Geburtstag wieder aufgeführt wurde, wiederholte die Evangelische
Filmbühne die damaligen Vorwürfe:
Die Verlegung der beschriebenen faschistischen Umtriebe in das
Deutschland des Jahres 1948 ist unrealistisch und unglaubhaft. [...]
Die pathetische Simplifizierung, die Kortner betreibt, degradiert,
so wirkungsvoll sie am richtigen Ort angewandt sein könnte, den
Aussagewert. Mit Recht protestierte die akademische Jugend zur Zeit
der Erstaufführung gegen die aus dem Werk sprechende Verallgemei¬
nerung.”
Daraus spricht die ganze Selbstgerechtigkeit der Dagebliebenen,
die sich empörten, dass der Remigrant Kortner es gewagt hatte,
die Deutschen zu erinnern, zu mahnen und vor Gefahren der
zukünftigen politischen Entwicklung zu warnen.
Der große Beifall bei der Premiere des Films galt lediglich dem
berühmten Schauspieler und nicht dem Autor. Das deutsche
Kinopublikum lehnte ebenso wie die Kritiker Kortners These
vom Weiterbestehen antisemitischer Vorurteile in Deutschland
mehrheitlich ab, ja, der Film erreichte das breite Publikum erst
gar nicht, das auf Grund der negativen Kritiken wegblieb. Der
Ruf wurde geschäftlich ebenso ein Flop wie 1951 Peter Lorres
Film Der Verlorene, der bereits nach nur zehn Tagen aus den Kinos
verschwand.**
Die Aufnahme des Films in den USA, wo der Film unter dem
Titel The Last Illusion 1951 herauskam, war ebenfalls schr verhalten
wie Bosley Crowthers Rezension in der New York Times belegt, der
zwar den Konflikt interessant gestaltet fand, jedoch meinte, dass
Kortner mit dem ,,banal domestic plot“ zu viel Zeit vergeude.”
Enttäuscht über die mangelnde Resonanz beim Publikum war
auch der Regisseur Josef von Baky, der 1950 resigniert feststellte:
„Ich wollte damit [d.h. mit dem Film Der Ruf] wenigstens eine
Diskussion hervorrufen, die aber bedauerlicherweise gar nicht
zustande kam.“” Und Kortner resümierte später resigniert:
Der überwiegend große Teil des Filmpublikums hatte zwar keine
Gelegenheit [den Film] zu beurteilen, hielt sich jedoch an die ver¬
hetzenden Gerüchte über den Ruf und verurteilte ihn. Mit dem so
erreichten schlechten Ruf [war] der unsichere Grund für mein Zuhause
im Neu-Deutschland gelegt.”'
Bei der Werbung fiir den Film war Kortners Name als Autor
und Hauptdarsteller besonders hervorgehoben worden — und
wie brancheniiblich konnte er nach dem finanziellen Debakel
zunächst nur als Schauspieler im deutschen Film auftreten, erst
1954 konnte er seinen ersten deutschen Nachkriegsfilm selbst
inszenieren.”
Rückkehr auf das Theater: Donauwellen®
Zwei Monate vor der Premiere seines Films konnte Kortner in
München endlich auch sein Theatercomeback in Deutschland
feiern, und zwar als Autor und Regisseur seiner in den USA ge¬
schriebenen Komödie Donauwellen”‘, die am 15. Februar 1949
an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. Er hatte
sein Stück schon zwei Jahre vorher an seinen alten Freund, den
Regisseur Erich Engel geschickt”, der bis zum Spielzeitende 1947
Intendant der Münchner Kammerspiele war. Aber erst unter
dessen Nachfolger Hans Schweikart wurde die Uraufführung der
Donauwellen zum Auftakt einer langjährigen Zusammenarbeit
Kortners mit den Münchner Kammerspielen.”
