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Als sie an einem Samstag ihr Mess-Gesteck zurückgeliefert bekommt mit der Mitteilung, ein anderes Gemeindemitglied habe sich gefunden, das ihre Aufgabe von nun an übernehme, schließt sie sich mit dem gesamten Rest der Apothekenbestellung in ihr Schlafzimmer und verlässt es bis zum folgenden Abend nicht mehr. Die Mutter sagt über Tage nichts mehr zum Kind. Dessen Hals und Augen sind nun schon unbeweglich geworden, sodass es eine Woche später den Mund aufmachen muss, um etwas zu sagen. Daraufhin beginnt die Mutter zu schreien und wirft mit den leeren Losumschlägen nach dem Kind, holt ihre Bestellungen aus dem Zimmer und wirft auch sie auf den Kinderschopf, der sich wieder auf die Höhe des Kassentresens senkt, die Arme darüber. Ina Ricarda Kolck-Thudt Woher damit? Niemand fragt mich nach Rumänien. Aber das Wort Rumänien fragt nach mir. Es spricht mich an, als wäre es mein zweiter Nachname. Dann weiß ich nicht was ich antworten soll, denn wir kennen einander kaum. Viel lieber will ich ihm zuhören, aber so entsteht kein Gespräch. Wenn Kinder ihre Eltern fragen: „Wie war das bei euch, früher?“, und selbst, wenn sie nicht fragen, werden sie mit deren Antworten stets in eine andere, ihnen zuvorgekommene Zeit verwiesen. Viele bleiben dabei im selben Land, machen vielleicht auch einen kurzen Ausflug in ein anderes Dorf, eine andere Stadt, einen anderen Landesteil. Manche, die ebenfalls viele sind, müssen ihre Vorstellungskraft beim Schopf packen und sie etwas weiter weg tragen. Ich reiste ab Mitte der 1990er Jahre in Gedanken durch Ostösterreich, dann durch Ungarn und kam im Rumänien der 60er, 70er und 80er Jahre an, als Diktator Nicolae Ceausescu das Land beherrschte und kontrollierte. Dort waren meine Eltern als Angehörige der deutschsprachigen Minderheit groß geworden. Da ich wiederum mit den häufigen Erzählungen von ihrer Kindheit und Jugend aufgewachsen war, betrachtete ich deren Inhalte bald als etwas mir, die ich immer gut zugehört hatte, Zugehdriges. Allerdings bin ich erst nach der Auswanderung meiner Eltern und meiner Schwester, damals noch ein Kleinkind, in Österreich geboren. Ich selbst hatte niemals erlebt, wie es ist, wenn man schon als Schulkind zum Ernteeinsatz auf Gemüsefelder geschickt wird, in Geschäften dennoch leeren Regalen gegenüber steht oder stundenlang in Schlangen, um Milch zu bekommen. Wenn es weder Südfrüchte, noch Schokolade, noch Kaffee zu kaufen gibt, es ohnehin schon am Nötigsten fehlt und man dennoch in den Zeitungen, auf die man anschließend mangels Toilettenpapier zurückgreifen muss, liest, wie gut es dem Land und seiner Bevölkerung angeblich geht. Wenn man keine ausländischen Radiosender empfangen oder gar ins Ausland fahren darf und abends oft einfach der Strom abgeschaltet wird. Wenn man auf der Straße und sogar in manchen Häusern aufpassen muss, was man zu wem sagt und wie laut. Das alles und mehr hatte ich zwar oft zu hören, aber nie zu spüren bekommen. Doch ich begriff solche Lebensumstände als 24 ZWISCHENWELT Als die Mutter sich ausgeschrien hat, will sie wissen, ob das Kind denn nun alles verstanden habe. Man darf nie sprechen, wenn es einen nichts angeht, sagt die Mutter zum Kind, und das Kind versucht zu nicken, zwingt sich und reißt gegen die Starre an, bis der Kopf ihm abfällt. Die Mutter versteht nichts und schließt sich ein. Sophie Zehetmayer, geb. 1993 in Salzburg und aufgewachsen ebenda, nach der Matura 2011 Umzug nach Wien. Dort studiert sie Sprachkunst und Musikwissenschafien. Dies ist ihre erste Veröffentlichung. mögliche Normalität. Ich wusste, dass es sie für viele gegeben hatte oder gab, verglich sie mit meinen eigenen Erfahrungen und bedachte sie im Alltag mit zunehmendem Alter zunehmend mit, etwa, wenn ich einen Supermarkt betrat oder bei Reisen ins Ausland, zum Beispiel nach Rumänien, wo ich als Kind zusammen mit der Familie einige Wochen verbrachte. Es dauerte jedoch seine Zeit, bis mir wirklich bewusst wurde, dass die Kindheit und Jugend meiner Eltern, aus meiner Sicht, nicht nur lange her war, sondern auch nicht im selben Land, in dem ich geboren war und aufwuchs, stattgefunden hatte und vor allem nicht unter denselben Bedingungen. Ob es ihnen vielleicht anders ergangen wäre, hätten sie damals in Österreich oder Deutschland gelebt? Diese Frage stellte ich mir aufgrund der Selbstverständlichkeit, mit der zu Hause über Rumänien gesprochen wurde, erst schr spät. Außerdem verstand ich anfangs nicht, wer oder was für die alltäglichen Einschränkungen verantwortlich war, unter denen meine Eltern und ihre Familien zu leiden, die sie mit der Zeit aber auch geschickt und einfallsreich zu umgehen gelernt hatten. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, was der von ihnen oft erwähnte Ceausescu damit zu tun gehabt hatte — für mich lange nur ein Name ohne Gesicht, über den es viele böse Witze zu erzählen gab, über die ich lachte, weil sie Witze waren. Sibiu, Hermannstadt, 1999. Am Markt stehen fast zahnlose Frauen in bunten Kleidern vor Bergen von Beeren, Pilzen, Obst und Gemüse, angehäuft aufeinfachen Holztischen. Unweit davon bewachen junge wie alte Männer Pyramiden von Wassermelonen. Dazwischen bieten einige Frauen grob geschnitztes Holzbesteck an, das sie in hohen Bastkörbchen mit sich über den Marktplatz herumitragen, wobei der Preis für die Löffel, Gabeln und Pfannenwender an den jeweiligen Kunden angepasst wird. In einer Nebenstraße wünscht sich ein braun gebrannter Bursche ein paar Lei für seine zerbrochene Wassermelone oder etwas anderes Zerbrochenes. An manchen Häuserecken sind Automaten befestigt, die einen Hebel mit einem runden, schwarzen Kopf haben. Füttert man ihren Mundschlitz mit ein paar Lei und drückt dem Hebel den Kopf hinunter, spenden sie Waffeln mit Kakaooder Vanilleeis, in ein braunes, weifses oder weifS-braunes Tiirmchen aufgezwirbelt. Von den Hausdächern blicken einem tausend flache