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bekannt. Diese Performances hatten ihre eigene Qualität und
schafften unvergessliche Stunden.

Am 21. Juli dieses Jahres ist Jürgen Walter nach einer schweren
Krebserkrankung gestorben, zuhause, in seinem Atelier. In den
Armen seiner Frau, umgeben von Freunden und Familienangehö¬
rigen. Nun liegt er auf dem wunderschönen Alten St.-Matthäus
Kirchhof in Berlin-Schöneberg. Jürgen Walter, der zu seinen Leb¬
zeiten nie wirklich bekannt wurde, liegt nun direkt neben den
stilvollen Grabstätten der Gebrüder Grimm und dem pompösen
Familiengrab des berühmten Bankiers und Unternehmers aus
dem Kaiserreich, Adolph von Hansemann. Was Jürgen Walter an
Geschäftssinn nicht unbedingt hatte oder haben wollte, das hatte
er aber reichlich an Phantasie und andersweltlichen Vorstellungen.

Tanja Dückers, geb. 1968 in Berlin, Schriftstellerin, Publizistin,
Kunsthistorikerin. Zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen
die Prosawerke „Spielzone“ (1999), „Cafe Brazil (2001), „Himmels¬
körper“ (2003), „Der Längste Tag des Jahres“ (2006) und „Hausers
Zimmer“ (2011), der Essayband „Morgen nach Utopia“ (2007),
das Theaterstück „Grüße aus Transnistrien“ sowie die Lyrikbände
„Luftpost“ (2001), „Mehrsprachige Tomaten“ (2004) und „Fund¬
büros und Verstecke“ (2012). Sie schreibt für verschiedene Zeitun¬
gen und Magazine, u.a. seit 2008 monatlich als Essayistin in den
Bereichen Politik und Gesellschaft für die ZEIT Online, zuvor war
sie Kolumnistin der „Frankfurter Rundschau“ und des Magazins
„bücher“. Seit 2012 stellt sie im rbb (Rundfunk Berlin-Brandenburg)
in der Sendung „Die Literaturagenten“ neue Bücher vor. Regelmäßig
schreibt sie auch Kunstkritiken, derzeit für „Berliner Morgenpost“
und „Jungle World“. Für ihr Schaffen hat sie zahlreiche Preise und
Stipendien erhalten. Sie lebt nach vielen Auslandsaufenthalten, die
sie bevorzugt nach Osteuropa führten, heute mit ihrer Familie in
Berlin. (www.tanjadueckers.de)

Jürgen Walter: Der Schraubenesser. Detail

Zehra Gyrak — Zwei Gedichte

KRANKHEITSBILD

Sie hat ihn gekränkt

er hat sie gekränkt
gemeinsam haben sie

ihre Liebe gekränkt

jetzt schauen sie zu

wie diese sich merklich macht
durch ein Naturwunder
geheilt werden will

das Fieber steigt ihr

bei der Vorstellung

von Schwindsucht

kalt über den Rücken

der Rücken lässt Gänse

auf seiner Haut marschieren
bis sie an einen See geraten
der durch Angst entstanden ist
die Gänse gehen baden

sie frieren

sie erkälten sich

zwei Rücken

schauen sich an

und wünschen gute Besserung

Aus: „Vogel auf dem Rücken eines Elefanten“

DER KRACH DIE STILLE DAS FEUERZEUG

Mein seriell angelegtes Werk

betrachtet Geräusche wie helles Licht
wobei das Augenschließen nicht von Nutzen
ich schweige und höre verstummen

das Ringsumher

ich stecke mir eine Zigarette an

weil ich voller Unvernunft

so nur

des Tages Gefahren ertragen kann

keine Granate trifft mich

kein Hungerleid starrt mich an

kein Diktator lässt mich zur Besinnung kommen
keine Naturkatastrophe fegt mich hinweg
ich höre davon und gehe schlafen

der Belag auf meiner Zunge

falls ich wieder aufgewacht

macht mich vergessen die schlaflose Nacht
in der ich mich gekratzt

dort wo es andere tödlich juckt

ich frühstücke und mache Krach

mit meiner puren Anwesenheit

ich halte meinen Mund

und bin stille denn ich bin satt

ich achte darauf

was andere machen

mit ihrem Feuerzeug

sammle Spucke zum Löschen

Aus: „Leibesübungen“

November 2014 23