unternommen, um den Vertragsabschluß rückgängig zu machen;
Hofbauer weigerte sich, dem Ansinnen des neuen Eigentümers zu
entsprechen, der es schließlich in kleiner Auflage und ohne jedes
Bemühen um Resonanz, also unter Ausschluß der literarischen
Öffentlichkeit herausbrachte.
In einem Feuerwerk von Einfällen spielt Friedl Hofbauer immer
neue Situationen durch, wobei sie die herkömmliche Logik außer
Kraft setzt. Der Fremde geht durch geschlossene Türen hindurch,
muß sich erst an den Hintersinn unserer Sprache gewöhnen, zeugt
mit der namenlosen Erzählerin ein Kind, das von der Umwelt
nicht als Menschenwesen erkannt wird. Mit einem Fotoreporter,
der dann bei einem Verkehrsunfall stirbt und wiederaufersteht,
fährt die Erzählerin durch vermintes Gelände, spricht mit dem
Bewohner eines nahen Dorfes, der sich beim Handgranatenein¬
sammeln Arme und Beine weggesprengt hat. Einer Journalistin,
die sie wegen eines Interviews aufsucht, schreibt sie in aller Eile
eine Reportage über ein neu eröffnetes Wellenbad. Sie bindet
sich zum Schlafen Bücher wie Sandalen an die Füße, verkehrt
mit einer Nebenbuhlerin, der Geliebten ihres Mannes, tätschelt
das Rückenfell der Dunkelheit, verwandelt sich in die eigenen
Träume, dann in Nebel, um „fröhliches Aufsehen“ zu erregen,
legt sich auf Schienen, auf denen, wie eine Raupe, der Schnellzug,
Rad für Rad, sich über sie hinweghebt. Sie erkundet Stimmungen
und entdeckt geheime Leidenschaften, übt sich im Aberglauben,
in der Zärtlichkeit, im Schmerz, fängt an, „Enttäuschungen zu
lieben“, auch die große, „die mich glücklich macht“, ein Kind zu
haben, das „in sein eigenes Leben“ findet. „Der kurze Heimweg“
ist wie ein langer inniger Traum und zugleich ein selten realisti¬
scher Roman, in dem Friedl Hofbauer unser Dasein verhandelt,
ein Spiel auch mit „literarischen Erwägungen“ zur Zeit, die uns
gegeben ist. Die Summe eines Lebens, ihres Lebens, und dabei
war die Autorin, als sie ihn schrieb, erst 44 Jahre alt.
Dann „Der Engel hinter dem Immergrün“: Erinnerungen an
eine geborgene Kindheit, mit einer Mutter, die als Friseurin die
Familie ernährt, und einem Vater, der — ungewöhnlich für dama¬
lige Verhältnisse - Hausmann ist, seit er im Hotel Sacher einen
Kellnerstreik organisiert hat und deshalb auf die Straße gesetzt
worden ist. Hofbauers karge, aber an Einfällen üppige Kindheit, in
die unversehens die Politik einbricht: ein Kochrezept, das sie liest,
mündet in einen Aufrufzum Kampf gegen den Austrofaschismus,
und der Engel hinter dem Immergrün erweist sich als fliichtiger
Februarkämpfer, dem die Eltern für ein paar Tage Zuflucht ge¬
währen. Das Sehnsuchtsvolle dieser Prosa, ihr flirrender Duktus,
die einfache, aber anschauliche, deshalb betörend schöne Sprache.
