Unterschrift des Inhabers:
Signature du titulaire: Mm =
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und seiner Frau:
et desa femme:
Mit Carpeaux und der Lektüre Histöria da Literatura Ocidental
haben wir lesen gelernt. Mit Uma nova Histöria da Musica haben
wir hören gelernt. Mit seinen Essays zur Kunst haben wir sehen
gelernt. Durch die Beobachtung seiner journalistischen Aktivitäten,
insbesondere denjenigen um 1964 herum, bis das Regime ihn zum
Schweigen verurteilte, haben wir sein und handeln gelernt.“
In seinen Essays und Artikeln schrieb er über damals in Brasilien
Unbekanntes oder wenig Bekanntes und zeigte andere geistige
Wege und Aspekte aufals diejenigen, die in jenen Jahren im Land
vorherrschten.'” Von Beginn an bemühte er sich, die brasilianische
Sichtweise mit zu berücksichtigen, wenn er der Leserschaft die ös¬
terreichische Vision einer zivilisatorischen Einheit näherzubringen
versuchte.'° Er sah dies als seine Pflicht an: „Ein Intellektueller,
der von einem fremden Land aufgenommen wurde, hat nicht das
Recht, die Gastfreundschaft auszunutzen, ohne die Pflicht, die
strenge Pflicht zu erfüllen, sich für die Literatur dieses Landes bis
zu den äußersten Verständnismöglichkeiten zu interessieren.’ So
wurde es sein Anliegen, mit den vermittelten Kenntnissen über
die europäische Kultur die Basis für ein neues Kulturverständnis
zu legen und auf diese Weise auch zur Stärkung des einheimischen
kulturellen Erbes beizutragen.
In den mehr als 15 zwischen 1942 und 1978 veröffentlich¬
ten Büchern vermochte er es, den Brasilianern mithilfe seines
universellen und dialektischen Ansatzes neue Perspektiven ihrer
Literatur zu veranschaulichen. Sollte seine Pequena bibliografıa
critica da literatura brasileira, Kleine kritische Bibliographie der
brasilianischen Literatur, von 1949 als eine Orientierungshilfe
dienen'*, vollzog er in seinem wichtigsten Werk enzyklopädi¬
schen Umfangs, der achtbändigen Historia da literatura ocidental,
Geschichte der abendländischen Literatur, die er schon 1944/45
niedergeschrieben hatte, jedoch erst zwischen 1959 und 1966
nach nochmaliger Überarbeitung veröffentlichte, die Integration
der brasilianischen Literatur in die Literaturen der Welt. Wie der
Schriftsteller Renard Perez nicht ohne Stolz bemerkte, schloss
Carpeaux darin „neben einem Goethe, einem Balzac, einem Gogol,
einem Thomas Mann unsere Goncalves Dias, Machado de Assis,
Lima Barreto, Carlos Drummond de Andrade“ wiirdig in die
internationale Aufzählung mit ein.'” Durch die Berücksichtigung
des sozio-historischen Kontexts und der Bevorzugung der Veran¬
schaulichung großer organischer Einheiten vermochte er es, die
Literatur in ihrer Vielfältigkeit und Komplexität über nationale und
sprachliche Grenzen hinweg darzustellen. Für Olavo de Carvalho
ist das Werk „ein brasilianischer Beitrag zur Schule Diltheys“.”°
„Die Bedeutung von Otto Maria Carpeaux Wirken in der
brasilianischen Kultur ist eine Tatsache, die nie bestritten wurde,
obwohl sie nicht immer in ihrer ganzen humanistischen Dimension
verstanden worden ist“, resümiert der Autor Carlos Heitor Cony”',
der neben dem Soziologen und Verfasser des späteren Klassikers
Herrenhaus und Sklavenhütte Gilberto Freyre, den Dichtern Manuel
Bandeira und Carlos Drummond de Andrade, den Schriftstellern
Graciliano Ramos und Antonio Callado, den Literaturkritikern
Antonio Candido und Alfredo Bosi, dem Architekten Oscar
Niemeyer zu Carpeaux Freunden und Bewunderern gehörte.
Dank ihrer Unterstützung erhielt er bereits 1944 die brasilianische
Staatsbürgerschaft. Dieser unerwartete Erfolg erschien ihm wie
ein Wunder, gerade weil er schon einmal seine Existenz verloren
hatte, was in ihm „das Gefühl einer metaphysischen Unsicherheit“
hervorgerufen hat, für das er dankbar war. „Diese Unsicherheit
scheint mir der Weg zum Verständnis des Lebens zu sein“, wie
er Drummond de Andrade anvertraute.”