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kam es jedoch nicht, weil sich in Berlin die Dinge ganz anders
entwickelten, als Kortner gedacht hatte.

Kein Theater in Berlin

Mit all diesen Plänen für Iheater und Film im Reisegepäck flog
Kortner schließlich Anfang Dezember 1947 von New York nach
Amsterdam und von dort weiter nach Zürich, wo er auf die Reise¬
genehmigung nach Berlin wartete. In Zürich trafer u.a. Brecht”
und den Bühnenbildner Caspar Neher, der ihm versprach, das
Kostüm für seinen Philipp im Don Carlos zu entwerfen.

Nur ein längeres Telefongespräch mit Benno Frank ließ Kortner
ahnen, dass es doch noch einen „dunklen Punkt“ gebe, denn Frank
erklärte dem darob verunsicherten Kortner, er solle zunächst in
West-Berlin am Hebbel-Iheater das Drama Trauer muss Elektra
tragen des amerikanischen Dramatikers Eugene O’Neill insze¬
nieren, wobei möglicherweise im Hintergrund die Idee stand,
Kortner zum Nachfolger des bereits schwer kranken Karl-Heinz
Martin zu machen:

Ich würde [...] eingeladen werden, eine beratende Position für das
gesamte amerikanisch kontrollierte Theater zu akzeptieren. Pommer
warte schon auf mich mit Ungeduld denn er habe eine Fülle von
Aufgaben für mich. Das Auftreten in einem nicht-amerikanischen
Sektor sei Gegenstand von Verhandlungen, die erst in Berlin geführt
werden könnten.”

Nach diesem Gespräch und auch weil die von OMGUS? für
Kortner ausgestellte „Travel Order“” ihm den Besuch Berlins
nur für 14 Tage bewilligte, hätten die Hindernisse, auf die er dort
stieß, als er schließlich am 21. Dezember 1947 in Berlin eintraf,
nicht mehr ganz unerwartet sein dürfen: „Vom Moment meiner
Ankunft an bis vorgestern war jeder Moment hier so unerwartet,
so absurd, so betäubend, dass es wirklicher Sammlung bedarf, um
darüber was sagen zu können,“ schrieb er seiner Frau:

Hättest Du geglaubt, dass 3 Tage vergehen würden, ohne dass ich
das Stadtinnere sehen würde? Dass ich hier mehr englisch spreche als
in Hollywood, mit mehr Amerikanern zusammen bin als in Ame¬
rika und dass mein Leben hier amerikanischer ist, als es je drüben
war? [...] Dass ich von der Station weg zu etwas genommen würde,
das OMGUS heifst (bedeutet: Office Military Government US)? Es
hält, was der Name verspricht. Ich nehme an, dass Du meinen Brief
aus Zürich bekommen hast, worin ich Dir über die telefonischen
Mitteilungen aus Berlin schrieb. Würdest Du es danach für möglich
gehalten haben, und nach alldem, was dem voranging, dass die erste
Mitteilung, die man mir bei OMGUS machte, war: jede Betätigung
als Schauspieler im deutschen Theater und Film eines amerikanischen
Bürgers bedeutet ‚trading with the enemy‘ und sei strafbar. Von dieser
Mitteilung bis zu einer freundlichen Situation vergingen 4 oder 5
OMGUS- Tage, wihrend denen ich von einem office und einem
officer zum andern wanderte.*°

Nicht nur, dass aus dem geplanten Gastspiel in Ost-Berlin
nichts wurde, auch das telefonische Angebot, am Hebbel-Theater
in West-Berlin zu inszenieren, löste sich in der Berliner Luft auf.
Nach dem Tod von Karl-Heinz Martin im Januar 1948 wurde
nicht Kortner, sondern der Regisseur Jürgen Fehling von der ame¬
rikanischen Militäradministration zum Nachfolger bestimmt, der
Kortner zwar als Schauspieler schr schätzte und ihn einlud, unter
seiner Regie die Hauptrolle in Wallensteins Tod zu übernehmen’,
jedoch bei einer Auseinandersetzung im Theater „eine schwer
entschuldbare, geschmacklose antisemitische Äußerung über den