Die dreiaktige Komödie um den Friseur Duffeck, den Kleinbür¬
ger und „ewigen Mitläufer“”, der sich an alle Regime anpasst und
dabei stets bedacht ist, seinen eigenen Vorteil zu wahren, spielt
in Wien im Frühjahr 1945 und schildert, wie Duffeck sich mit
„geradezu artistischer Fähigkeit“ durch die unsichere Situation
hindurch laviert:
Die Sektorengrenzen sind noch nicht festgesetzt. Sollman Englisch,
Französisch oder Russisch lernen? Wird man beschlagnahmt, evaku¬
iert oder enteignet? Ist es gefährlich, ein Haus zu besitzen, das man
damals einem Juden „für einen Pappenstiel“ entwunden hat? Wäre
es nicht gut, sich durch den zukünftigen Schwiegersohn, der bei der
Widerstandsbewegung war, ein Mitgliedsbuch der Widerstandsbe¬
wegung zu verschaffen? Oder ist das schon zu weit gegangen, für den
Fall, dass die Nazis später doch noch mal ans Ruder kommen? So
viel Ungewissheit ist zuviel für Duffecks Nerven. Er fällt in einen
schlechten Schlaf und träumt den Angsttraum aller Belasteten.”
In dem als Zauberspiel gestalteten Traum muss Duffeck sich ver¬
antworten und verliert sein Geschäft, in der Realität dagegen bleibt
alles beim Alten. Kortner zerstört in seiner Komödie die „Legende
von der Stunde Null“ und weist vielmehr hin auf „die Verbindun¬
gen zwischen Faschismus und nachfaschistischer Gesellschaft“.'%
Das in seinen frühen Nachkriegsstücken bzw. Nachkriegsfilmen
zentrale Thema vom Weiterleben der faschistischen Ideologie
behandelt Kortner in Donauwellen in der Form der Komödie, mit
deutlichen Anlehnungen an das Wiener Volksstück: „Die sinnlich
anschauliche und geistige formulierende Vehemenz der Wiener
Mundart von Nestroy bis Karl Kraus wird der Belastungsprobe
einer elementaren Zeit ausgesetzt und hält stand.“'” analysierte
mit alter Präzision Herbert Jhering, der Kortner als „neuen Dra¬
matiker“ begrüßte, wobei er ganz zu Recht darauf hinwies, dass
Kortner bereits als Schauspieler „immer ein geheimer Regisseur
und der Regisseur Fritz Kortner ein geheimer Dramatiker“ gewesen
sei. Den Friseur Duffeck rückte er als „klassische Komödienfigur“
neben Schnoferl und Zwirn, sah aber auch tiefer:
Es ist vieles erstaunlich an dem Werk. Zuerst, dass die Verbannung
Kortner die Distanz ermöglichte, die erste Komödie des Zusammen¬
bruchs zu schreiben. Dann aber, dass dieser Humor niemals oberfläch¬
lich bleibt, niemals den Takt und den Ernst des Gegenstandes verletzt,
ja die tragischen Hintergründe erst aufdeckt. [...] Wir stehen wie vor
den Stücken Bert Brechts — vor einer runden, fülligen Komödie. Ein
Zeitstück, das diesen Begriff wieder zu Ehren bringt und ihn jenseits
aller doktrinären Theorien oder einseitigen Forderungen stellt. Eine
saftige Komödie, deren Fülle nicht Unentschiedenheit und deren
Richtung nicht Zeigefingertendenz bedeutet.'”
Die Premiere von Donauwellen wurde zum Triumph für den
Autor und den Regisseur Kortner, der sich in diesen Rollen erstmals
dem deutschen TIheaterpublikum vorstellte: „Was hat Kortner mit
dem Ensemble gemacht?“ fragte der Kritiker Alfred Dahlmann
thetorisch: „Hat er ihm eine Spritze gegeben? Ich sah seit langem
nicht solche Geschlossenheit, solch ein Federballspiel des Dialogs,
solche Dichte im Spiel, solche durchgehende schauspielerische
Höhe, solches’Tempo in so großer, neu zusammengestellter Spiel¬
gemeinschaft. “!%
Bei der Premiere war das Publikum „von Zürich bis Berlin her¬
beigeeilt“! und der ,,Beifall [wurde] zur stiirmischen Ovation“
' fiir Kortner. Bis Mai 1949 erlebte Donauwellen in den Kam¬
merspielen beachtliche 29 Vorstellungen und Kortner verhandelte
bereits mit Bühnen in Berlin und Hamburg über weitere Inszenie¬
rungen’, die jedoch nicht zustande kamen. Seine Komödie wurde
nicht an anderen Theatern nachgespielt, sondern verschwand von