politische Macht.
Es darf uns berühren, dass dieses Werk die NS-Gräuel überlebt
hat und uns heute als mahnender Zeuge begegnet.
Ich danke den Studierenden der Universität für Musik und
Darstellende Kunst Wien unter Leitung von Andreas Penninger
und der Regie von Beverly Blankenship für die Aufführung.
Die Konsequenz aus den politischen Katastrophen des 20. Jahr¬
hunderts war die Idee eines gemeinsamen Europa, das sich als
Gegenentwurf zu Nationalismus und Rassismus verstand. Die
Europäische Union ist die Umsetzung dieses Gedankens. Sie ist
somit weitaus mehr als ein Wirtschaftsraum oder eine Zweck¬
gemeinschaft. Sie ist der Beweis dafür, dass ein friedliches Zu¬
sammenleben der Völker Europas — Gemeinsamkeit in Vielfalt
— möglich ist.
An der Umsetzung dieser Idee müssen wir ständig weiterarbeiten.
Dazu verpflichtet uns unsere Geschichte.
Rede zur Verleihung des Theodor Kramer Preises, Niedehollabrunn,
4. Oktober 2013
Es ist nicht irgendein Preis, der mir heute verliehen wird, sondern
ein Preis, mit dessen Namengeber und seinem Werk ich mich auf
vielfache Art und Weise verbunden fühle.
Am Beginn der niederösterreichischen Landeshymne, deren Text
leider nicht von Theodor Kramer, sondern von einem ehemaligen
Nazi mit der Mitgliedsnummer 8.751.771 stammt, heißt es ebenso
pathetisch wie einseitig: „Oh Heimat, dich zu lieben.“ Theodor
Kramer hätte vielleicht ergänzt: „Oh Heimat, dich zu lieben, dich
zu hassen“, weil er an der Heimat auch das Zwiespältige und das
Widersprüchliche, das Bittere und das Scharfe, das Disparate und
das Gebrochene, das Dunkle und das Kalte, das Ungerechte und
das Empörende wahrgenommen hat. Das Verlogen-Heimatse¬
lige mit aufgesetzt-klassizistisch-vormodernen Dichtergirlanden
zu umkränzen war seine Sache nicht, das hat er seinen litera¬
turgeschichtlichen Antipoden, etwa dem „Heurigen-Hölderlin“
Weinheber und eben auch Franz Karl Ginzkey, überlassen.
Der deutsche Literaturkritiker Thomas Wörtche hat mich einmal
den „Poeten der Tabubereiche des Belletristischen“ genannt und
erklärend dazu gemeint: „Wieninger befasst sich mit den Szenerien
und Tristessen, mit denen Literatur ungern zu tun hat, wenn sie
super rüberkommen möchte. Und wer möchte das heutzutage
nicht? Wieninger anscheinend, denn seine Schilderungen der
Vorstadt, der Ausfallstraßen, der Baumärkte, Einkaufszentren,
die peniblen Beschreibungen der kalten, geschändeten, kargen,
vermüllten und zerstörten Natur strahlen nichts Romantisches,
nicht einmal etwas schick Irash-Romantisches aus.“
Mit demselben Fug und Recht könnte man Theodor Kramer
einen „Poeten der Tabubereiche des Lyrischen“ nennen.
Bei der Arbeit an meinem zeitgeschichtlich-dokumentarischen
Roman „223 oder Das Faustpfand“ habe ich mich auch der einen
oder anderen Biographie von chemaligen Einwohnern der beiden
niederösterreichischen Ortschaften Persenbeug und Hofamt Priel
angenähert. Mehr als einmal hatte ich dabei den Eindruck, es mit
Personal der lyrischen Welt Theodor Kramers zu tun zu haben.
Auf jeden Fall stecke ich in dieser niederésterreichischen Heimat
wie ein Wal in einer Weinflasche und werde mich auch weiterhin
mit ihr zu beschäftigen haben.
Vielleicht ist dabei gerade heute der Non-Fiction-Krimi der
Ort, um das Ungeheuerliche zu sagen. Wenn die Wahrheit nicht
relativ ist, dann kann man sie aussprechen, aufschreiben. Oder
verschweigen, verdrängen und vergessen. Ein guter, ein wirklich
guter Kriminalroman vermag es jedenfalls, die Toten reden zu
machen und das Rätsel zu stellen, wenn auch nicht zu lösen.
Mein besonderer Dank gilt Konstantin Kaiser und der von ihm
(und von Siglinde Bolbecher) herausgegebenen Zeitschrift „Zwi¬
schenwelt“, die mir in den letzten Jahren nicht nur immer wieder
eine interessante und anregende, berührende und aufrührende
Lektüre geboten hat, sondern auch ein publizistisches Forum für
meine aktuellen Arbeiten und Gedanken. Diese von gegenseitiger
literarischer und persönlicher Sympathie getragene Zusammen¬
arbeit mit Konstantin möchte ich nicht mehr missen.
Abschließend möchte ich auch meiner Frau danken, dass sie
es schon so viele Jahre ausgehalten hat, mit einem Schriftsteller
verheiratet zu sein, der öfter den Kopfin den Wolken als die Füße
auf dem Boden hat.