eher, als dass sie die Anerkennung übernimmt. Die Zwischen¬
welt, begründet als Zeitschrift vor 30 Jahren, begann mit jenen
Bodenlosigkeiten, die vom NS-Regime angetan wurden. Dieses
Boden-unter-den-Füßen-Wegziehen, das uns wieder und wieder¬
kehrend in den Erzählungen der Opfer begegnet, ist der Anfang
der Antworten. „Nachricht vom Verlust der Welt“ heißt das Buch
einer Vertriebenen, die Zwischenwelt gibt regelmäßig diese Nach¬
richten, von einer Welt, die es nicht mehr gibt oder die es noch
nicht gibt oder die es nicht geben darf, nie wieder.
Die Zwischenwelt trauert nicht nach, sie erfasst, ist damit bestän¬
dig und treu ihren Themen, Zusammenhänge erkennend, die
jenseits wissenschaftlicher Kategorien liegen, erzählend von den
Mutigen, den Außenstehenden, denjenigen, die die ordentliche,
die vorgeordnete Welt oft übersicht, verachtet, belächelt. Die die
Welt trotzdem lieben, leben wollen, einen Platz haben wollen und
wenn auch nur einen in einer Zwischenwelt.
Marcus G. Patka
Vertriebene und Vagabunden
„Wo ist meine Heimat“ — mit diesem Satz beginnt die tschechi¬
sche Nationalhymne, geradezu paradigmatisch steht er aber auch
für eine kollektive Erfahrung von Vertreibung und Exil. An die
150.000 Menschen konnten sich ab 1938 vor der Verfolgung durch
das NS-Regime und seinen oft selbsternannten Helfershelfern in
ein Land retten, das ihnen Asyl gewährte. Der Großteil von ihnen
waren Juden, hinzu kamen insbesondere aus politischen Gründen
verfolgte Menschen wie Sozialdemokraten, Kommunisten und
andere Linke aller Schattierungen. Viele von diesen waren Kämpfer
für Demokratie und Menschenrechte - unangepasste Querdenker
im Zeitalter eines extrem übersteigerten Nationalismus. Nur die
wenigsten von ihnen kehrten nach 1945 nach Österreich zurück,
doch auch eine neu zu findende Heimat irgendwo in der Welt war
nicht immer eine bessere. Nach dem Krieg gab es nur noch Opfer:
Ganz oben in der Hierarchie standen die gefallenen Soldaten und
Foto: Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/Jacqueline Godany
Die Zwischenwelt geht nach und sicht vor, sie trägt zusammen
und bei, mit Sorgsamkeit das Überhörte aufnehmend, das Un¬
verträgliche erträglich machend, eine Ordnung anbietend, be¬
stehende Ordnungen sanft erschütternd, respektvoll in Frage
stellend, Unverdauliches als Kostprobe anbietend, ob es, wenn
nicht genüsslich, so genießbar wäre.
Weil dieses Auseinander-Dehnen und Einfügen und Verrücken
Lärm macht und stört, brauchen Forschungsgemeinschaften wie
jene, die Zwischenwelten erbauen, den festen Boden der Subven¬
tion, der öffentlichen und politischen Unterstützung. Denn die
beständige Wachrüttelei ist unangenehm, sie macht nicht glück¬
lich. Die Zwischenwelt-Erkenntnisse können selten unmittelbar
verwertet oder gar gebraucht werden, sie sind sperrig, sie führen
— wenn endlich als unumgehbar erkannt — zu unangenehmen
Entscheidungen. Zwischenwelten sind unruhig, in ihrer Bodenlo¬
sigkeit machen sie unsicher, sie einen nicht, sie zerreißen beinah,
sie freuen sich über die Gastgeberschaft eines festen Hauses wie
des Parlaments.
Kameraden, die Ausgebombten, die Flüchtlinge aus dem Osten.
Das Leid der Juden und anderer Opfer des NS-Regimes blieb noch
jahrzehntelang ein Tabu. Noch lebten die Täter und mancher
von ihnen hatte es rasch wieder in eine einflussreiche Position
gebracht. Die den Krieg im Exil überlebt habenden Österreicher
wurden vielfach als jene wahrgenommen, die es „an den Fleisch¬
töpfen Amerikas“ ohnehin besser gehabt hätten. Der gewaltige
Braindrain wurde konsequent verdrängt, wie gesagt, die guten
Positionen im neuen Staat waren schon vergeben und auch in
der Kunst drängte eine junge Generation nach, die Positionen
aus der Zwischenkriegszeit verwarf.
Im Zuge der Shoah wurden an die 65.000 österreichische Juden
ermordet, allen voran war es Simon Wiesenthal, der sich mit aller
Kraft gegen das Vergessen und Verdrängen stemmte und ebenso
Gerechtigkeit wie Rechtsprechung einforderte. In den 1970er¬
Jahren setzte auch die wissenschaftliche Aufarbeitung ein, das