Hauptstadt auf und beginnt dort sein Studium klassischer und
romanischer Philologie. Danach arbeitet er als Lehrer sowie als
Redakteur und Übersetzer für Zeitschriften, unter anderem für die
von der französischen Gesellschaft für Literatur herausgegebene
Nouvelle Revue de Hongrie. Obgleich studierter Romanist, erwacht
das Interesse für die portugiesische Sprache erst recht spät. Ende
der dreißiger Jahre fällt Rönai eine französische Übersetzung des
Dom Casmurro des großen brasilianischen Erzählers Machado de
Assis in die Hände, die er mit Begeisterung liest. Rönai wäre nicht
Rönai, wenn er sich nicht sofort daranmachte, diese Begeisterung
mitzuteilen, um sie mit anderen zu teilen: Er schreibt einen Arti¬
kel fiir die Nouvelle Revue, der im Februar 1937 unter dem Titel
„Dom Casmurro. Au hasard des livres“ erscheint. Zwei Jahre
später ist es die Lektüre einer Anthologie junger brasilianischer
Dichter, die Rönai wieder — und dieses Mal mit weitreichenden
Konsequenzen — in Kontakt mit dem Portugiesischen bringt.
Rönai begnügt sich nicht mit einer Rezension, sondern verfasst
für Usjag einen längeren Artikel, „A Brazilia“, in dem er- der sich
eben erst mit der Materie vertraut zu machen begonnen hatte —
einen Überblick über die brasilianische Literaturgeschichte gibt.
Dieser enthält auch Rönais Übersetzungen einiger Gedichte der
von ihm in dem Artikel erwähnten Dichter. Besonders erwärmt
sich Rönai für das Gedicht „A moca da estagäozinha pobre“ eines
gewissen Rui Ribeiro Couto. Auch dieses Gedicht überträgt er,
der das Portugiesische nun autodidaktisch und lediglich mit ei¬
nem schon recht veralteten, portugiesisch-deutschen Wörterbuch
bewaffnet erlernt, ins Ungarische.
Nur durch einen Zufall, bei einem Besuch auf dem brasiliani¬
schen Konsulat in Budapest, erfährt Rönai, dass Ribeiro Couto
im diplomatischen Dienst in Den Haag beschäftigt ist. In einem
auf den 4. Februar 1939 datierten Brief fragt er— auf Französisch
und nicht, wie man meinen könnte, auf Portugiesisch — an, ob
der Autor des von ihm so geschätzten Gedichts gewillt sei, ihm
noch weitere Werke zur Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Es
entsteht ein lang anhaltender Dialog zwischen dem brasilianischen
Diplomaten und Poeten und dem ungarischen Übersetzer. Diese
zunächst auf Französisch geführte Korrespondenz ist der mithin
einzige Anhaltspunkt, Rönais Weg nach Brasilien zu rekonstru¬
ieren. Coutos Antworten an Rönai sind nicht erhalten; die Briefe
aus Budapest nach Den Haag hingegen sind in der Stiftung Rui
Barbosa in Rio de Janeiro archiviert und geben Aufschluss darüber,
mit welchem Elan sich der ungarische Übersetzer dem Projekt
widmete, die brasilianische Literatur in seinem Heimatland zu
einem denkbar unglücklichen Zeitpunkt bekannt zu machen.
In dem erwähnten ersten Brief an Couto teilt Rönai diesem
auch mit, dass er die Herausgabe einer Anthologie brasilianischer
Dichtung plane. Die Beschaffung der Originaltexte gestaltet sich
schwierig; auch hier appelliert Rönai an seinen neuen Freund. Es
gelingt ihm dann tatsächlich, binnen kürzester Zeit die Publikation
vorzubereiten, was ihn anscheinend so in Atem hält, dass er die
jüngsten besorgniserregenden politischen Entwicklungen in den
zahlreichen Briefen an Couto zunächst mit keinem Wort erwähnt.
Doch kommt es schließlich zu einem drastischen Aufeinander¬
treffen zweier einander entgegengesetzter Handlungen: Auf der
einen Seite Rönais Bemühungen, zwei Kulturen — die ungarische
und die brasilianische - anhand der literarischen Übersetzung
miteinander in Verbindung zu bringen, auf der anderen Seite
der Einfall der deutschen Wehrmacht in Polen, der den Beginn
des Zweiten Weltkriegs und somit das vorläufige Ende jeglicher
transnationaler und -kultureller Bestrebungen bedeutet. Brazilia
Uzen („Nachricht aus Brasilien“) erscheint Ende August 1939,
das heißt nur wenige Tage vor Kriegsausbruch.
