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bzw. aus Online-Datenbanken wie der des DÖW
und der „Central Database of Shoah Victims
Names“ von Yad Vashem. Das waren unsere ersten
Anlaufstellen. Die schwierigste Aufgabe war, die
Namen der BewohnerInnen selbst herauszu¬
finden. Dafür nutzten wir zunächst Lehmann’s
allgemeinen Wohnungsanzeiger. Dr. Herbert Posch
riet uns, die Jahre 1941 und 1942 zu vergleichen,
weil 1942 die Deportationen und Arisierungen in
Wien als abgeschlossen galten. Das heißt, wenn
jemand 1941 in dem Haus gelebt hat und wir
finden seinen Namen 1942 nicht im Lehmann,
ist das ein Indiz dafür, dass er vertrieben oder
deportiert wurde. Aufdiesem Weg konnten wir
einige Namen herausfinden, es waren ca. 39 bis
40 MieterInnen. Da ist der Name Salkind dann
schnell aufgetaucht.
Kannte jemand von Euch Alexander Salkind?
Wusstet Ihr, dass er Schriftsteller war?
Friedwagner: Ich habe Informationen zu Ale¬
xander Salkind zunächst im Internet gesucht,
aber es war nur schr wenig online. Den ersten
Hinweis aufseine Tätigkeit als Schriftsteller fand
ich im biographischen Lexikon, dann habe ich
weitergesucht ... Es war nicht schwierig, ihn zu
finden, aber schwierig herauszubekommen, was
er genau gemacht hat, das war dann die nächste
Stufe ...
Und wie bist Du dann auf das Buch gekommen?
Friedwagner: Den Hinweis aufdas Buch habe
ich bei meinen Recherchen im Internet gefunden
und ich habe es mir dann auch gleich antiquarisch
besorgt, auf der Hauptbibliothek der Universität
Wien war es auch vorhanden. Viel, viel später erst
kam die Idee auf, das Buch neu herauszugeben.
Die Publikation geht auf die Initiative von Barbara
Agnese zurück, denn sie war davon überzeugt,
dass wir etwas mit unseren Recherchen machen
müssten, nachdem das Institut im Jahr 2010 aus¬
gezogen war aus der Berggasse 11. Eigentlich war
die Idee anfangs, einen Gedenkstein zu setzen, nur
es gibt schon sehr viele Gedenksteine in Wien ...
Was können Bücher Deiner Meinung nach im
Gegensatz zu Steinen für die Erinnerung leisten?
Friedwagner: Bücher erreichen ein breiteres
Publikum und sie erzählen mehr über die Ge¬
schichte eines Menschen. Wenn man das Buch
Mandibogen liest, hat man das Gefühl, man taucht
in Alexander Salkinds Stadt ein, in das Wien der
Jahre 1912 bis 1918. Im Gegensatz zu Steinen
kann man Bücher mitnehmen, ein Stein sichert
das Gedenken vor Ort. Das Buch kann jemand
inden USA oder Kanada auch lesen. Wenn man
einen Literaten in dem Haus findet, das dann
über Jahrzehnte das Institut für Vergleichende
Literaturwissenschaft beherbergte, geht es nicht
anders, man muss das Buch lesen und der Öf¬
fentlichkeit bekannt machen.
Kannst Du den Titel „Mandlbogen“ kurz erklären?
Friedwagner: Der Titelkommt von den Aus¬
schneidebögen, die vor allem im Biedermeier
sehr verbreitet waren. Aus ihnen konnte man
Figuren, also auf Wienerisch „MandIn“, aus¬
schneiden und dann in einer Szene gruppieren.

Die Verbindung zu dem Buch ist, dass Salkind
ähnliche Bilder mit seinen Typenbeschreibungen
und Szenerien schafft.

Gibt es eine Erzählung, die dir besonders im
Gedächtnis geblieben ist?

Friedwagner: Ja, die gibt es. Sie trägt den Titel
„Mein Freund Imre Istvan, Frühling 1918“. Im
Wien des Jahres 1918 gibt es nichts mehr zu essen
und ein Wiener Ehepaar wartet sehnsüchüg auf
die Lebensmittellieferung eines Freundes aus
Budapest. Die Geschichte beginnt mit einem
Brief des Bekannten aus Budapest: „Lieber San¬
dor! Weiß ich, daß Du bist ein armes Luder, was
hat nicht mehr satt zu fressen. Ist das zwar nur
verdiente Strafe für Euch Schwaben, was immer
schimpfst über Ungarn, wo wir sind in größter
Not und Vergänglichkeit, weil daß Du aber doch
mein Freund bist, und ich habe zufällig aus Banat
bekommen Sendung, schicke ich Dir mit mein
Freund Bela Ferencz Paprikoszanyi ein kleines Pa¬
ket mit etwas Brot, Mehl, Butter und Gerbeaud.“
Und die Geschichte endet mit einem Brief: „Lieber
Sandor! Leider hat Bela Ferencz Paprikoszanyi
Sonntag nicht können kommen, weil hat er sich
bei Mittagessen Magen zu stark beladen und liegt
er jetzt mit gastrischen Fieber.“ Dann beschreibt
Imre seinen Wiener Freunden noch, mit welchen
Leckerbissen sich der gemeinsame Bekannte den
Magen verdorben hat. Diese Geschichte schildert
die große Not der Wiener Bevölkerung in den
Jahren des Ersten Weltkriegs, verpackt diese aber
in einer Erzählung voller Ironie und Witz. Das
fand ich beeindruckend ...

