Univ.-Prof. Dr. Jürgen Doll, emer. Professor für deutsche Li¬
teratur- und Kulturwissenschaft, Université Paris Est Créteil
(UPEC). Publikationen: Theater im Roten Wien. Vom sozialde¬
mokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers,
Wien-Köln-Weimar 1997; (Hrsg.) Judentum und österreichi¬
sche Literatur vom Vormärz bis zur Gegenwart, Poitiers 2000;
(Hrsg.) Erich Fried, Rouen, Austriaca, Juni 2001; (Hrsg.) Jean
Améry. De l’expérience des camps a |’écriture engagée, Pa¬
ris 2006; Exil antinazi, temoignages concentrationnaires, Paris
2008. Aufsätze zum Austromarxismus, zum politischen Thea¬
ter, zur Exilliteratur, zur österreichischen und deutschen Litera¬
tur des 19. und 20. Jahrhunderts.
Proletarische Gegenkultur? Zu Josef Luitpold Sterns Versuch,
das Konzept einer proletarischen Klassenkultur auf sozialde¬
mokratischer Basis zu begründen
In der Sowjetunion und den verschiedenen kommunistischen
Parteien, besonders der KPD, gab es zahlreiche, inzwischen gut
dokumentierte und untersuchte Versuche, eine proletarische
Klassenkultur auf marxistisch-leninistischer Basis zu begrün¬
den. Die Bemühungen Luitpold Sterns (und einiger seiner Mit¬
arbeiter in der Bildungszentrale), eine solche auf der Grundlage
des austromarxistischen Menschenbilds zu entwickeln, schei¬
nen, so weit aus der einschlägigen Literatur ersichtlich, der ein¬
zige derartige Versuch aus sozialdemokratischer Perspektive zu
sein. Dieser richtete sich, zwar implizit, aber deutlich, gegen die
der liberalen Tradition verpflichtete Position Bachs, der von der
klassenübergreifenden Sendung der (insbesondere deutschen)
Kultur überzeugt war und diese den Arbeitern zugänglich ma¬
chen wollte. Er unterscheidet sich aber auch klar von Ernst Fi¬
schers Avantgardismus und dessen explizit politisch-operativer
Position Anfang der 1930er Jahre. Im vorliegenden Beitrag soll
die Frage nach der theoretischen Stringenz der von Luitpold
Stern vertretenen Auffassung gestellt und deren Auswirkung
auf die praktische Kulturarbeit untersucht werden.
Mag. Paul Dvoräk, Historiker. Derzeit Projekt zur namentli¬
chen Erfassung der Opfer von Repressionsmaßnahmen des
Austrofaschismus. Arbeitet an einer Dissertation über die Bri¬
tische Labour Party und die österreichische Sozialdemokratie
im Vergleich. Publikation: Die Geschichte der österreichischen
Sozialdemokratie 1930-1938. Ein Forschungsüberblick. In:
Florian Wenninger/Lucile Dreidemy (Hg.) (2013): Das DollfuB/
Schuschnigg-Regime 1933-1938, Wien, 17-40.
Ungleiche Schwestern — Die Beziehungen zwischen der bri¬
tischen und der österreichischen Arbeiterbewegung in der
Zwischenkriegszeit
Die österreichische und die britische Arbeiterbewegung, obwohl
scheinbar sehr gegensätzlich ausgerichtet, hat sich seit dem
späten 19. Jahrhundert gegenseitig beeinflusst. Von Andreas
Scheu über Otto Bauer bis zu den sozialdemokratischen und
kommunistischen Emigranten im Großbritannien der 1930er
und 1940er Jahre hat die österreichische Arbeiterbewegung
immer wieder Impulse durch ihre britischen Genossen erfah¬
ren. Umgekehrt galt das „Rote Wien“ für die Labour Party als
Vorbild und wurde das Schicksal der österreichischen Linken
nach 1934 als Menetekel gesehen, das Generationen von so¬
zialistischen und Labour Politikern beeinflusste und sowohl als
Warnung vor den Gefahren des aufkommenden Faschismus
als auch vor einer zu „revolutionären“ Politik verstanden wurde.