Später wird sich Paulo Rönai in seinem autobiografischen Es¬
sayband Como aprendi o portugués e outras aventuras („Wie ich
Portugiesisch lernte und andere Abenteuer“) an jene Tage erinnern:
Die Publikation von Brazilia Uzen wurde von der Kritik mit
dem Interesse bedacht, das in diesem Moment noch möglich war.
[...] Zum ersten Mal bekam man in Mitteleuropa brasilianische
Lyrik zu lesen, und man begann zu ahnen, dass Brasilien, bis dahin
eher als Kaffeeproduzent bekannt, mit einer Kultur aufwartete, die
Aufmerksamkeit und sogar Bewunderung verdient hatte. Der Kriti¬
ker György Balint, der später von den Nationalsozialisten ermordet
wurde, gab seinem Artikel den Titel: „Brasilien kommt uns näher“.
Ich teilte diesen Eindruck, ganze drei Tage lang. Am vierten Tag
rollten deutsche Panzer über die polnische Grenze. Rauchschwaden
verschleierten den Blick auf Brasilien, auf die Dichtung und die
Lebensfreude. (Paulo Rénai: Como aprendio o portugués 1956.
Rio de Janeiro: Ministerio de educac4o e cultura 1956, S. 17. —
Ubersetzung H.M.)
Trotz dieses niederschmetternden Ereignisses signalisiert Rönai
seinem Brieffreund Couto gegenüber ungebrochenen Tatendrang
und unerschütterlichen Optimismus. Es ist stets die Arbeit, die
Literatur, die Ihema seiner Briefe ist; Bemerkungen zur politi¬
schen Lage finden sich - sicherlich auch aus Vorsicht — nach wie
vor fast überhaupt nicht. Auch Anmerkungen zu seiner eigenen
Lage macht Rönai nur schr selten. Deutlich wird jedoch, dass
die Beschäftigung mit Dichtung und Übersetzung ihm mehr
und mehr zu einem Fluchtpunkt wird, welcher ihn sich Couto
und Brasilien näher fühlen lässt. So schreibt er im Oktober 1939:
Haben Sie Dank für Ihre aufmunternden Worte, die mich dazu
anhalten, mich nicht von der „schweren Stimmung, die auf Europa
lastet“ erschüttern zu lassen. Inmitten dieses Sturmes ist mir die Kunst
und die Reflektion das einzig mögliche Refugium. Ich versuche zu
arbeiten, als ob nichts wäre. Ich weigere mich zu glauben, dass diese
Barbarei einmal mächtiger werden könne als unsere Gedichte, unsere
Bücher, unser friedliches Heim und unser Traum von Brüderlichkeit.
Es ist mir ein großer Trost zu wissen, dass wir dieselbe Stimme, dasselbe
Ideal haben. (Übersetzung des Verf.)
So flieht Paulo Rönai in diesen, seinen letzten Budapester Tagen
in ein gedankliches Exil, über welches er erst viel später wieder
Auskunft geben soll. Im Jahr 1973 vergleicht er in einer anlässlich
des zehnten Todestags von Rui Ribeiro Couto verfassten Denk¬
schrift Brasilien mit einer imaginären Insel, die sich für ihn nur
durch die Briefe seines Freundes konkretisierte.
Doch auch der Gedanke, tatsächlich nach Brasilien zu über¬
siedeln, nimmt mehr und mehr Gestalt an. Rönai erhält ein For¬
schungsvisum, benötigt jedoch auch eine oflizielle Einladung einer
brasilianischen Institution — und diese lässt auf sich warten. Rönais
zunehmende Hoffnungslosigkeit spiegelt sich in den Briefen aus
der ersten Jahreshälfte 1940 wieder und erreicht einen Höhepunkt
mit seinem Schreiben vom Juli desselben Jahres, nach dem der
Briefwechsel vorerst abbricht. Im gleichen Monat wird Paulo
Rönai in ein Arbeitslager deportiert. Insgesamt sechs Monate
verbleibt er dort, bis er durch die Intervention des brasilianischen
Außenministeriums (Itamaraty) nach Budapest zurückkehren
darf. Über die Zeit im Lager gibt es keine Berichte.
Ausgestattet mit einer offiziellen Einladung des Itamaraty, un¬
terzeichnet vom brasilianischen Botschafter in Ungarn, Octavio
Fialho, kann er Ende Dezember 1940 das Land endlich verlassen.
Kurz zuvor verlobt er sich mit seiner Freundin Magdalena Peter,