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Adolf Opel
Tage... Bücher...

Zweimal Befreiung

So sprach man...

Aus dem Tagebuch einer Wienerin, Jahrgang 1899, aus großbür¬
gerlichem Milieu, höhere Töchterschule, Beamtin bei den Wiener
Verkehrsbetrieben, frühpensioniert, Mutter zweier Söhne, für die
das Tagebuch bestimmt ist:

20.11.38, im Prater: Adolf (drei Jahre alt) bekommt einen Haken¬
kreuz-Luftballon, voll Freude darüber küßt er das Hakenkreuz ...

7.]IV. ... mit den Buben Ring-Mariahilferstraße und bewundern
überall den prächtigen Fahnenschmuck, die hohen Pylonen und
nicht zuletzt die begeisterten Schriften: „Wir danken unserem
Führer mit Ja“, „Dem Retter Österreichs aus schwerster Not unser
Ja“, „Aus Not und Leid zu Brot und Freud“...

9.IV.38: Letzte herrliche Führerrede um 20 Uhr Nordwest¬
bahnhalle vor der Wahl.

10.1V.38: Wahltag. Nachmittags dürfen die Buben mit einem
schön geschmückten Propaganda-Lastauto zum Schafberg-Aufstieg
fahren. Sie rufen begeistert: „Ein Volk - ein Reich - ein — Führer!
Sieg Heil!“

11.IV.38: 99 3/4 fiir unseren Führer!

15.IV.38: in GieShiibl, auf Sommerfrische: ... als die Kuh brüllt,
verzieht Klein-Adolf zuerst sein Miindchen zum Weinen, aber
dann ergreift er einen Stecken und droht dem Tier. lm Komman¬
doton: „Die Kuh soll auch Heil Hider sagen! Sie will! Sie muß!“

8.IV.45: Radio berichtet: Gauleiter Scharitzer ruft alle Wiener
auf: „Wien wird zum Verteidigungsbereich, uns hilft jetzt nur
Tapferkeit.“

9.IV.45: Radio meldet: Die Russen erreichten bereits Kloster¬
neuburg, Nußdorf. Besonders harte Kämpfe beim Westbahnhof.

16.IV.45: Die Restbesatzung von Wien wurde vom übermäch¬
tigen Feind überwältigt.

Seit 7.[V: hielt die tapfere Besatzung stand, trotz heftiger Stra¬
ßen- und Häuserkämpfe.

Wir haben keine Heimat mehr. Unser heißgeliebtes, fröhliches,
singendes Wien trauert,vom Feind verwüstet und verstümmelt ...

1.V.: Radio meldet um 22 Uhr: Um den Führer gescharrt,
kämpft die Besatzung von Berlin ihren heroischen Kampf.

2.V., 20 Uhr: „Unser Führer erlitt den Heldentod. Sein Opfertod
verpflichtet. Das deutsche Heer und das deutsche Volk wird in
seinem Sinne weiterleben. Heil Adolf Hitler!“

Unser Führer ist nicht mehr. Mit seinem Tode fällt in uns eine
hohe, ideale Welt in Trümmer!

So sprach man im „Nazi“-Radio!!!

8.V.45: Siegesfeier der Alliierten.

9.V.: Es kommt russisches Militär. Militär zieht ab, es kommen
Banden, die plündern ...

(Anmerkung: Bei den nach 1945 „kompromittierenden“ Pas¬
sagen steht jeweils — offenbar erst später hinzugefügt — daß die
Formulierungen vom „Nazi-Radio“ übernommen wurden.)

18 _ ZWISCHENWELT

Träumereien aus einem abgehackten Kopf

In seinem Buch „Zeuge einer Zeit. Briefe aus dem Exil“, 1964
veröffentlicht (eine Neuausgabe unter dem Titel „Auch heute
noch nicht an Land“ erschien 1993), hat der Dramatiker, Dichter
und Essayist Franz Theodor Csokor die dramatische Zeitspanne
zwischen 1933 und 1945 aus seiner Sicht dokumentiert — der
Sicht eines Emigranten: Er hätte es sich richten können mit den
neuen Machthabern — wie so viele andere — entschlof sich aber,
seiner Uberzeugung und seinem Gewissen zu folgen. Jahrgang
1885, aus großbürgerlichem Milieu, Gymnasium, dann das von
Schulbrüdern geleitete St. Norbertusheim („da begann ich nun
schön langsam meinen Glauben zu verlieren“, wie er in einem
bisher unveröffentlichten Tagebuch festhält); Universitätsstudium
(Philosophie, Germanistik, auch Psychiatrie u.a. bei Wagner¬
Jauregg); Schreiben für das Theater, 1913 erste Aufführung eines
seiner Stücke in Budapest. 1914 von der allgemeinen Kriegsbe¬
geisterung angesteckt, bald durch die erlebte Realität des Krieges
erniichtert und von da an leidenschaftlicher Pazifist. Von den einen
als „im Herzen königstreuer Katholik“ eingestuft, von anderen
verdächtigt (vor allem nach 1945), den Kommunisten nahezuste¬
hen, wird Csokor in den Zwanzigerjahren zu einem Exponenten
des literarischen Expressionismus und erobert sich die Bühnen
auch des demokratischen Deutschland. 1933 zeichnet sich ein
rasches Ende von Csokors so erfolgreich begonnener Karriere auf
den deutschen Bühnen ab: Beim Internationalen PE.N.-Kongreß
in Dubrovnik 1933 protestiert er - zur Indignation der meisten
seiner deutschen PE.N.-Kollegen — gegen die Bücherverbren¬
nungen durch die neuen Machthaber und deren „Kulturpolitik“.
„Man muß sich eben entscheiden: gutes Geschäft — oder gutes
Gewissen? Ich bin für das zweite — auf jede Gefahr hin, selbst
auf die einer Emigration, falls der braune Zauber auch bei uns
einmal Fuß fassen sollte!“ Was Csokor in einem Brief vom Juni
1933 an Ferdinand Bruckner als cher fernliegende Möglichkeit
ausspricht, tritt wenige Jahre später dann tatsächlich ein. „Es ist
dort das Reich des Antichrist angebrochen“, hatte Egon Friedell
aus Deutschland an seine Wiener Freunde Csokor und Lina Loos
berichtet, „jede Regung von Noblesse, Frömmigkeit, Bildung,
Vernunft wird von einer Rotte verkommener Hausknechte auf
die gehässigste und ordinärste Weise verfolgt ...“ Bereits seit
1933 hatte Csokor gemeinsam mit seinem Freund Ödön von
Horväth in weiser Voraussicht begonnen Englisch zu lernen.
„Es ist nicht zu früh, sich mit den schauerlichen Geschehnissen
jenseits unserer Grenzen auseinanderzusetzen. Als ob man sich erst
rühren dürfe, bis das eigene Haus in hellen Flammen lodert! Dazu
wohnen wir dem Feuer viel zu nahe, und schon längst bereiten
sich bei uns Brandstifter vor, die vom Ausland ihre Weisungen
beziehen - vom Geld garnicht zu reden ...“, rät Csokor seinen
die Lage noch optimistisch schenden Freunden.

Bevor er sich zur freiwilligen Emigration entschließt, ist ihm
noch ein letzter und ganz großer Erfolg gegönnt: Das Wiener
Burgtheater bringt sein wohl erfolgreichstes Stück zur Aufführung,
den „3. November 1918“, ein Stück über den Zerfall der alten