Die Übersetzungen von Zitaten aus dem brasilianischen Portugiesisch stammen,
sofern nicht anders angegeben, von der Verfasserin.
1 Brief von Otto Maria Carpeaux an Carlos Drummond Andrade, 21.6.1942.
Nachlass Otto Maria Carpeaux. Fundagäo Casa Rui Barbosa, Rio de Janeiro.
2 Briefe von Otto Maria Carpeaux an Martin Fuchs, 29.11.1939; 21.1.1940.
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Akte 22482.
3 Karpfen, Otto Maria: Wegenach Rom. Abenteuer, Sturzund Siegdes Geistes. Wien:
Reinhold Verlag 1934, S. 175. Zu Carpeaux Leben in Österreich vgl. Ventura,
Mauro Souza: De Karpfen a Carpeaux. Formagäo politicae interpretagäo literariana
obra do critico austriaco-brasileiro. Rio de Janeiro: Topbooks Editora 2002.
4Ebd.,S.25.
5 Ebd., S. 86.
6Vgl.Brunn, Albertvon: „OttoMariaCarpeaux:einekafkaeskeFluchtausEuropa“
in: Große, Sybille; Schönberger, Axel (Hg.): Dulce et decorum est philologiam colere:
Festschrift für Dietrich Briesemeister zu seinem 65. Geburtstag. Frankfurt am Main:
Domus Editoria Europaea 1999, S. 833-845, S. 837.
7 Vgl. dazu Milgram, Avraham: Os judeus do Vaticano. A tentativa de salvagäo de
catölicos näo-arianos da Alemanhaao Brasilatravés do Vaticano 1939-1942. Editora
Imago. Rio de Janeiro 1994. Carneiro, Maria Luiza Tucci: Weltbürger. Brasilien
und die Fhichtlinge des Nationalsozialismus, 1933-1948. Wien: LIT Verlag 2013.
Lesser, Jeffrey: O Brasil e a questio judaica. Imigragéo, diplomacia e preconceito. Rio
de Janeiro: Editora Imago 1995.
8Vel. Briefvon Otto Maria Carpeauxan Alvaro Lins, 31.12.1940. In:,Umdestino
interminado. Refugiado do nazismo, o critico austriaco quase troca parao México,
como revelaa Lins“, Folha de S. Paulo, 04. Juni 1995, S.5.
9 Vel. Brief von Otto Maria Carpeaux an Alvaro Lins, 31.12.1940, a.a.0.
10 Otto Maria Carpeaux zit. nach: Perez, Renard: „Otto Maria Carpeaux“ in:
Carpeaux, Otto Maria: Tendencias contemporäneas naliteratura. Um esbogo. Rio de
Janeiro: Tecnoprint Grafica S. A. 1968, S. 11-22, S. 14.
11 Alvaro Lins: ,Um novo companheiro“, a.a.O.
12 Älvaro Lins: „Um novo companheiro“, a.a.O.
13 Älvaro Lins: „Um novo companheiro“, a.a.O.
Heike Muranyi .
Paulo Ronai — Leben als Ubersetzung
Es sind unzählige, unzählbare Lebensgeschichten, die durch die
Katastrophe des Nationalsozialismus zu Leidensgeschichten ge¬
worden sind. Viele wurden dokumentiert, sehr viele andere fanden
nie einen Erzähler und so auch keine Zuhörer. Diese Geschichten
verbergen sich hinter Namen, die vergessen sind, hinter den Ge¬
sichtern Unbekannter auf alten Photographien. Sie sind stumme
Zeugen einer von Krieg, Flucht und Verfolgung geprägten Zeit,
und vielleicht ist es gerade diese Masse an Schweigen, die uns das
Ausmaß menschlichen Leids dieser Jahre begreifen lernen lässt.
Es gibt aber auch andere Fälle. Fälle, in denen uns eine Person,
ihr Name und Wirken durchaus bekannt sind. Wir meinen zu
wissen, was ihr Verdienst ist, warum wir sie kennen, was sie tut.
Und doch wissen wir nichts über den Menschen hinter der Person
und über seine Geschichte, wir wissen nichts über seinen Namen
und fragen uns nicht, was hinter seinem Schaffen steht. Ein sol¬
cher Fall ist Paulo Rönai, Übersetzer, Didaktiker, Lexikologe und
Literaturwissenschaftler.
Klang und Gestalt seines Namens mögen im ersten Augenblick
für viele kaum Aufschluss über seine Herkunft geben; dies umso
mehr im deutschsprachigen Raum, wo Paulo Rönai noch immer
ein weitgehend Unbekannter ist. Paulo lässt Mutmaßungen über
einen Bezug zu einem romanischen Ursprung zu — aber Rönai?
Dass es sich dabei um einen ungarischen Namen handelt, mag
ebenfalls nicht auf den ersten Blick klar sein. Doch gibt der Name,
14 Holanda, Gastäo de: „Editorial de Jose. Literatura. Critica & Arte“. In: José.
Literatura. Critica & Arte, Nr. 10, Juli 1978, S. 3.