Heimkehrer“ machte, die „sofort kolportiert wurde und durch die
Presse ging.“ Der zu Recht empörte Kortner war tief verletzt:

Unglücklicherweise bin ich in die Fehlingkrise hineingerissen wor¬
den, die so abscheulich war und übrigens noch ist, dass sie mir einiges
von dem ursprünglichen Elan, mit dem ich hergekommen, genommen
hat. Sie werden wahrscheinlich schon gehört haben, dass dieser Unflat
mich in einer Auseinandersetzung antisemitisch attackierte. [...] Die
Einstellung der Schauspielerschaft, deutlich beeinflusst von diesem
Ausfall gegen mich, war gegen ihn und einwandfrei. So war auch
der grofste Teil der Presse.”

Trotz des Skandals gab Kortner zunächst jedoch die Hoffnung
auf eine Mitarbeit im deutschen Nachkriegstheater nicht auf,
sondern bewarb sich bei der amerikanischen Militärbehörde für
die von ihm brieflich erwähnte „beratende Position für das ge¬
samte amerikanisch kontrollierte Theater“ mit einem in engli¬
scher Sprache verfassten ‚Memorandum‘ über den Zustand des
deutschen Theaters.” Darin erklärte Kortner, dass die deutschen
Regisseure und Schauspieler, die im „Dritten Reich“ geblieben
waren, keineswegs in ihrer Mehrheit Nazis gewesen seien, sondern
er verteidigte sie vielmehr gegen pauschale Verurteilungen:

Lam far from saying they are Nazis. Most of them are not, have never
been. I think the majority of the German theater people bravely stood
up under the terrible pressure of the Hitler regime. But subconsciously
something happened to them. You cannot live, work for and be among
maneaters with impunity, even if they should be weirdly devoted to
art and the theater in their own barbaric way. You cannot help being
influenced; particularly people of the theater cannot.

Denn der so oft angegriffene Kortner gehörte zu den „Versöhn¬
lern“ unter den Exilanten, schon in den USA hatte er jahrelang
gegen die „Haßkampagne“ gegen Deutschland gekämpft und
diejenigen Exilanten kritisert, „die alle Deutschen vernichten
wollten.“ In seinem ‚Memorandum‘ führte er allerdings weiter
aus, dass die Schauspieler „subconsciously“ noch von national¬
sozialistischer Ideologie geprägt seien und deshalb „guidance“
benötigten von denjenigen „who have not been infected by their
disease. [...] People who know them intimately, love them, remem¬
ber their days of mental health.“ Diese Aufgabe wollte Kortner
übernehmen und erläuterte, wie er sich seine Rolle vorstellte:

I could act as an intermediary between the two mentalities — an
intermediary who would be assured of the respect and welcome of
the German artists. I could lecture to them, practice with them, open
their minds to that other spirit, help them capture as much of it as
the great pre-Hitler tradition of German art will permit.

Der bislang nicht publizierte Text zeigt Kortners engagierten
Versuch, den in Nazi-Deutschland gebliebenen Kollegen zu helfen,
sich zu befreien von Nazi-Ideologie und kiinstlerischer Erstarrung,
um das Theater wieder zu der Bedeutung zu führen, die es in der
Weimarer Republik ausgezeichnet hatte. Aber alle Bemühungen,
Kortner eine Stellung im deutschen Theater zu verschaffen, blie¬
ben vergeblich. Die amerikanischen Militärbehörden erlaubten
Kortner, der amerikanischer Staatsbürger geworden war, keine
Mitarbeit in deutschen Theatern. Er durfte weder im Deutschen
"Iheater (Ost) auftreten, noch im Hebbel-Theater (West), er blieb
vom deutschen Theater zunächst vollständig ausgeschlossen. Für
die amerikanischen Behörden war er durch die Einladung nach
Ost-Berlin und sicher auch durch seinen engen Kontakt zu Brecht
im amerikanischen Exil politisch diskreditiert, denn schon in den
USA hatte das FBI Kortner vernommen wegen seiner Hilfe bei
der Einreise Brechts.”

September 2015 23