Gedenkblatt für Conrad H. Lester
In überaus ambitionierter Weise versuchte der österreichisch¬
amerikanische Industriepatriarch, Germanist, Gelegenheitsdichter
und Mäzen Conrad H. Lester über viele Jahre hinweg den Spagat
zwischen Kunst, Wissenschaft und Industrie, was seine persön¬
lichen Lebensumstände besonders in seinen mittleren Jahren
tiefgreifend prägte. Zwischen 1948 und 1967 pendelte er praktisch
permanent zwischen den USA und Österreich hin und her. In den
Vereinigten Staaten, wo er 1948 mit einer Arbeit „Zur literarischen
Bedeutung Oswald von Wolkensteins“ sponsiert hatte, lehrte er
ab 1958 Deutsche Literatur in Los Angeles. In Österreich war er
Mastermind, sprich Mehrheitseigentümer und Generaldirektor,
später auch Aufsichtsratsvorsitzender der Wilhelmsburger Stein¬
gutfabrik, die er 1937 von seinem verstorbenen Vater Richard
Lichtenstern übernommen und bereits ein Jahr später an die
arisierenden Nazis verloren hatte. Daneben fand er noch Zeit,
1955 an der Universität Wien zum Dr. phil. zu promovieren sowie
Lyrik und das Drama „Das Reich des Achilles“ zu schreiben, das
sich später im Nachlass von Alma Mahler-Werfel fand.
Ab 1948 kehrte Lester zeitweilig immer wieder nach Österreich
zurück, um sich der Leitung des 1947 wieder rückerstatteten
keramischen Betriebes im niederösterreichischen Wilhelmsburg
zu widmen, den er ausbaute, von Steingut auf Porzellan umstellte
und tiefgreifend modernisierte. Damit einher ging auch eine Um¬
benennung in ÖSPAG - Österreichische Sanitär-, Keramik- und
Porzellanindustrie Aktiengesellschaft und die Kreierung des neuen
Markennamens „Lilienporzellan“ für die Geschirrsparte. Das in
Wilhelmsburg entwickelte und ab 1959 dort auch produzierte
Tafelgeschirr „Daisy“ war ein ungeheurer (Verkaufs-)Erfolg und
ist bis heute zweifellos das bekannteste Beispiel österreichischen
Industriedesigns im Porzellan-Sektor.
Als industrielle Führungspersönlichkeit kann Conrad H. Lester
als Firmenpatriarch im besten Sinne mit Hang zu unorthodoxen
Entscheidungen bezeichnet werden. Als etwa ein ÖSPAG-Arbeiter
bei einem Preisausschreiben ein Fertigteilhaus gewann, sich aber
kein Grundstück leisten konnte, um dieses aufstellen zu lassen,
schenkte ihm Lester eine Bauparzelle im sogenannten Lichtenstern¬
Graben in Wilhelmsburg.
Begabte und ehrgeizige junge Mitarbeiter wie etwa den St.
Pöltner Reinhold Pabst förderte Lester, indem er ihnen den Be¬
such des TGM, Zweig Silikattechnik, in Wien ermöglichte. Pabst
hatte im ÖSPAG-Werk Wilhelmsburg eine Lehre als Modelleur
absolviert, wobei Josef Dolezal, der Schöpfer des Designklassikers
„Daisy“ mit unverwechselbarer Formensprache, sein Lehrmeister
gewesen war (so kam es, dass der junge Modelleur auch maßgeblich
an der Entstehung des später berühmten Services beteiligt war).
Die TGM-Stipendiaten aus Wilhelmsburg wurden für den
mehrjährigen Schulbesuch bei vollen Bezügen beurlaubt, mussten
sich allerdings auch vertraglich verpflichten, nach der Absolvierung
der genannten Elite-HTL eine bestimmte Anzahl von Jahren
weiter in der ÖSPAG tätig zu sein. Nur so war es möglich, dass
sich das Wilhelmsburger Werk zu den technologisch führenden
Standorten in der Branche zählen konnte. So wurde etwa 1967
unter der keramischen Leitung des inzwischen zum Assistenten
des Betriebsleiters aufgestiegenen TGM-Absolventen Pabst ein
neuartiges Klosett-Gießband entwickelt und installiert, das höchst
erfolgreich modernste Fließbandtechniken in die Produktion
von Sanitärporzellan einführte. Damit war man damals führend
in Europa.
Weitere Popularität in der Firma und darüber hinaus erlangte
Conrad H. Lester, als er einem Wilhelmsburger ÖSPAG-Gießerei¬
Mitarbeiter, dessen Frau tragischerweise im Kindbett verstor¬
ben war, auf Firmenkosten für einige Wochen, ja Monate ein
Kindermädchen zur Verfügung stellte, bis der trauernde Gatte
die Betreuung und Versorgung seines neugeborenen Kindes an¬
derweitig organisiert hatte. Eine solche freiwillige Sozialleistung
war zum damaligen Zeitpunkt in der österreichischen Industrie
alles andere als selbstverständlich. Lester genoss auch Ansehen
als Mitbegründer und Förderer eines lokalen Boxclubs und stieg
sogar gelegentlich selbst als Sparringpartner in den Ring. Weiters
war er auch als eifriger Kirchgänger bekannt, der - sofern er in
Wilhelmsburg weilte - am Sonntag regelmäßig die Messe in der
römisch-katholischen Pfarrkirche am Hauptplatz besuchte.
Conrad H. Lesters wiederholten Versuchen, nach dem Vorbild
skandinavischer Industrie-Designstudios eine permanente und
institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen dem Lilienporzellan¬
Betrieb in Wilhelmsburg und externen, bildenden Künstlern zu
stiften, waren zu seinem Leidwesen nicht gerade rasende Erfolge
beschieden. 1967 etwa lud er eine Reihe von Künstlern der Wie¬
ner Schule des Phantastischen Realismus, darunter Ernst Fuchs,
Rudolf Hausner und Wolfgang Hutter, nach Wilhelmsburg ein,