Was konntet ihr über das Leben Alexander Sal¬
kinds herausfinden?

Friedwagner: Er ist in Wien im 9. Bezirk ins
Gymnasium gegangen und hat dann Jus studiert.
Wir glauben, dass er dieses Studium gewählt hat,
da es in der Familie mütterlicherseits berühm¬
te Juristen gab. In der Familie des Vaters war
eher das künstlerische Talent zu finden. Sein
Vater, Leo Salkind, kam 1853 im Shtetl Sklov
im heutigen Weißrussland zur Welt, er war selbst
auch Schriftsteller, wurde mit dem Ehrenring der
Stadt Wien ausgezeichnet und war Präsident des
„Verbandes der Schriftsteller“. Alexander Salkind
trat also in die Fußstapfen beider Familien. Sal¬
kind absolvierte nach dem Jusstudium auch das
juristische Jahr am Gericht. In dem Buch gibt es
auch eine Geschichte, die auf seinen Erfahrungen
im Landesgericht beruht, sie trägt den Titel „Ty¬
pen aus dem Landesgerichte“. Ab 1912 arbeitet
Salkind als Redakteur für das Fremdenblatt,
ist Herausgeber der Zeitschrift „Albanien“, die
mit Beginn des Ersten Weltkrieges eingestellt
wird, ihre Redaktionsadresse befand sich auch im
Haus Berggasse 11. Während des Krieges wird
er zum Leiter der im Elbemühl-Verlag erschei¬
nenden Tageszeitungen. Nach dem Krieg wird
er Chefredakteur der Wiener Montags-Presse,
die er 1921 in die Fremden Presse. Organ für
und tiber das Ausland umbenennt. Die Fremden
Pressewurde 1938 eingestellt, die letzte Ausgabe
erschien im März 1938. Nebenbei hat er — was

ich am interessantesten finde- nach dem Ersten
Weltkrieg eine Initiative zum wirtschaftlichen
und strukturellen Wiederaufbau Österreichs
geleitet. Leider findet man über diesen Verein
nicht sehr viel außer die Vereinsstatuten, aber das
wäre vielleicht ein Ansatz für weitere Forschun¬
gen ... Immer, wenn ich mich wieder mit dem
Material beschäftige, fällt mir etwas Neues auf,
dann tauchen neue Querverbindungen auf, das
ist eben das Interessante an dieser Arbeit.

Wann und wo ist Salkind verstorben?

Friedwagner: Alexander Salkind wurde 1940
von der NS-Justiz wegen Betrugs angeklagt und
nach Dachau deportiert, wo er — bereits kurz
nach seiner Ankunft — am 4. September 1940
verstarb. Was hinter der Anklage steckte, lässt sich
heute nicht mehr klären. Vor einigen Monaten
habe ich im sogenannten „grauen Haus“, dem
Landesgericht, angerufen, um herauszufinden,
wo sich die Akten zu Alexander Salkinds Verur¬
teilung befinden. Mir wurde dann gesagt, dass
diese damals alle nach Berlin geschafft wurden,
manche sind wieder zurückgekommen, aber es
ist nicht sehr wahrscheinlich, dass noch etwas
existiert. Die Frage ist natürlich auch, was man aus
diesen Akten heute noch herauslesen könnte, das
waren Nazigerichte, das war ein Unrechtsstaat ...
Gibt es weitere Informationen zum Schicksal seiner
Familie?

Friedwagner: Seine Frau Olga überlebte ihren
Mann um ein paar Monate, kam in eine Sammel¬
wohnungund wurde dann nach Polen deportiert.
Wir wissen heute, dass seine gesamte Familie
ausgelöscht wurde, und alle Mitglieder seiner
Familie, Vater, Mutter und Frau, haben ihn um
einige Monate oder ein, zwei Jahre überlebt. Seine
Eltern sind noch in Wien verstorben und dort,
wo sie gestorben sind oder umgebracht wurden
(das kann man heute nicht mehr herausfinden),
ist heute das Altersheim in der Seegasse. Dort war
auch damals ofhziell ein Altersheim ...

Was bedeutet das Buch bzw. das Projekt Berggasse
11 für Dich persönlich?

Friedwagner: Für mich persönlich bedeutet es
eine ,, Never Ending Story“, und man kommtsehr
schwer wieder davon los, weil sich eben Querver¬
bindungen auftun, einen Abschluss kann man
nicht finden. Unsere Rolle ist es, an das Leben
und Schaffen Alexander Salkinds zu erinnern.

Was hat dich schließlich dazu bewogen, eine
Neu-Herausgabe des Buches in die Wege zu leiten?

Agnese: Zunächst blieben die Ergebnisse und
Unterlagen liegen, erst 2013, als ich die Universität
Wien verlassen habe, habe ich die Unterlagen
wiedergefunden und gedacht, Alexander Salkind
und seine Familie sollen nicht vergessen werden.
So kam es zur Publikation.

Alexander Salkind: Mandlbogen. Typen und Bilder
aus Wien 1912-1918. Hg. von Barbara Agnese,
Sabine Bergler und Tanja Friedwagner. Wien:
Mandelbaum 2014. 143 S. Euro 14,90

September 2015 79