15 Vel. Candido, Antonio: ,,Leidenschaftliche Dialektik“. In: Antonio Candido—
Literaturund Gesellschaft. Hrsg. von LigiaChiappini. Frankfurtam Main: Vervuert
Verlag 2005, S. 39-44, S. 40.
16V¢g]. Carvalho, Olavode:,,Introdug4oaumexamedeconsciéncia“.In:Carpeaux,
Otto Maria: Ensaios reunidos 1942-1978. Higs. von Olavo de Carvalho. Rio de
Janeiro: Topbooks Editora 1999, S. 33.
17 Carpeaux, Otto Maria: Ensaios Reunidos. Rio de Janeiro: UniverCidade Editora
1999, S. 458.
18 Carpeaux, Otto Maria: Pequena bibliografiacriticada literatura brasileira. Rio de
Janeiro: EditoraMinistériodaEduacaoeSatide/Servicodedocumentagao1951,S.14.
19 Perez, Renard, a.a.O.,S. 19. Vgl. Carpeaux, Otto Maria: Historia da literatura
ocidental. Editora Alhambra. Rio de Janeiro 1987.
20 Olavo de Carvalho zit. nach: Vejmelka, Marcel: „Dialektik der brasilianischen
Literatur—kulturelle Aneignung und Vermittlung bei Otto Maria Carpeaux“. In:
Martius-Staden-Jahrbuch, 2006 Nr. 53, S. 265-283, S. 275.
21 Cony, Carlos Heitor: „Apresentagäo“. In: http://www.olavodecarvalho.org/
textos/carpeaux.htm (Letzter Zugriff, 14.08.2013)
22Briefvon Otto MariaCarpeauxan CarlosDrummondAndrade,21.06.1942,a.a.0.
23 Stefan Zweigsoffizieller Abschiedsbriefzit.nach: Dines, Alberto: Todim Paradies.
DieTragidiedes Stefan Zweig Frankfurtam Main: Edition Biichergilde2006,Abb.71.
24 Vel. Dines, Alberto, a.a.O., S. 588/589, 630.
25 Carpeaux, Otto Maria: Histöria da literatura ocidental Bd. 7. Rio de Janeiro:
Edicöes O Cruzeiro 1966, S. 3178.
26 Carpeaux, Otto Maria: Aliteraturaalema.SäoPaulo: EditoraCultrix1964,5.232.
27 Carpeaux, Otto Maria: Brasilnoespelhodomundo. Crönicasdepoliticainternacional
enacional. Rio de Janeiro: Edicäo Civilizacäo Brasileira 1965, S. 105.
28 Carpeaux, Otto Maria: Vinte e cinco anos de Literatura. Rio de Janeiro: Edigäo
Civilizacäo Brasileira 1968, 0. S.
29 Carlos Drummond de Andrade zit. nach: Leite, Sebastiäo Uchoa: „Carpeaux:
aventura da realidade“ in: José. Literatura, Critica & Arte, a.a.O., S. 13.
30 Helene Carpeaux zit. nach: Carvalho, Olavo de, a.a.0., S. 52.
31 Carpeaux, Otto Maria: Tendénciascontempordneasnaliteratura,a.a.O.,S.11,21.
in seiner Kombination eines romanischen mit einem ungarischen
Namen, durchaus auch einen Hinweis darauf, dass man es bei
seinem Trager mit einer Person zu tun hat, die zwischen Welten
stand und dessen Lebensweg einen zweiten Blick mehr als verdient.
Kaum ein Übersetzer mag seine Tätigkeit so beim Wort genom¬
men, sie so bedingungslos als Lebensweise akzeptiert und ausgeübt
haben wie Paulo Rönai. Neben der Übertragung von Texten aus
einer in eine andere Sprache steht bei Rönai die Spielart des Sich¬
Übersetzens, des Übersetzens in einen anderen Raum, der ihm
nicht nur Sprachraum ist, sondern auch Lebenswelt wird. Der
Übersetzungsvorgang kann im Falle Rönais somit als eine facet¬
tenreiche Kategorie eines Lebenswissens gelesen werden, welches
sich dem unermüdlichen Brückenbauen, dem Verbinden und
Verknüpfen von Sprach- und Kulturräumen verpflichtet fühlt.
So viel über das Wirken Paulo Rönais bekannt ist, so wenig
wissen wir über sein Leben. Die Person Rönai verschwand hinter
der öffentlichen Identität des Übersetzers, Kritikers, Kommentators
und Autors zahlreicher Lehr- und Wörterbücher. Dies mag mit
einer in seiner persönlichen Korrespondenz häufig zum Ausdruck
kommenden Bescheidenheit zu erklären sein — aber ein Blick auf
sein Leben ist, eingedenk des eingangs Gesagten, allemal lohnens¬
wert und aufschlussreich. Wie wurde aus dem ungarischen Juden
Rönai Päl der Brasilianer Paulo Rönai?
1907 in Budapest geboren, wächst Rönai in der ungarischen