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England eine Alternative? Zumindestens hat Alexander ein Einkommen, und ich werde mich dort als Fotografin durchschlagen. Eva Schmidt-Kreilisheim studierte Germanistik und Slawistik in Wien; viele Jahre Lehrerin; hat sich mit Fragen der Schulentwicklung im Allgemeinen, der Methodik und der Didaktik im Besonderen befasst. Seit 2005 Deutsch-Kurse für MigrantInnen und regelmäßige Abhaltung von interkulturellen Schreibwerkstätten für AutorInnen in Kooperation mit dem Exil-Verlag und den Wiener Volkshochschulen. Zahlreiche Präsentationen von Werkstatttexten. Publikationen: Entlang. Anthologie von Exilwerkstatttexten (Zusammenstellung, Wien 2008); Weg-Kreuzungen. Zwischenkulturelle Texte. Wien: Edition Volkshochschule (Herausgeberin 2011). Alexandra Moskovchuk Zwei Briefe Wien, 27. Jänner 2014 Liebe Edith, danke. In finde, dass du, auf deine persönliche Art, der Gesellschaft einen Spiegel vorhältst. Dabei steht im Zentrum deiner Kompositionen immer die wahre Würde des Lebens und jeder einzelnen Person; das Potential, das in jedem Menschen steckt, und durch wohlwollende Begegnung entfaltet werden könnte, ist als Ahnung immer vorhanden; eine Tragödie, dass es so oft verschüttet wird. Klar verbindest du die ersten Schritte eines Kindes und seiner unbewussten Wanderung durch eine Erziehung mit einem erwachsenen, entscheidungsschweren Weg, der sich in sozialen Standpunkten bündelt. So entsteht Gesellschaft. Und so entsteht auch ein Großteil der Probleme, vor denen wir uns heute, wie damals wiederfinden. Danke, dass du dich den Blick in den Spiegel getraut hast. In den zeitlosen Gesichtern deiner Porträtierten sehe ich dieselben Fragen, die mir heute aus dem Fenster entgegenwinken. Es ist essentiell in unserer heutigen, oberflächlichen Welt, in der Augenschein oft mehr zählt als Substanz und Gefühl, mit klarem Blick und Hand und Fuß die eigene Bilderwelt zu formen. Was hat sich verändert im Laufe der Jahre, die das Alter deines Schaffens beschreiben? Was ist geblieben? Die Zahl der Menschen, ihrer Probleme und Fragen wächst mit jedem Jahr. Umso wichtiger, Selbstverantwortung für die vielen möglichen Antworten zu übernehmen und jede Entscheidung bewusst zu komponieren... in vollem Bewusstsein über die berauschende Wirkung von Licht und Schatten und die Macht des richtigen Augenblicks. Diese Attitüde ist mein erwachsener, entscheidungsschwerer Weg. Ein Geschenk, auf diesem Weg Menschen zu begegnen, deren Schaffen einem hilft, das eigene Potential zum Wohle aller weiter entfalten zu können. Danke. Alexandra Liebe Edith! Bin auf meinem Weg durch die Stadt über eines deiner Fotos gestolpert. In der aktuellen Ausgabe, zu diesem Artikel... du erinnerst dich. Ehrlich, der Inhalt des Beitrags war mir egal. Ich ertappte mich dabei, wie ich in die Augen derer geschaut habe, die du abgelichtet hast, und nach deinen Augen suchte. So viele Menschen hast du der Welt gezeigt, namenlosen Gestalten ein Gesicht gegeben. Aber wo warst du in diesen Augenblicken, Edith? Ich ertappte mich dabei, dass es mich traurig stimmte, zu realisieren, dass in unserem gemeinsamen Kampf, so eng Seite an Seite, ich nie den Menschen sehen durfte, der du wirklich bist. Dich nie fragen konnte, wie du dein Feuer nährst und was am Grund dieser Augen ist, dieser Augen, die du mit der Kamera immer verdeckst, um dich in den Geschichten anderer zu finden. Was war dein persönlicher Kampf, Edith? Was war der Kampf, bei dem ich dir nicht beistehen durfte? Du fehlst mir, Edith. So oft sind wir nebeneinander gestanden und haben uns doch in verschiedene Richtungen bewegt. Es tut mir weh, zu realisieren, dass wir immer so beschäftigt waren, mit unseren Idealen, mit unserer Zeit, mit den Verbrechen, die passieren... dass wir durch die vielen Blicke in gesellschaftliche Spiegel vergessen haben zu schauen, wer wir sind, wer ich neben dir bin und du neben mir. Ein Spiegel nur für uns hätte seinen Preis gehabt, gewiss. Aber vielleicht wäre er es wert gewesen. Es wäre keine bourgeoise Laune, wie du befürchtet hattest... es wäre ein Blick in unser Inneres gewesen, damit unser Feuer nicht nur für die Gemeinschaft, sondern auch für uns brennt, Edith. In Liebe, Alexander Alexandra Moskovchuk, geboren nahe Donezk, studiert in Wien Medizin, Preisträgerin des Jugendpreises des Exil-Literaturwettbewerbes. August 2014. 25