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Anja Braunwieser
Transit in Doha

Ich sitze in der Raucher-Zone des Flughafens
Doha hinter den Zugängen zu Gate 7 und 8.
Die Wände des Raums tragen einen Farbton,
der zwischen gelb und ockerbraun liegt. Sie
wirken belegt, fast ölig. Dank der unschmei¬
chelhaften Beleuchtung sieht jeder, der sich
hier aufhält, irgendwie fahl und anämisch
aus. Ich bin auf der Rückreise von Bangkok.
Das letzte Mal war ich hier vor zwei Jahren.
Damals war ich aufdem Weg nach Singapur.
Ein weiteres Jahr zuvor hatte ich in Doha
einen Aufenthalt von fast acht Stunden,
anschließend flog ich nach Kathmandu. Mir
geht das mit dem Fliegen oft zu schnell. Man
fährtvon Wien nach Schwechat, flaniert ein
bisschen durch die Duty Free Shops, steigt
in die Maschine, isst, was man hier an Bord
unter Abendbrot versteht, gönnt sich zum
Nachtisch ein, zwei Schlaftabletten, klemmt
seine Glieder schmerzhaft zwischen die Sitze,

kommt einige Stunden später wieder zu sich

und steht dann schwer umnachtet in einer Fremde, die Doha heißt.

Genaugenommen weiß ich kaum etwas über Doha. Ich kenne nur
den Flughafen. Ich weiß, dass es keinen Sinn macht, irgendetwas
im Duty Free zu kaufen, weil der Umwechslungskurs so ungünstig
ist. Ich weiß, dass man immer nach Zucker fragen muss, wenn man
im Erdgeschoss einen Kaffee bestellt, weil man ansonsten diesen
entsetzlichen Sirup gereicht bekommt. Ich weiß, wo man hier
rauchen kann. Ich klammere mich an dieses Wissen, weil es mich
in Zusammenhang mit dem bringt, was hier vor sich geht, denn
selbst wenn alles planmäßig verläuft, den Anschluss bekommt man
ja doch nie ganz.

Als ich damals nach Nepal unterwegs war, saß mir in diesem
Raucherraum eine Gruppe von vier oder fünf Männern meines
Alters gegenüber und alle glotzten mich unverhohlen an. Sie waren
sicher gut zwei Meter von mir entfernt, nichtsdestotrotz roch ich
sie. An der Aufschrift des Passes, den einer der Männer in der Hand
hielt, konnte ich erkennen, dass es sich um Pakistani handelte. Ich
erinnerte mich einmal gelesen zu haben, dass neunzig Prozent der
Arbeiter in Katar Gastarbeiter aus Nepal, Indien, Pakistan und
anderen Ländern Asiens seien. Katar wurde in diesem Artikel als
moderner Sklavenstaat bezeichnet. Die Arbeiter müssten für einen
Hungerlohn bis zu fünfzehn Stunden am Bau stehen und würden
in Baracken untergebracht, in denen es nicht einmal fließendes
Wasser gebe. Ich dachte an die Bausstellen, die ich Jahre zuvor in
Dubai geschen hatte. Die Rohbauten waren nachts beleuchtet
gewesen, und so konnte man die verzerrten Schatten der Arbeiter
erkennen, wie sie in dreißig Meter Höhe ungesichert auf Stahlträger
einschlugen. Tagsüber sah ich diese Arbeiter oftzusammengekauert
am Straßenrand schlafen. Im Hotel, in dem ich damals wohnte,
gab es morgens immer die Gulf News. Darin las ich, dass sich auf
der Strecke zwischen Ra‘s al-Chaima und Dubai viele Gastarbeiter
gezielt vor ein Auto werfen, da ihre Familien daraufhin eine Versi¬
cherungssumme ausbezahlt bekommen und diese weitaus héher sei
als der Betrag, den diese Arbeiter lebend je erwirtschaften könnten.
Das am meisten Verstörende war, dass der Artikel offenbar eher als

Verkehrsmeldung gedacht war.

Ich wusste natürlich nicht, wer diese jungen Männer in der Raucher¬
Zone waren, was sie arbeiteten oder ob sie je daran gedacht hatten,
sich vor ein Auto zu werfen. Mir war es unangenehm, dass sie mich
so offen anstarrten, und da meine Zigarette ohnehin ausgeraucht
war, beschloss ich zu gehen. Aufdem Flughafen Doha befindet sich
neben dem Raucherraum die „Moschee für Herren“, ein schlicht
ausgestatteter Gebetsraum, der vom restlichen Areal mit einer Glas¬
front abgetrennt ist. Die Männer sitzen dort in Gruppen auf dem
Boden und unterhalten sich, manchmal schläft jemand ein oder
geht kurz weg, um zu telefonieren. Ich beobachtete sie eine Weile
unauffällig über ein Buch hinweg, das ich vorgab zu lesen. Nachdem
sich in der „Moschee für Herren“ nichts Nennenswertes zutrug,
beschloss ich doch noch einmal in den Duty Free Shop zu gehen.
Ich sollte in Nepal ein paar Tage in einem Kinderheim für Waisen
leben. Süßigkeiten mitzubringen wäre bestimmt nicht ganz falsch.
Rückblickend erscheint es mir allerdings als ziemlich gedankenlos,
in einem Land, das so arm ist, dass eine Zahnbürste als Statussymbol
gilt, Mars Celebration Boxes an Waisenkinder verteilt zu haben.
Manche von ihnen hatten sich sogar die Verpackung der einzelnen
Schokoriegel aufgehoben und wie kleine Poster an die Betten geheftet,
in denen sie zu dritt schliefen. Diese Waisen hatten Glück gehabt.
In den Tempelanlagen von Pashupatinath habe ich Kinder nach
Feuerbestattungen in den Fluss Bagmati springen schen, um nach
Goldzähnen oder anderen noch verwertbaren Überresten verbrannter
Leichen zu tauchen. Viele von ihnen schnüffelten Klebstoff. Das
soll gegen den Hunger helfen.

Man muss in Nepal nicht unbedingt Waise sein, um kein Glück zu
haben. Manche Familien sind derart verarmt, dass sie sich gezwungen
sehen, ihre Töchter über fragwürdige Organisationen nach Indien
zu schicken, damit sie dort arbeiten und ihren Eltern nicht weiter
auf der Tasche liegen. Dass dieses Arbeiten in den meisten Fällen
Prostitution bedeutet, wird den Familien vorenthalten. Wenn es
den Mädchen gelingt zu fliehen oder sie nach ein paar Jahren nach
Hause geschickt werden, weil sie vom und für das Gewerbe bereits

Mai2014 47