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Johanna Wieser

Ein Gespräch mit Renate Welsh

Es ist gut möglich, dass Sie Das Vamperl gelesen haben, die Ge¬
schichte über den kleinen grünen Vampir oder Johanna oder Das
Lufthaus. Oder eines der vielen anderen Bücher, die Renate Welsh
im Laufe ihres Schriftstellerlebens geschrieben hat- manche davon
haben einen Klassikerstatus erreicht. Bücher für Erwachsene hat
sie verfasst, vor allem aber Bücher für Kinder und Jugendliche.

Mit der lebendigen Erinnerung an den Roman Johanna - teils
der Namensgleichheit, hauptsächlich aber dem großartigen Text
geschuldet — betrete ich am 3. Dezember 2013 Renate Welshs
Wiener Wohnung, in der mir gleich das Arbeitszimmer auffällt,
das sich nach rechts hin öffnet — es ist über und über voll mit
Büchern, bis zur Decke hinauf. Später wird sie mir erzählen, dass
dies ein Luxus ist, über den sie sich immer wieder freut, dass aber
mehr Platz schön wäre, um ihn immer weiter zu füllen. Selten
habe ich es erlebt, dass sich ein Interview von Anfang an wie ein
Gespräch über Gemeinsamkeiten gestaltet.

Unser Weg führt uns vom Arbeitsraum zur Küche, wo sie Tee
für mich und Kaffee für sich zubereitet. Auf einem Tablett, das
cher wie ein Bilderrahmen aussieht, trägt sie unsere Getränke
ins Wohnzimmer. Ich setze mich zu ihr und wir beginnen uns
zu unterhalten.

„Frau Welsh, in Ihren Jugendbüchern begeistert mich, wie Sie es
schaffen, Sprache so zu verwenden, dass sie simplifiziert scheint.
So, wie Jugendliche vielleicht reden.“

„Ich glaube, es ist nicht einmal simplifizieren, es ist eine Frage
von konkretisieren.“

Wie findet man die richtige Sprache, um die Belange von Kin¬
dern und Jugendlichen zu bearbeiten? Wie hat sie es geschafft,
in so vielen Büchern den richtigen Ton zu treffen? Was meint sie
mit konkretisieren?

„Wenn du sagst, ich darf nicht in Verallgemeinerungen flüchten,
sondern muss sehr konkret sein, dann darf nichts verwaschen sein.
Es müssen Zustände und Beobachtungen schr akkurat sein, sehr
greifbar und sinnlich dargestellt. Dann sind sie stimmig. Dann
bekommen sie vielleicht eine Form von Unmittelbarkeit oder
von Erdung.“

Wenn Frau Welsh mir von ihren Erfahrungen mit dem Schreiben
erzählt, von ihren Erfahrungen mit Sprache, dann ist sie selbst
sehr konkret und spricht mit den Worten einer Schriftstellerin,
der man anmerkt, dass sie den langen Weg des Schreibenden
beschritten hat, der sich manchmal selbst im Weg steht, wenn er
„im Kopf hat, was ihm alles über das Schreiben durch den Kopf
geht“, wenn er „einen Text verfasst, ohne etwas Lustvolles dabei zu
verspüren“, wenn er „ein gewisses Maß an Naivität verloren hat.“

Ende 2013 wurde „Mit einem Fuß auf zwei Beinen stehen“ ver¬
öffentlicht. Renate Welsh hat dafür eine Auswahl an Texten ge¬
troffen, die in von ihr betreuten Schreibwerkstätten der VinziRast
entstanden sind. Die Teilnehmer waren Bewohner dieser sozialen
Einrichtung, sie sind ehemalige Obdachlose.

„Die VinziRast bietet ungefähr 50 Menschen jede Nacht ein

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Bett, ein warmes Abendessen, ein Frühstück. Aber das ist nicht
die eigentliche Herausforderung. Wir wollen den Menschen, die
zu uns kommen, ohne Urteil, Vorurteil und Erwartungshaltung
begegnen. Wir haben Achtung vor ihrem Schicksal, von dem
wir nicht wissen, ob wir es unter den gleichen Voraussetzungen
besser meistern könnten.“ (Aus dem Vorwort von Cecily Corti,
Gründerin der VinziRast).

In der VinziRast leben Menschen, die auf den verschiedensten
Wegen in der Obdachlosigkeit gelandet sind: seien es Süchte,
Krankheiten, widrige Lebensumstände, die Flucht aus Krisen¬
gebieten oder gebrochene Herzen gewesen.

Die Brücke ist gebrochen.
Wenn ich daran denke,
bekomme ich nur Kopfweh.
Ich hab damals mein Leben
hinter mir gelassen.

Und aus.

Ein Gedicht von Günther Krippel. Er sagt: „Ich habe Menschen
vertraut, die meine Gutmütigkeit missbrauchten, und ich habe
viel daraus gelernt. Jetzt traue ich nicht einmal mir selbst“, und
vielleicht gibt es gar nicht mehr zu sagen.

Oder Norbert Weisz mit seinem Beitrag:
Die hier im Raum sind und etwas versprochen
und nicht gehalten haben, stehen auf!

Ich glaube, ich könnte mich in dreifSig Jahren
nicht mehr setzen.

Dann könnt ihr mich im Stehen beerdigen.

Sein Leben „bestand nicht nur aus Drogen, Alkohol und Sons¬
tigem. Ich ließ alles schleifen (...) und ich bin zur Einsicht ge¬
kommen, dass dies der falsche Weg war.“

Oder Heinrich K., der „immer wieder durchaus erfolgreich
(war), leider ganz besonders, wenn es darum ging, mir selbst ein
Haxl zu stellen.“

Zuerst werde ich wach.
Danach werde ich zornig.
Später nehme ich

meine Medizin

und finde die
Morgenstunden

völlig zu früh.

„Vor dem weißen Papier, vor dem Kampf mit dem eigenen
Drachen bist du einsam, da kann dir auch niemand helfen“,
sagt Frau Welsh.

Das Hinausgehen und Arbeiten mit Gruppen ist einer der Wege,
sich aus dieser Einsamkeit zu lösen: dem Schreiben eine soziale
Komponente hinzufügen, eine Öffnung.

„Wenn du mit Gruppen arbeitest, hast du schon das Gefühl,
die sind ein bisschen weniger trostlos rausgegangen, als sie reinge¬
kommen sind. Da hast du für heute deine Existenz gerechtfertigt,
hast etwas zurückgegeben.“

Dass das wirklich funktioniert, bemerkt Renate Welsh in jenen
Momenten, in denen sie Resonanz bekommt. Wenn sie spürt,
dass einer sich freut, dass ein anderer bemerkt hat: Der hat eine