Mag. Alexander Emanuely, geboren 1973, studierte Politik¬
und Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Doktorat an
der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Wissenschaftli¬
cher Mitarbeiter der Theodor Kramer Gesellschaft. 2006-2009
wissenschaftlicher Mitarbeiter von ESRA - psychosoziale Am¬
bulanz für Überlebende der NS-Verfolgung. 2001 Gründer
der österreichischen Sektion der österreichischen Sektion der
Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus
(LICRA). Zuletzt erschienen: „Ausnahmezustand. Jura Soyfers
Transit“ (2013).
Mag.a Dr.in Margit Franz, Wissenschaftliche Projektmitarbeite¬
rin bei CLIO-Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit Graz &
Institut für Geschichte der Universität Graz, Fachbereich Zeit¬
geschichte. Aktuelle Literatur: Fritz Kolb, Leben in der Retorte.
Als österreichischer Alpinist in indischen Internierungslagern.
Hrsg. von Margit Franz und Karl Wimmler. Graz 2014. (Novem¬
ber 2014) Margit Franz, Heimo Halbrainer (Hg.), Going East
— Going South. Österreichisches Exil in Asien und Afrika. Graz
2014.
Ansätze der sozialistischen Reformpädagogik und ihrer Su¬
che nach dem „Neuen Menschen“ 1918 bis 1934 - anhand
der Biografie von Fritz Kolb
„Wir dachten damals, daß mit der Erziehungsreform und mit
der Sozialreform auch der soziale Friede kommen werde; und
daß insbesondere die Verbrechen verschwinden würden. Wir
formulierten es wohl nicht so — aber wir dachten, die Menschen
würden besser werden. Ich glaube noch heute, daß wir recht
hatten: Die Menschen waren auf einem guten Weg. Es war die
Vernichtung der Demokratie (1934) und der Einmarsch Hitlers
(1938), die diesen Weg verschütteten“, schrieb Karl Popper
1981 im Vorwort zu Fritz Kolbs Biografie „Es kam ganz anders.“
Fritz Kolb war Reform- und Individualpädagoge, Psychologe,
Lehrer, Erzieher der Kinderfreunde, der Naturfreunde und Ro¬
ten Falken sowie bildungspolitischer Theoretiker. Einige seiner
pädagogischen Stationen sollen Markierungen durch die weite
reformpädagogische Landschaft des Roten Wien sein: Schön¬
brunner Kinderfreundeschule, die Arbeitsgemeinschaft sozia¬
listischer Erzieher und die Individualpsychologische Versuchs¬
schule.
Der „Neue Mensch“ stellte das Hauptziel aller sozialistischen
Erziehungsbemühungen der Ersten Republik dar, welches
nicht revolutionär über den Weg des Klassenkampfes, sondern
evolutionär erreicht werden sollte.
Prof. Vera Freud wurde 1928 in Deutschland geboren. Ihre
frühe Kindheit verbrachte sie in Spanien und Frankreich. Ihr
Vater war Jude und Überlebender der nationalsozialistischen
Vernichtungslager. Ihre Mutter schloss sich dem spanisch-fran¬
zösischen Widerstand in Frankreich an und überlebte ebenfalls
den Krieg. Vera Freud verbrachte den Zweiten Weltkrieg grö߬
tenteils in einer Reihe von Kinderheimen für Opfer der Nazi¬
verfolgung. Nach dem D-Day schloss sie sich noch für einige
Monate der Resistance an.
Nach dem Krieg lebte und studierte sie in Paris, wo sie Wal¬
ter Freud kennenlernte. Die beiden heirateten und zogen nach
Südafrika, wo ihre beiden Söhne zur Welt kamen. Das inakze¬
pable Apartheidsregime Südafrikas bewog sie, nach Kanada zu
übersiedeln, wo Vera Freud ihre Studien wiederaufnahm und
schließlich am PSBGM (Protestant School Board of Greater
Montreal) zu unterrichten begann. Nach dem tragischen Ab¬
leben ihres Ehemannes ging sie frühzeitig in Pension, widmete