Wichtig, hier zu erwähnen, was mir der Chemiker Robert Ros¬
ner erzählt hat, der wegen seiner jüdischen Herkunft 1938 vom
Schulbesuch ausgeschlossen und mit einem Kindertransport nach
England gebracht worden war (auch Alexander Melach erwähnt
es in der letzten Nummer der „Zwischenwelt“): daß Friedl Hof¬
bauer und Bekannte ihrer Eltern Möbel und andere Besitztümer
seiner Familie vor dem Zugriff der Nazis gerettet und über die
Jahre der NS-Herrschaft aufbewahrt hatten, so daß die Rosners
nach ihrer Rückkehr aus dem Exil zu den wenigen Remigranten
gehörte, die die ihnen zugewiesene Wohnung mit den vertrauten
Gegenständen ausstatten konnten, was seiner Meinung nach dabei
geholfen habe, in Österreich gefühlsmäßig wieder Fuß zu fassen.
Hofbauers Gedichte möchte man am liebsten gar nicht wür¬
digen oder zusammenfassen, sondern der Reihe nach zitieren.
Wegen ihrer lustigen Ideen. Wegen ihrer abgrundtiefen Trauer.
Wegen der genauen Beobachtung und der daraus erwachsenden
Stimmung. Weil ihre Verfasserin Märchen umdichtet, durchei¬
nanderwirft, vollendet. Weil sie heiter Tag und Nacht besingt,
das Arbeiten, das Einkaufen, das Kochen, das Staubsaugen, das
Kinderkriegen, das Eintreffen und Wegschleichen dieses oder
eines anderen Geliebten. Weil sie Straßen und Plätze der Wiener
Vorstadt schmucklos, sehnsuchtsvoll darstellt. Weil sie von Liebe
spricht, so, wie noch niemand von ihr gesprochen hat, aber auch
die leisen Abende, den Einzug in eine neue Wohnung, die Mü¬
digkeit und das Vogelgezwitscher nicht verachtet. Weil manche
Verse der toten Schwester, dem toten Mann, dem toten Vater
gelten. Ach, mir eignet kein Lieblingsgedicht dieser Autorin, ich
möchte sie alle vorlesen. Auswendig lernen und aufsagen. Bes¬
ser noch, sie in ihrer Stimme hören, der einer Frau, die einmal
geschrieben hat: „Und ich bin so neugierig, was es alles gibt. Ich
liebe deine Augen, die manchmal ohne Zärtlichkeit sind. Deine
Augen aus Stein. Dann versuche ich, die Zärtlichkeit der Steine
zu ergründen.“
Nun komme ich nochmals auf den „Kurzen Heimweg“ zu
sprechen. Ich rühre an eine Stelle, die sich mit dem Anlaß dieses
Gedenkblattes verbindet, dem Abschied von Friedl Hofbauer, die
am 22. April in einem Ehrengrab der Gemeinde Wien beigesetzt
wurde, genau einen Monat nach ihrem Ableben. Ich will dafür
das federleichte Gewicht ihrer Autorität ins Treffen führen, mit
ihren eigenen Worte auftrumpfen: „Wenn ich einmal sterbe,
dann lade ich mir Freunde ein. Wir werden reden, und ich werde
sie beobachten. Ich werde mich an einer Nackenlinie erfreuen,
die sich gegen die helle Wand des Hintergrundes abhebt, selb¬
ständig, nicht dem Menschen zugehörig, der von ihr in diesem
Augenblick nichts weiß. Meine Freunde werden mich verstehen
und werden Manieren haben, wenn ich sterbe, die Trauer, daß
sie mich verlieren, wird (so hoffe ich) in ihnen sein, und so wer¬
den sie ihre Nackenlinie vergessen, ihre Sorgen um den schütter
werdenden Haarwuchs, um die Falten im Gesicht. Und mich
wird es freuen, weil ich sie eben darum liebe. Um des schütter
werdenden Haarwuchses willen. Um dieser Falten willen, die sie
mir kenntlich machen. Ich liebe ihren Kummer. Ich liebe den
Abgrund in den Augen meines Mannes, der zu viel Tod gesehen
hat. Der Tod färbt ab. — Ich glaube nicht an den Tod. Ich habe
nie an ihn geglaubt. Ich will ihn weder überlisten, noch will ich
vor ihm flüchten, ich weiß, daß es ihn nicht gibt.“