Zwei, drei Fotos aus dem Winter 2000/2001: Ein dunkel geklei¬
deter, aufgekratzt wirkender, alter Mann mit einer dicken Brille
und einer Pelzmütze aufdem Kopf steht vor einer schwarz verflies¬
ten Fassade eines ebenerdigen Geschäftes. In das dominierende
Schwarz sind kleine, rechteckige Schmuckfliesen in Rosa und
Gelb und Hellblau eingelassen, heftiges Design der 60er Jahre
des vorigen Jahrhunderts. Radio Elektro Foto steht über drei
Auslagenscheiben und einer Eingangs- sowie einer Ausgangstür
mit ebenfalls gläsernen Türfüllungen. Heruntergelassene Rollos
verschließen alles blickdicht. Ein Geschäft, dem man ansieht,
dass es nie wieder aufsperren wird. Neben dem Geschäftsportal
eine schmale Garageneinfahrt mit einem zweiflügeligen, grauen
Tor, über dem die Hausnummer angebracht ist: 78, Klosterneu¬
Ein paar Wochen vor der Aufnahme dieser Fotos hatte ich an das
Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des
Naziregimes, sprich an Simon Wiesenthal, einen Brief geschrie¬
ben und um Informationen über Anton Schmid gebeten, einen
der allerersten Österreicher, der von der israelischen Holocaust¬
Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Ehrentitel „Gerechter unter
den Völkern“ ausgezeichnet worden ist. Leider poschum. Denn
Schmid, ein aus Wien stammender Feldwebel, wurde wegen der
Rettung von über 250 Juden am 13. April 1942 in Wilna/Vilnius,
der Hauptstadt des heutigen Litauen, vor ein Erschießungspeloton
der Wehrmacht gestellt und hingerichtet.
Praktisch umgehend erhielt ich per Fax die Mitteilung, dass Ing.
Wiesenthal mich empfangen werde. Das Dokumentationszentrum
des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes war in einer nicht
allzu großen, ehemaligen Wohnung in der Salztorgasse 6 unter¬
gebracht, und zwar im vierten Stock eines Nachkriegsgebäudes,
das an der Stelle des chemaligen Wiener Gestapo-Hauptquartiers
errichtet worden war. Der uniformierte Polizist, der auf einem
kleinen weißen Holztisch und einem ebenfalls weißen Holzsessel
im Stiegenhaus des vierten Stockes direkt vor der Wohnungstür Nr.
5 saß, beeindruckte mich gehörig. Das mir winzig erscheinende
Büro Wiesenthals glich einer Höhle aus Büchern und Papieren.
Der Büroinhaber, uralt und wach, hielt mein damals eben erschie¬
nenes Buch „Der dreizehnte Mann“ in Händen und ließ gleich zu
Beginn des Gesprächs erkennen, dass er es nicht gelesen hatte. In
ein paar kurzen Sätzen erzählte er mir leise über seine seinerzei¬
tige Zusammenarbeit mit Frederick Forsyth, die zu dessen Buch
„Die Akte Odessa“ geführt hatte. Dann aber ließ er mich mein
Anliegen vorbringen, hörte neun, zehn Minuten lang geduldig
zu, ohne mich zu unterbrechen, bis ich das Gefühl hatte, dass der
Termin zu Ende war. Der Büroinhaber wirkte unendlich müde,
aber sein selbst auferlegtes Arbeitspensum war auch heute noch
lange nicht erledigt. In der Kanzlei drückte mir seine langjährige
Sekretärin und enge Mitarbeiterin das Dossier Anton Schmid in
die Hände. Daraus erfuhr ich unter anderem, dass Schmid ein
Radio-, Elektro- und Foto-Geschäft in der Klosterneuburger Straße
78 in Wien-Brigittenau besessen hatte, das seine Frau und seine
Tochter nach seiner Hinrichtung weitergeführt hatten. Außerdem
erhielt ich davon Kenntnis, dass Simon Wiesenthal im Jahr 1965
gemeinsam mit der Witwe Schmids und deren Schwiegersohn nach
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Anton Schmid. Foto: Privat/Archiv M. Wieninger
Vilnius, in die Hauptstadt der damaligen Sozialistischen Sowjet¬
republik Litauen, gereist war, um auf dem Friedhof im dortigen
Stadtteil Antokol das Grab des Feldwebels zu suchen. Wiesenthal
hatte auch die gesamten Kosten der leider vergeblichen Reise
und Suchaktion getragen. Danach erhielt ich von Wiesenthals
Mitarbeiterin auch noch das Dossier Franz Murer zur Einsicht.
Murer war 1941/42 Schmids Gegenspieler in Wilna. Entgegen
den Usancen in vielen österreichischen Archiven durfte ich alles
einsehen, durfte ich alles, was mir interessant erschien, kopieren.
Dafür hatte ich nicht einmal die Kopierkosten zu erstatten, und
es wurde mir eine Tasse Milchkaffee aufgewartet, für die ebenfalls
nichts zu bezahlen war. Ich war überrascht, so etwas war mir in
Österreich noch nicht passiert.
Anfang 2001 suchte ich mittels Anzeigen und redaktioneller Bei¬
träge in mehreren österreichischen und deutschen Printmedien
nach Zeitzeugen, also nach Menschen, die Anton Schmid noch
persönlich gekannt hatten. Die Reaktionen waren überschaubar,
nämlich fast null. Nur ein einziges Schreiben trudelte bei mir ein:
Ich habe Herrn Anton Schmid schon gekannt, als ich noch als
kleiner Bub in die Volksschule ging, da mein Vater ein guter Freund
von ihm war und bei ihm arbeitete, insofern, weil er ein Elektro¬
Fotogeschäft hatte, und da mein Vater, da er Fotograf war, führte er