliche
Debatte über Österreichs Mitverantwortung an den Verbrechen
der NS-Zeit und damit eine wichtige psychohygienische Kom¬
ponente mit sich brachte. Das Exil interessierte mich, weil alle
damals von mir schr bewunderten Schriftsteller vom NS-Regime
vertrieben worden waren. Zu guter Letzt wurde ich Trauzeuge
eines österreich-israelischen Paares, weshalb ich 1988 erstmals
nach Israel reiste — und dies seither an die 20 Mal wiederholt habe,
um Archive und Bibliotheken zu frequentieren. Der „rasende
Reporter“ Egon Erwin Kisch (ein jüdischer Kommunist deutscher
Herkunft in Prag, der Kosmopolit in Reinkultur) wurde mein
Dissertationsthema — und in alle Länder seines Exils wie Frank¬
reich, Australien, Amerika und Mexiko bin ich ihm nachgereist,
um Archive und Bibliotheken zu besuchen.
Bei der Theodor Kramer Gesellschaft habe ich durch praktische
Mitarbeit nicht zuletzt auch das editorische Handwerk gelernt.
Es gelang mir sogar in einer mehrstündigen Redaktionssitzung
Konstantin Kaiser davon zu überzeugen, den Titel der Zeitschrift
dem Jahrbuch anzugleichen und beides Zwischenwelt zu nennen.
Er musste dann einige erboste Leserbriefe beantworten. Jeder
kreative Prozess braucht seine Gärung, und das Schönste am
Streiten ist dann hinterher die Versöhnung.
Ich habe sehr viel gelernt bei der Theodor Kramer Gesellschaft,
darunter auch Folgendes: Es gibt ein erzwungenes Exil als Folge
von Genozid und Vertreibung. Es gibt aber auch ein prinzipiel¬
les inneres Exil. Georg Kreisler hat diese Stimmung vortrefflich
in seinem Chanson Ich fühl mich nicht zu Hause eingefangen.
Exil ist auch eine Lebensform, nicht die behaglichste, aber eine
überaus spannende.
Wer bedingungslos glaubt, hat auf jede Frage eine Antwort und
damit eine geistige Heimat. Wer prinzipiell zweifelt, bleibt ein
Vagabund, aber wenn er dabei als Mensch in sich ruht, dann hat
er zwar keine Heimat, aber er ist überall zu Hause.
In diesem Sinne wünsche ich der Theodor Kramer Gesellschaft
in der Sprache meiner griechischen Heimat des Herzens Chronia
pola, in der Sprache meiner israelischen Heimat des Gedächt¬
nisses ad mea weeßrim und auf gut Wienerisch noch viele Jahre